spielmitdemfeuer

 

Spiel mit dem Feuer  (Autor: Susi und Verena)

 

Die letzte halbe Stunde der Schicht des A Teams war angebrochen. Karin war bereits auf der Basis eingetroffen, da sie Michael noch ein wenig Gesellschaft leisten wollte, bevor ihre Schicht begann. Thomas und Peter saßen währenddessen mehr oder minder gelangweilt am Tisch und spielten Karten. Da Peter heute eine Glückssträhne zu haben schien, hatte Thomas jedoch bald keine Lust mehr. Er sah zu Karin und Michael hinüber. Michael saß mit Karin im Arm auf dem Sofa, sie genossen die ruhige Schicht. Es hatte noch gar keinen Einsatz gegeben, was selten vorkam.

Wenig später betraten auch Enrico und Biggi die Basis. Man konnte schon als sie noch draußen auf dem Parkplatz waren, hören, dass sie sich heftig stritten. Das ging nun schon einige Zeit so. Biggi war genervt davon, dass Enrico bei jeder Gelegenheit eifersüchtig war, wenn es nach ihm ging, durfte sie sich nicht einmal mit jemand anderem unterhalten und schon gar nicht, wenn er nicht dabei war. Enrico hingegen hatte Angst Biggi zu verlieren und versuchte sie deshalb vor anderen Männern „zu schützen“. Biggi kam es dadurch so vor, als würde er ihr nicht vertrauen und sie ständig überwachen wollen. So kam es immer wieder zu heftigen Streitereien zwischen den beiden. „Wie bitteschön soll das zwischen uns funktionieren, wenn du mir nicht vertraust?“, schrie Biggi sauer. „Wie soll ich dir denn vertrauen, wenn du ständig mit anderen Männern flirtest?“, konterte Enrico ebenso lautstark. „Ich? Du sagst mir, ich flirte mit anderen Männern???“, Biggi reichte es langsam. Sie hatte jedoch keine Lust sich weiterhin mit Enrico anzuschreiben. Selbst Höppler war schon auf die beiden aufmerksam geworden und stand am Fenster seines Büros und die Blicke der Kollegen im Aufenthaltsraum waren Biggi auch nicht entgangen. Wütend ließ sie Enrico einfach stehen und stapfte in die Umkleide.

„Mann, da ist es ja ganz schön heftig zugegangen.“, stellte Thomas fest und sah nach draußen zu Enrico. „Die beiden streiten sich doch in den letzten Wochen nur noch.“, meinte Karin. Dann stand sie auf, um zu Biggi in die Umkleide zu gehen und sie zu fragen, was denn dieses Mal zwischen ihr und Enrico los war. Dieser hatte inzwischen auch den Aufenthaltsraum betreten, war aber dann sofort, ohne seine Kollegen zu begrüßen, in die Umkleide verschwunden.

Biggi hatte gerade ihre Sachen aus dem Spind geholt, als Karin in die Umkleide kam. Biggi sah auf und blickte ihre Freundin traurig an. Diese ständigen Streitereien mit Enrico machten ihr sichtlich zu schaffen. Karin setzte sich neben sie auf die Bank und legte ihr den Arm um die Schulter. „Wieder das alte Thema?“, fragte Karin sie. Biggi nickte, sie wusste genau, dass Karin mit dem alten Thema Enricos Eifersucht und das fehlende Vertrauen meinte. „Ich weiß einfach nicht, wie es mit uns weitergehen soll. Zuhause ist es ja noch schlimmer, als hier auf der Basis.“, sagte Biggi verzweifelt. Karin nickte verständnisvoll. „Was hältst du davon, wenn du heute Nacht bei uns übernachtest. Da hast du deine Ruhe und kannst über alles nachdenken. Und Michael und Thomas haben bestimmt auch nichts dagegen.“, bot sie ihrer Freundin an. „Danke.“, antwortete Biggi erleichtert. Wahrscheinlich brauchte sie wirklich Ruhe um über alles nachzudenken.

Als die beiden aus dem Umkleideraum kamen, hatte Peter sich bereits auf den Weg nachhause gemacht und auch Thomas und Michael waren kurz vorm Aufbruch. „Ihr habt doch sicherlich nichts dagegen, dass Biggi heute Nacht bei uns schläft oder?“, wandte Karin sich an die beiden. „Natürlich nicht, im Gegenteil.“, antwortete Thomas und lächelte Biggi an. Daraufhin bekam er sofort einen bösen Blick von Enrico, der ebenfalls im Aufenthaltsraum saß, zugeworfen. Thomas merkte das zwar, doch er ignorierte es bewusst. „Wir richten dann schon mal das Gästezimmer her.“, meinte er. Karin und Biggi nickten und so verabschiedeten sich Thomas und Michael.

Enrico fragte sich hingegen, ob er Biggi nicht doch Unrecht getan hatte. Im Grunde hatte er mit seinem Verhalten doch nichts erreicht, eher im Gegenteil, er hatte Biggi dazu gebracht auszuziehen, zumindest für eine Nacht.“ Seufzend ließ er sich aufs Sofa sinken und überlegte, was er tun sollte. Sicherlich wäre eine Entschuldigung bei Biggi angebracht gewesen, doch dazu war er viel zu stolz. Sie würde schon von alleine zurückkommen. Das hoffte er zumindest.

Als Thomas und Michael zuhause angekommen waren, ging Thomas gleich nach oben ins Gästezimmer und bezog das Bett frisch. Dann räumte er noch etwas auf, und brachte das Gästezimmer regelrecht auf Hochglanz. Irgendwie freute er sich schon total auf das Schichtende des B Teams, wenn Biggi und Karin wiederkommen würden. Er hatte schon lange ein Auge auf Biggi geworfen – sehr lange, um nicht zu sagen seit dem Augenblick, als sie sich das erste Mal gegenübergetreten waren. Doch hatte er es sich nie getraut, ihr seine Gefühle zu gestehen. Dann war sie mit Enrico zusammengekommen. Es versetzte Thomas jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn er die beiden zusammen sah, doch er wollte Biggis Glück auf keinen Fall gefährden.

Michael war währenddessen in der Küche schwer mit Kochen beschäftigt. Nachdem Thomas mit dem Gästezimmer fertig war, kam er nach unten und half ihm. „Ich glaube Biggi braucht wirklich mal eine Auszeit von Enrico, die beiden fetzen sich ja nur noch.“, meinte Michael irgendwann. Thomas nickte. „Ja, dann soll sie es hier wenigstens richtig schön haben.“, antwortete er lächelnd und machte sich dann wieder daran die Gurke für den Salat, den Michael zubereitete, zu schneiden.

Biggi zählte währenddessen auf der Basis jede Minute bis zum Schichtende. Enrico saß ihr gegenüber, doch sie wich seinem Blick aus. Sie versuchte sich durch eine Unterhaltung mit Karin abzulenken, doch trotzdem verlief die Zeit nur langsam. Nicht einmal ein ablenkender Einsatz kam dazwischen. Es war und blieb alles ruhig.

Kurz vor Schichtende begab Biggi sich schon einmal in die Umkleide. Enrico sah ihr nach, doch sie sah sich nicht ein einziges Mal um. „Meinst du nicht, ihr solltet mit einander reden?“, fragte Karin ihn skeptisch. Enrico sah sie an und nickte schließlich zögerlich. „Biggi geht mir ja aus dem Weg, ich glaube sie will gar nicht mit mir reden. Ach, das hat doc eh alles keinen Sinn, ich weiß schon, wie das wieder enden würde….“ „Vielleicht solltest du mal den ersten Schritt tun und dich bei ihr entschuldigen.“, schlug Karin vor. Enrico nickte. Sie hatte ja Recht. Allerdings wollte er erst einmal eine Nacht darüber schlafen und dies wenn dann morgen früh tun.

Als Karin zum Schichtende in die Umkleide kam, war Biggi bereits fertig umgezogen. Sie konnte es gar nicht erwarten, endlich von der Basis wegzukommen. Endlich würde sie einen Abend ihre Ruhe haben und bei Thomas, Michael und Karin würde sie sich sicherlich wohl fühlen. Als Karin schließlich auch fertig war, verließen die beiden gemeinsam die Basis. Enrico war bereits weg und so machten sie das Licht aus und die Basis dicht. Sie fuhren mit Karins Auto und Biggi ließ ihr Motorrad auf der Basis stehen. Ihr ging es richtig gut und sie merkte richtig, wie gut es ihr tat, ein wenig Abstand zu gewinnen.

Als Karin und Biggi an der Villa ankamen, erwarteten Michael und Thomas die beiden schon. Während Michael sich noch um das Essen kümmerte, war Thomas bereits an die Tür getreten und empfing die beiden. „Michael und ich haben gekocht, wir haben uns extra Mühe gegeben.“, verkündete er und lächelte Biggi dabei an. „Muss an dir liegen, normalerweise kochen die beiden freiwillig nie.“, meinte Karin grinsend zu Biggi und riss diese, die noch immer die Küchentür, hinter der Thomas vor wenigen Sekunden verschwunden war, anstarrte, damit aus den Gedanken. "Äh - was?", fragte Biggi nach. Karin schüttelte den Kopf. "Ich meinte, das muss an dir liegen, normalerweise kochen die beiden nie freiwillig." "Ach so.", entgegnete Biggi und lächelte verlegen. "Meinst du?" "Ja, allerdings. Vor allem Thomas, ich hab ihn in der Zeit, die ich schon hier lebe, niemals am Herd stehen sehen. Wusste gar nicht, dass er von seiner Existenz Bescheid weiß." Sie mussten beide lachen. Plötzlich erschien Thomas in der Tür. Er hatte die letzten Worte gehört. "Hey, Karin, was du da machst, ist ja Rufmord.", sagte er gespielt empört. "Oh, tut mir leid, ich bin ja schon still. Vielleicht sollte ich besser mal in der Küche nach dem rechten sehen." Und schon war Karin hinter der Tür verschwunden, wo sie ihren Michael mit einem Kuss überraschte.

Thomas und Biggi blieben verlegen am Flur stehen. Sie lächelten sich an. "Tja ... ähm ... vielleicht sollten wir besser mal ins Wohnzimmer gehen, dir muss doch ziemlich kalt sein hier im Flur. Alte Villen haben leider keine Zentralheizung." Innerlich dachte er sich, dass er Glück hatte, in diesem Moment nicht frieren zu müssen - da ihm in Biggi's Gegenwart immer warm war. Doch dann musste er wieder an Enrico denken und gab sich innerlich einen Klaps. Er ahnte ja nicht, dass sich selbst Biggi in Gedanken wunderte, dass ihr komischerweise gar nicht kalt war. Aber schließlich ließ sie sich von Thomas in das gemütliche Wohnzimmer führen und setzte sich auf seine Anweisung auf das kuschelige alte Sofa, während er Feuer im Kamin machte. "Ihr habt es echt soo gemütlich hier ... ich bemerke jetzt erst, wie lange ich nicht mehr hier war.", sagte sie nachdenklich zu Thomas, während dieser vor dem offenen Kamin kniete. "Wie wahr ... leider. Aber seit du", er räusperte sich und wusste nicht, wie er sich ausdrücken sollte. Am liebsten hätte er gesagt: "Aber seit du deine wertvolle Zeit mit Enrico vergeudest." Diesen Gedanken verwarf er aber schnell und meinte: "Aber seit du immer sehr beschäftigt bist... Es kam halt kaum dazu. Höchste Zeit dass wir dich heute mal einladen durften." Biggi musste verlegen lächeln, als er sie ansah. "Das ist auch richtig lieb von euch. Danke noch mal." "Hey, kein Problem. Immer doch." Er sah sie immer noch an. Lange saßen sie so da, er vor dem Kamin, sie auf dem Sofa. Plötzlich schrie Biggi auf: "Aah!! Pass auf, Thomas!" Thomas hatte doch glatt übersehen, dass der Holzscheit, den er in der Hand hielt, bereits Feuer gefangen hatte und nun in Flammen aufging. Mit schmerzvollem Aufschrei warf er ihn in den Kamin. Er pustete auf seine Hand, die gehörig von der Glut abbekommen hatte. Biggi unterstützte ihn und pustete kräftig mit, nahm ihn dabei an der anderen Hand, und als er schließlich keinen Schmerz mehr verspürte und die Hand erleichtert sinken ließ, mussten sie erstmal lauthals lachen. Sie konnten sich gar nicht mehr einkriegen, und Biggi konnte sich absolut nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so befreit und herzhaft gelacht hatte. Mit Enrico bestimmt nicht.

Karin und Michael, die auf das Gelächter aufmerksam geworden waren, betraten das Wohnzimmer. "Haben wir was verpasst?" "Ne, überhaupt nicht.", entgegneten die beiden, immer noch lachend. "Und wir werden's euch auch nicht erzählen, denn dann hätte Karin endgültig Stoff zum Rufmord.", fügte Thomas hinzu, wobei Biggi zustimmend nickte: "Ja, ist wirklich besser so. Dann schüttelte sie an Thomas gewandt den Kopf, worauf dieser verlegen grinste. "Man kann euch wirklich keine Minute allein lassen, das ist mir mal wieder klar.", meinte Michael dann, wobei er an viele Situationen aus vergangenen, längst vergangenen Zeiten dachte, in denen Thomas und Biggi schon gemeinsam Unfug angestellt hatten. Schließlich aber eröffnete er feierlich: "Nun denn. Das Essen ist angerichtet. Wenn ihr so lieb seid..." "Aber klar doch.", antworteten sie ihm, und schließlich begaben sich alle geschlossen in die ebenso gemütliche Wohnküche, wo Thomas und Michael den Tisch wirklich wundervoll und bezaubernd hergerichtet hatten. „Das wäre doch nicht nötig gewesen…“, sagte Biggi überrascht, als sie sah, wie viel Mühe sich die beiden gemacht hatten. „Doch“, protestierte Thomas und nahm auf dem Stuhl neben ihr Platz. „Ich hoffe das Essen schmeckt euch.“, meinte Michael dann. „Davon bin ich überzeugt.“, erwiderte Karin und warf ihm einen verliebten Blick zu. Biggi und Thomas sahen zuerst Michael und Karin und dann einander mit einem viel sagenden Blick an. Das Essen wurde wirklich wunderschön und amüsant. Biggi genoss jeden Augenblick, sie kam so endlich auf andere Gedanken und konnte mal wieder einen Abend so richtig genießen. Das war schon lange nicht mehr der Fall gewesen, da sie und Enrico fast alle Abende in den letzten Wochen nur noch mit Streitereien verbracht hatten.

Sie unterhielten sich über Gott und die Welt. Besonders Thomas, der ja neben ihr saß, kam ihr dabei sehr zu gute. Sie waren schon immer haargenau auf derselben Wellenlänge gewesen und so wurde ein Gespräch zwischen ihnen auch nie langweilig.

Bis in die späten Nachtstunden saßen die vier unterhaltsam plaudernd am Küchentisch, mit vollem, aber gut gesättigtem Magen. Über Enrico oder eben irgendwelche Probleme wurde kein einziges Wort gewechselt, was Biggi besonders genoss. Biggi bemerkte, wie sehr sie diese Abende mit ihren Freunden doch vermisst hatte. Bevor sie mit Enrico zusammengekommen war, hatten sie regelmäßig so ein Treffen veranstaltet. Doch als er in ihr Leben getreten war, hatte sich einiges geändert. Plötzlich drehte sich ihr Zeitplan nur noch um Enrico. Daran wollte sie etwas ändern. Die Zeit dafür war mehr als reif, und wenn sie zusammen mit Michael, Karin und Thomas an einem Abend mehr lachen konnte als mit Enrico innerhalb von fünf Wochen, konnte da doch etwas nicht stimmen. Doch sie wollte jetzt nicht an ihn denken. Viel lieber konzentrierte sie sich auf Thomas, der sie nicht zum ersten Mal heute hinreißend süß anlächelte ... Jedes Mal hatte sie dabei ein etwas komisches Gefühl im Magen. Ein Kribbeln. Doch nicht im entferntesten dachte Biggi an den wahren Grund dafür. ,Ich hab wohl doch ein wenig zu viel gegessen...', dachte sie sich insgeheim und lächelte Thomas zurück. "So, ihr Lieben, ich denke, es wird wirklich Zeit. Auch wenn es noch so schön ist - aber morgen ist Schicht angesagt." "Du hast wohl recht, Michael", stimmte Karin ihm zu. "Ach ne, wieso?", entfuhr es Biggi und Thomas im selben Moment. Michael grinste sie an. "Na wenn ihr beide so gern noch aufbleiben wollt, setzt euch doch ins Wohnzimmer und trinkt noch ein Glas Wein zusammen." Thomas blickte Biggi fragend an und betete darum, dass sie ja sagte. Nicht etwa, weil er sich irgendetwas daraus erhoffte, mit ihr alleine zu sein. Nein, niemals würde er ihre Beziehung zu Enrico zerstören wollen, und abgesehen davon wusste er ja, dass Biggi Enrico liebte, nur Enrico. Für sie war Thomas nur ein guter Freund. Davon war Thomas überzeugt. Doch er verbrachte einfach unheimlich gern Zeit mit ihr, er genoss jede Sekunde ihrer Gegenwart und freute sich darauf, sich auch wieder mal alleine mit ihr unterhalten zu können - das hatten sie lange nicht mehr gemacht. Biggi strahlte ihn an und sagte: "Oh ja, gerne. Wenn ... Thomas auch dazu Lust hat?" Für ihn war das so selbstverständlich, dass er fast darauf vergaß, zu antworten. "Thomas, sie hat dich was gefragt! Du hast doch bestimmt Lust, oder?", holte ihn Michael wieder aus den Gedanken. "Oh, na klar, ich hol schon mal die Gläser.", sagte er und lächelte freudig. Auch Biggi freute sich. Sie wünschten Karin und Michael eine gute Nacht, Biggi bedankte sich noch mal für den schönen Abend. Nachdem sie ihr erklärt hatten, dass es überhaupt keinen Grund zum Dank gebe, verschwanden sie müde lächelnd nach oben, wo sie wenige Minuten später in ihre Betten versanken.

"Ok.", sagte Thomas dann und lächelte Biggi an. "Setzt du dich schon mal rein? Ich hole dann inzwischen die Gläser." Biggi nickte und begab sich ins Wohnzimmer, wo sie sich auf das Sofa direkt neben dem Kamin setzte. Es war herrlich warm und gemütlich. Kurz darauf kam Thomas auch schon mit zwei Gläsern an, stellte sie auf ein kleines Tischchen und holte dann aus der Glasvitrine einen besonders edlen Tropfen hervor. Er öffnete die Flasche gekonnt und schenkte in die Gläser ein, anschließend setzte er sich auf das Sofa an der anderen Seite des Kamins, Biggi gegenüber. Er hätte sich zwar liebend gern neben sie gesetzt, sich nun aber doch anders entschlossen. 'Schlag sie dir endlich aus dem Kopf.', forderte er sich selbst zum unmöglichsten auf. "Oh, danke. Der sieht ja besonders fein aus." "Ein Merleau. Ich hoffe, er schmeckt dir." "Machst du Witze? Der ist bestimmt hervorragend. Aber du sollst doch nicht wegen mir so einen teuren Wein aufmachen." "Ach, Quatsch. Grade wegen dir." Biggi wurde  total verlegen darauf und entgegnete nichts mehr, lächelte ihn nur an. Er lächelte zurück. Wie wunderschön sie doch war. Aber er versuchte, sofort wieder an etwas anderes zu denken. Hatte es doch keinen Sinn, sich solche Gedanken über die Frau zu machen, die er zwar liebte, die für ihn allerdings unnahbar war. "Es war echt ein wunderschöner Abend.", sagte Biggi dann. "War?", fragte Thomas. "Oh, pardon, er ist es natürlich immer noch.", entgegnete sie und musste lachen. "So einen Koch wie dich bräuchte ich auch noch zuhause.", sagte sie dann. "Noch bin ich nirgends angestellt. Du kannst mich haben." Biggi lächelte. "Ach Thomas, du bist echt so süß. Ich würd dich ja gern einstellen bei mir, aber ..." Ihr anfängliches Grinsen wich einem betrübten Blick. "Ich weiß schon.", sagte Thomas leise. "Reden wir lieber über was anderes.", fügte er hinzu. "Gute Idee.", meinte Biggi dann und brachte wieder ein Lächeln hervor. "Tu mir den Gefallen und sei das nächste Mal vorsichtiger mit dem Feuer, ok?", sagte sie dann mit einem Blick in den lodernden Kamin, der sie an das Missgeschick vor dem Essen erinnerte. Sie mussten beide wieder lachen. "Geht in Ordnung.", meinte Thomas dann. "Aber die Gefahr besteht ohnehin nicht." "Wieso?" "Naja, normalerweise werde ich ja nicht so abgelenkt." "Wodurch?" "Durch dich." "Oh, dann bin ich also schuld?" "Ne. Ich bin schuld. Ich hab eben anstatt des Feuers dich angesehen. Das war ... schöner." Thomas neigte den Kopf zu Boden. Das hätte er jetzt nicht sagen sollen. Klar, es war die Wahrheit. Biggi's Anblick hätte ihn ohne ihre Erinnerung wohl seine ganze Hand abbrennen lassen und er hätte es nicht bemerkt. Aber das durfte sie nicht wissen. Sie war mit Enrico zusammen. Basta.

Auch Biggi wusste nichts darauf zu erwidern. Grade wollte sie ein anderes Thema beginnen, als Thomas ihr das schon abnahm. "Und, wie geht's dir sonst so?", fragte er sie betont lässig. "Oh, ähm … ganz gut, danke." Thomas nickte zufrieden. "Und dir?", fragte Biggi dann. "Danke, mir auch." Sie lächelten sich an. "Ihr beide .. ich meine, Enrico und du ... wohnt ihr eigentlich schon zusammen?", fragte Thomas dann. Biggi nickte. "Ja. Leider." Thomas blickte sie nur fragend an. "Naja, die Streitereien sind dadurch nur noch mehr geworden. Ich denke mal, du hast es bestimmt auch schon beobachtet." "Hm. Ja. Aber ich achte da nicht so drauf.", log er. "Ist ja auch nichts Schönes.", entgegnete Biggi. "Mit ihm unter einem Dach ... das geht einfach nicht. Wir zoffen uns inzwischen ununterbrochen." "Vielleicht hättet ihr in eine größere Wohnung ziehen sollen?" Thomas meinte es wirklich gut. Auch wenn ihm das Herz dabei schmerzte, er wollte doch nur, dass Biggi glücklich war und beschloss, sie zu beratschlagen. Vielleicht fand sie ja doch wieder ihr Glück mit Enrico. "Ach - das ist es ja nicht. Es ist was anderes. Vor allem seine ewige Eifersucht." Thomas blickte sie erstaunt an. Das hätte er nun wieder nicht erwartet. "Er hat doch keinen Grund dazu, oder?" Biggi überlegte. "Das kann man offensichtlich aus verschiedenen Sichten sehen. Ich gebe ihm keinen Grund dazu. Aber er wird ja schon rot vor Wut, wenn ich nur mit einem anderen Mann rede." Thomas war entsetzt. "Dazu gehörst übrigens auch du.", fügte Biggi dann noch mit einem traurigen Ton hinzu. "Echt?" Biggi nickte. "Ja. Und das sehe ich einfach nicht ein. Wenn ich nicht mal mit meinen Freunden reden darf, wo kommen wir denn da hin? Das ist ja fast schon krank bei ihm." Thomas spürte, dass Biggi all das ziemlich mitnehmen musste. Ihre Verzweiflung über diese Situation schlug sich in ihrer Stimme nieder. Er wusste nicht, was er erwidern sollte. Das war ja wirklich krank. Biggi hatte völlig Recht. Wenn er es recht überlegte, hatte er natürlich bereits bemerkt, wie Enrico ihn oft genug zornig angefunkelt hatte, als er mal kurz mit Biggi gesprochen hatte. Das musste wirklich eine schlimme Situation für Biggi sein. Sie tat ihm total leid. "Sollen wir besser das Thema wechseln? Tut mir leid, dass ich dich drauf gebracht habe.", sagte Thomas leise. Er sah, ja, wie sie das belastete. "Ach, schon gut. Es tut auch mal gut, mit jemanden darüber zu reden. Danke, dass du mir zuhörst." "Nichts zu danken.", sagte er lieb. "Vielleicht geht es ja auch bald wieder bergauf mit euch.", sagte er und bemühte sich um einen zuversichtlichen Ton. "Das glaube ich nicht. Es stimmt einfach nicht mehr. Dabei ... war es mal richtig schön ..." Biggi neigte den Kopf nach unten. Diese 'richtig schöne' Zeit hatte nur sehr kurz angedauert. Aber es hatte sie mal gegeben. Doch nun musste sie sich  eingestehen, dass es für Enrico und sie wohlmöglich keine glückliche Zukunft gab. Tränen stiegen ihr in die Augen. Doch war es wirklich wegen Enrico? Sie wusste es nicht. Sie war einfach mit der kompletten Situation mehr als unglücklich. Früher, vor Enrico, war sie zwar allein gewesen - aber wenigstens frei. Sie hatte Zeit für ihre Freunde gehabt, für andere wichtige Dinge, sie hatte ein besseres Leben geführt. Und nun bekam sie nicht selten schon aufgrund der psychischen Belastung Bauchschmerzen. Sie hielt es einfach nicht mehr aus. So wie jetzt, ja, so sollte es viel öfter sein. Sie genoss die Zeit mit Michael, Karin und Thomas sehr. Und wenn sie es sich recht überlegte, musste sie sich eingestehen, dass es mit Thomas allein fast noch schöner war. Aber das alles war doch nur eine Ausnahme. Wenn sie morgen Enrico wieder begegnen würde, würde sie eine ganze Menge Vorwürfe zu hören bekommen und wieder seiner ganzen Wut ausgesetzt sein. Allein der Gedanke daran ließ alle frohsinnigen Gedanken aus ihrem Kopf verschwinden. Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Es war ihr peinlich vor Thomas, doch immerhin war er auch ihr Freund. Er kannte sie lange. Und nun konnte sie eben ihre Emotionen nicht mehr vor ihm verbergen. Sie neigte den Kopf nach unten und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Das allerdings nützte nicht viel, denn es kamen sofort neue nach. Thomas erschrak. Schnell griff er sich aus der Kommode ein Taschentuch, setzte sich vorsichtig zu Biggi auf das Sofa und reichte es ihr. Ganz langsam und leicht legte er seine Hand auf ihre Schulter. Beruhigend sagte er: "Hey. Ist ja schon gut. Du wirst sehen, es folgen bestimmt wieder schönere Zeiten." Biggi blickte auf, sah ihn mit verweinten Augen an, sagte "Ach Thomas..." und fiel dann in seine Arme. Er hatte damit nicht gerechnet, schloss sie aber sanft in seine Arme und strich ihr vorsichtig, aber liebevoll über den Rücken. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Aber er musste auch nichts sagen. Allein dass er da war und sie festhielt, gab Biggi wieder eine Menge Kraft. Es tat ihr unheimlich gut. Eine ganze Weile saßen sie schweigend so da. Am liebsten wollte sich Biggi gar nicht mehr aufrichten. Wollte sich in seinen schützenden Armen verbergen, die ihr ein unheimliches Gefühl der Geborgenheit gaben. Doch dann schließlich richtete sie sich doch wieder auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie blickte ihn an. "Tut mir leid. Tut mir wirklich leid. Ich ... ich sollte mich besser unter Kontrolle halten." "Was redest du denn da? Sind wir nun Freunde oder nicht?", sagte Thomas und lächelte sie aufmunternd an. "Na klar. Und ich bin total dankbar dafür." "Ich auch.", sagte Thomas leise. Wieder kullerte Biggi eine Träne übers Gesicht. Thomas lächelte, und schließlich griff er ganz langsam und vorsichtig nach ihrem Gesicht und wischte sie liebevoll ab. Sie blickten sich dabei an. Doch war dieser Blick nicht etwa wie der zwischen zwei Kumpeln. Er war um Ozeane tiefer. Niemand brachte ein Wort raus. Das einzige, was zu hören war, war das Knistern des Feuers im Kamin. Sie spürten nicht mal ihren eigenen Atem. Sie zogen sich gegenseitig mit ihren Blicken in den Bann, waren wie in einer anderen Welt, sahen nur ... einander. Noch immer berührte Thomas' Hand zärtlich ihr Gesicht. Wie durch Magie wurden ihre Gesichter einander angezogen. Da halfen alle guten Vorsätze nichts, alles Wissen über die Probleme - es handelte sich schließlich um die Kraft der Liebe. Millimeter für Millimeter näherten sich ihr Lippen einander, bis sie sich schließlich berührten. Erst nur ganz leicht, kaum spürbar, dann aber mit immer mehr Leidenschaft und vollkommener Zärtlichkeit. Es war ein Kuss, wie sie ihn beide noch nie erlebt hatten. Biggi fasste um seinen Hals, zog ihn näher zu sich, worauf auch er seinen Arm um sie legte und sich ihre Oberkörper berührten. Ganz langsam sanken sie auf das Sofa, keinen Augenblick wichen ihre Lippen voneinander, wobei sie sich aus tiefstem Blick ansahen und begehrten. Es dauerte nicht lange, bis Thomas' Hand unter Biggi's T-Shirt glitt. Zärtlich streichelte er sie sowohl außerhalb als auch innerhalb des T-Shirts. Sie legte vor Genuss den Kopf zurück. Die Leidenschaft nahm kein Ende. Biggi fasste nach Thomas' Hose und öffnete den Reisverschluss, und ehe viele Sekunden um waren, war sie bereits auf dem Boden gelandet, darauf folgend auch Biggi's und sein T-Shirt. Das Spiel nahm seinen Lauf. Lange hatte Biggi keine solche Leidenschaft verspürt, und Thomas erst recht nicht. Beide waren wie in einer anderen Welt, sie spürten nur die endlose Zuneigung und - Liebe. Es war, als hätten sie neues Festland erobert. Als hätten sie wie Columbus die Welt umsegelt und das Amerika ihrer Liebe entdeckt.

Es dauerte nicht lange und sie hatten sich aller Kleidung entledigt, wobei sich immer wieder küssten und zärtlich berührten. Es kam wie es kommen musste und sie schliefen schließlich auf dem Sofa vor dem knisternden Feuer des Kamins miteinander. Es war für beide wunderschön und sie genossen es unheimlich. Lange hatten sie nicht mehr so viel Zärtlichkeit und Leidenschaft erlebt. Biggi dachte nicht eine Sekunde lang an Enrico und Thomas schon gar nicht. Es zählte nur das hier und jetzt, die Folgen waren jetzt unwichtig.

Danach lag Biggi in Thomas’ Armen und lächelte ihn glücklich an. Sie bereute absolut nichts und war einfach nur überglücklich, jetzt hier in seinen Armen zu liegen. Thomas zog sie so nah es ging zu sich, worauf sie wieder begannen sich zu küssen. Wie er sie liebte, lange schon, sehr lange und nun, in dieser Nacht, konnte er es ihr endlich zeigen und all diese Gefühle ausleben. Biggi ging es ähnlich. Wenn sie darüber nachdachte, hatte sie sich schon lange zu Thomas hingezogen gefühlt, was sich in letzter Zeit noch verstärkt hatte. Sie hatte nie wirklich darüber nachgedacht – schließlich war sie mit Enrico zusammen - doch nun war sie sich sicher, dass sie Thomas liebte und das nicht erst seit gestern. Er war ganz anders als Enrico, so verständnisvoll, mit ihm konnte sie einfach über alles reden und sie verstanden sich auch ohne Worte. Biggi neigte ihren Kopf leicht zu ihm und flüsterte ihm dann ein leises „Ich liebe dich, Thomas.“, ins Ohr, worauf sie einen langen, zärtlichen Kuss als Antwort bekam.

Sie verblieben noch eine ganze Zeit vor dem knisternden Feuer des Kamins, lagen sich in den Armen und küssten sich. Schließlich hob Thomas Biggi hoch, ging mit ihr langsam zur Treppe und trug sie noch oben in sein Schlafzimmer. Dort ließ er sich mit ihr zusammen aufs Bett fallen. Sie kuschelten sich schnell unter die Decke, da sie schließlich nichts anhatten und es im Schlafzimmer nicht sehr warm war. Biggi schmiegte sich an Thomas’ Brust und schloss die Augen. Lange hatte sie sich nicht mehr so geborgen gefühlt. Thomas hatte seine Arme fest um sie gelegt und genoss es ebenfalls, ihre Nähe zu spüren. Wie lange hatte er auf diese Nacht gewartet?

Wenig später bemerkte er, dass Biggi in seinen Armen eingeschlafen war. Er gab ihr einen ganz sanften Kuss auf die Stirn und schloss dann auch zufrieden die Augen.

Karin stand am nächsten Morgen als erstes auf. Sie wollte schon einmal für alle Frühstück machen, denn das B Team hatte sie erste Schicht. Michael würde mitkommen zur Basis und Thomas sicherlich auch. Also weckte sie Michael mit einem zärtlichen Kuss, zog sich ihren Morgenmantel über und begab sich dann nach unten in die Küche. Michael gähnte herzhaft, begab sich dann schließlich aber doch aus dem warmen Bett. Langsam trottete er ins Bad und genehmigte sich erst einmal eine ausgiebige Dusche. Als er danach endlich richtig wach war, begab er sich zu Karin in die Küche. Sie hatte gerade Kaffee gekocht und das Frühstück schon fast fertig. Michael umarmte sie von hinten. „An so einen Service könnte ich mich gewöhnen.“, meinte er lächelnd, denn außer am Wochenende standen sie meistens alle erst so spät auf, dass sie nicht so viel Zeit  hatten gemeinsam zu frühstücken, sondern jeder machte sich schnell eine Kleinigkeit, bevor sie zur Basis fuhren. „Du kannst schon mal Biggi und Thomas wecken, sonst kommen wir noch zu spät. Ich werde dann auch mal duschen gehen.“, meinte Karin, nachdem sie die Thermoskanne mit dem Kaffee auf dem großen Küchentisch abgestellt hatte. So gingen sie und Michael gemeinsam die Treppe hoch. Michael klopfte zuerst an der Tür zum Gästezimmer, die sich direkt neben der Treppe befand, an. Nachdem er keine Antwort bekommen hatte und daher davon ausging, dass Biggi noch schlief, öffnete er langsam die Tür. Zu seinem Erstaunen jedoch, fand er das Bett unbenutzt vor und von Biggi fehlte jede Spur. Michael verstand jetzt gar nichts mehr. War Biggi etwa gestern Nacht abgereist? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Aber wo war sie dann? Er beschloss zunächst Thomas zu wecken. Biggi und er waren am vergangenen Abend schließlich noch länger aufgeblieben. Er würde bestimmt wissen, wo sie war. Das wusste er sogar sehr genau, sie lag neben ihm, in seine Arme gekuschelt. Thomas war ebenso wie Biggi kurz vorher aufgewacht. „Guten Morgen, hast du gut geschlafen?“, fragte Biggi ihn. „Neben einem Engel kann man doch nur gut schlafen.“, antwortete er und blickte ihr tief in die Augen. Biggi lächelte ihn verliebt an, neigte ihren Kopf dann noch weiter zu ihm und begann ihn zärtlich zu küssen. Thomas erwiderte es glücklich und sie wurden immer leidenschaftlicher. Als sie nahe daran waren, die nächtlichen Aktivitäten zu wiederholen, ging plötzlich die Tür auf und Michael betrat fröhlich das Zimmer. Das „Guten Morgen, Thomas. Aufstehen!“, blieb ihm jedoch im Hals stecken. Zu groß war die Überraschung. Thomas und Biggi bemerkten ihn zunächst gar nicht, bis Biggi irgendwann aus dem Augenwinkel jemanden an der Tür stehen zu sehen glaubte und sich erschrocken umdrehte. Nun entdeckte auch Thomas Michael, der noch immer kein Wort herausbrachte. Biggi zog die Bettdecke erschrocken ein Stück höher starrte Michael an, ebenso wie Thomas. Die beiden wären vor Verlegenheit am liebsten im Erdboden versunken und auch Michael war die Situation ziemlich peinlich. „Ähm…also…ich wollte euch nicht stören, aber…das Frühstück ist fertig….“, stotterte er und verließ dann abrupt wieder das Zimmer. Thomas und Biggi mussten sich erst einmal von dem Schock erholen. „Typisch Michael, von Anklopfen hielt er noch nie viel.“, meinte Thomas schließlich und zog Biggi wieder näher zu sich. „Wie viel Zeit haben wir noch?“, fragte sie ihn lächelnd. Thomas sah auf einen Wecker, der auf dem Nachttisch stand. „Auf jeden Fall noch ein bisschen. Und selbst wenn nicht, wir nehmen sie uns einfach.“, antwortete er, worauf Biggi zustimmend nickte. „Ich könnte ewig hier so liegen bleiben, mit dir.“, sagte sie schon fast schwärmend. „Ich auch, aber ich fürchte dann reißt uns Höppler den Kopf ab.“, antwortete Thomas und gab ihr einen sanften Kuss auf den Mund. Er zog die Bettdecke über ihre Köpfe und sie verkrochen sich küssend. Sie wurden immer leidenschaftlicher und schließlich legte Thomas sich langsam auf Biggi und sie schliefen erneut miteinander. Es war beinahe noch intensiver und schöner als in der vergangenen Nacht und sie gaben sich vollkommen ihrer Liebe hin.

Michael hatte sich ins Wohnzimmer gesetzt und musste erst einmal realisieren, was er gesehen hatte. Thomas und Biggi. Er wusste zwar, dass sie sich schon immer sehr gut verstanden hatten, aber mehr? Zudem war Biggi doch mit Enrico zusammen. Aber gegen die Liebe war man machtlos, das wusste Michael selbst. Außerdem wollte er sich da auch nicht einmischen, es ging ihn im Grunde genommen ja auch nichts an.

Karin hatte sich inzwischen angezogen und kam nun die Treppe herunter. Sie wollte gerade in die Küche gehen, als sie entdeckte, dass Michael im Wohnzimmer saß. „Hast du Thomas und Biggi schon geweckt?“, fragte sie etwas verwundert über die Tatsache, dass die beiden scheinbar noch nicht aufgestanden waren. Michael nickte nur. Wieder dachte er an die peinliche Situation vor einigen Minuten zurück. Er wollte Karin gerade davon erzählen, als sie bemerkte, dass sowohl Biggis als auch Thomas’ Klamotten auf dem Wohnzimmerteppich vor dem Kamin verstreut lagen. Sie sah Michael fragend an und meinte dann zögerlich: „Was hat das denn zu bedeuten? Ist es so, wie es aussieht?“ Michael nickte zögerlich. „Scheint so.“

Biggi und Thomas hatten sich währenddessen endlich dazu durchringen können aufzustehen – wenn auch nur sehr widerwillig. Thomas ging zu seinem Kleiderschrank, holte seinen Morgenmantel raus und legte ihn dann Biggi um, die vor dem Bett stand. „Danke“, sagte sie lieb und legte dann ihre Arme um seinen Hals. „Das war die schönste Nacht in meinem ganzen Leben.“, sagte sie leise und sah ihm in die Augen. „Meine auch.“, erwiderte Thomas und sie ließen sich langsam wieder aufs Bett sinken und küssten sich. Biggi hatte zwar ein wenig ein schlechtes Gewissen, weil sie Enrico betrogen hatte, doch sie verdrängte diesen Gedanken immer wieder. Zu sehr genoss sie die Zeit mit Thomas. Sie hatte sich seit langem nicht mehr so gut gefühlt, war lange nicht mehr so glücklich gewesen. Am liebsten wollte sie einfach die Zeit anhalten. Doch das war leider nicht möglich, schließlich mussten sie endgültig aufstehen, um nicht total zu spät zur Schicht zu kommen. Sie suchten unten im Wohnzimmer ihre Klamotten zusammen und gingen dann gemeinsam ins Bad. „Was hältst du davon, wenn wir beide jetzt eine schöne, heiße Dusche nehmen?“, fragte Thomas und Biggi stimmte sofort zu. „Das geht schneller, als wenn wir hintereinander duschen und es spart dazu noch Wasser.“, fügte er grinsend hinzu, „Und außerdem ist es viiiel schöner.“ Sie stiegen gemeinsam in die Dusche und drehten das Wasser auf. Dann umarmten sie sich und seiften sich gegenseitig zärtlich ein. Schließlich begann Thomas Biggi zu küssen und sie erwiderte es überglücklich. Sie genoss jede Sekunde, die sie jetzt mit ihm zusammen verbringen konnte und Thomas ging es nicht anders. Schließlich fanden sie sich wild küssen unter dem plätschernden Wasserstrahl der Dusche wieder.

Irgendwann blieb ihnen dann allerdings doch nichts anders übrig, als das Wasser abzudrehen und langsam aus der Dusche zu steigen. Sie waren sowieso schon spät dran. Thomas wickelte Biggi in ein Handtuch ein und nahm sich selbst auch eins vom Handtuchständer. Dann begaben sie sich in sein Schlafzimmer. Dort zogen sie sich um, wobei sie sich immer wieder verliebte Blicke zuwarfen.

Als sie dann endlich die Küche betraten waren Karin und Michael bereits fertig mit frühstücken. Sie saßen aber trotzdem noch am Tisch. Biggi und Thomas sahen verlegen nach unten, als sie sich an den Tisch setzten. Sie konnten vor allem Michael nicht in die Augen sehen, doch sie wussten, dass wahrscheinlich auch Karin bereits von ihrer Liebesnacht wusste. Michael und Karin hatten jedoch nicht vor die beiden darauf anzusprechen. Schließlich waren sie beide erwachsen und mussten wissen, was sie taten. Während des Frühstücks sprachen sie alle kaum ein Wort miteinander. „Dann wollen wir mal los zur Basis.“, sagte Michael schließlich. Biggi zuckte bei seinem Satz zusammen. Sie wollte nicht zur Basis, wollte hier bleiben, obgleich sie wusste, dass das nicht möglich war. Auf der Basis würde sie Enrico treffen. Nun hatte der Gedanke daran sie doch wieder eingeholt, doch dieses Mal konnte sie ihn nicht einfach beiseite schieben. Sie hatte Enrico betrogen, mit Thomas. War das richtig gewesen, was sie getan hatte? Sie bereute es nicht - kein bisschen, es war wunderschön gewesen und sie hätte es jederzeit wieder getan. Doch nun kam das schlechte Gewissen wegen Enrico. Biggi war ein ehrlicher Mensch, sie wusste, dass sie ihm den Seitensprung beichten müssen würde. Auch Thomas dachte daran. Ob Biggi Enrico alles erzählen würde? Er hoffte nicht, denn das würde Enrico ihr sicherlich nicht verzeihen. Thomas wollte Biggis Glück mit Enrico nach wie vor nicht zerstören und somit war für ihn klar, dass es bei dieser einen Nacht bleiben würde. Biggi war nun einmal mit Enrico zusammen, das musste er akzeptieren und so schwer es ihm auch fiel, er durfte ihr das nicht kaputt machen. Er musste sich damit abfinden, dass es bei dieser einen Nacht bleiben müssen würde, dass Biggi vergeben war und er sie nicht haben konnte – nicht länger als für diese eine Nacht.

Biggi war hingegen ganz anderer Meinung. Sie fragte sich, ob sie überhaupt noch mit Enrico zusammen sein wollte, ob sie noch eine gemeinsame Zukunft hatten oder ob ihr Thomas nicht eigentlich viel wichtiger war. Sie würde sich auf jeden Fall entscheiden müssen. So konnte es nicht weitergehen. „Nun kommt schon, sonst kommen wir zu spät.“, riss Karins Stimme sie aus den Gedanken. „Ja.“, murmelte Biggi nur und erhob sich dann langsam, ebenso wie Thomas. Michael war bereits im Flur und zog sich seine Jacke an. Die anderen taten es ihm nach und schließlich begaben sich die vier nach draußen. Sie fuhren mit zwei Autos, Thomas und Biggi fuhren mit Thomas’ Auto und Michael und Karin mit Karins. Die Fahrt zur Basis dauerte nicht lange. Karin musste noch tanken und so waren Biggi und Thomas eher auf der Basis als Karin und Michael. Thomas stellte sein Auto auf dem Parkplatz ab. In der Basis brannte noch kein Licht und es schien noch niemand dort zu sein. Als er den Motor ausgemacht hatte, sah er zu Biggi hinüber und sie sah zu ihm. Sie blickten sich einen Augenblick lang tief in die Augen, mit einem Blick, der mehr sagte als tausend Worte. Dann näherten sie ihre Gesichter einander und sie küssten sich. Lange, sehr lange, vielleicht das letzte Mal.

Schließlich fuhren Karin und Michael auf den Parkplatz. Thomas und Biggi ließen langsam voneinander ab und stiegen aus. Die vier gingen gemeinsam in die Basis und verschwanden dann auch gleich in den Umkleideräumen. Biggi war wieder total in Gedanken versunken. Sie bereitete sich innerlich auf das Gespräch mit Enrico vor. Sie hatte sich entschieden, sie wollte mit Thomas zusammen sein und nur mit ihm. Aber vorher musste sie sich von Enrico trennen. Innerlich hatte diese Entscheidung schon am vergangenen Abend für sie festgestanden, aber nun hatte sie auch die letzten Zweifel aus dem Weg geräumt.

Auch Thomas dachte nach, er wollte jetzt gleich mit Biggi darüber reden. Auch wenn es ihm das Herz brach, sicher würde sie auch so denken wie er, dass sie mit Enrico zusammen war und dass es bei der einen Nacht bleiben würde. Als er fertig umgezogen war, wartete er im Aufenthaltsraum auf Biggi. Michael und Karin waren ebenfalls schon fertig umgezogen und waren kurz in den Hangar gegangen. Thomas wartete bis auch Biggi endlich aus der Umkleide kam. Als er sie sah, rang er mit sich. Wie gern wäre er jetzt einfach zu ihr gegangen, hätte sie in den Arm genommen und sie geküsst? Doch die Vernunft sagte ihm, dass es nicht richtig war, obgleich sein Herz das Gegenteil behauptete. „Biggi, kann ich mit dir reden?“, begann er schließlich leise und wagte es dabei kaum sie anzusehen. Zu groß war die Angst, dass er dabei von seinen Gefühlen überwältigt werden würde, dass es ihm nicht länger möglich war zu leugnen, dass er mit ihr zusammen sein wollte, ganz egal, was alles dagegen sprach. „Ja?“, fragte Biggi zaghaft und kam auf ihn zu. Sie setzten sich nebeneinander auf das Sofa. Biggi lehnte sich an ihn, doch dieses Mal legte Thomas nicht zärtlich seinen Arm um sie, noch tat er irgendetwas anders. Es hatte doch keinen Sinn, sie mussten es beenden. Sie hatten keine gemeinsame Zukunft. Biggi war mit Enrico zusammen und nicht mit ihm. Auch wenn er alles dafür gegeben hätte, dies ändern zu können. Es war leider unmöglich. Thomas sah Biggi ernst an. „Biggi… das mit uns… das geht nicht…“, begann er schließlich zögerlich. Biggi sah ihn verständnislos an. „Was meinst du damit?“, fragte sie ihn. „Du bist mit Enrico zusammen, Biggi. Für uns beide gibt es keine Zukunft. Du liebst ihn und er liebt dich, ich bin da überflüssig. Die letzte Nacht war wunderschön, aber wir sollten es dabei belassen.“ Biggi konnte nicht glauben, was Thomas ihr da gerade gesagt hatte. Er wollte es bei dieser einen Nacht belassen, wegen Enrico??? „Aber Thomas… ich… ich habe mich in dich verliebt…“, sagte Biggi leise und Tränen stiegen in ihre Augen. Thomas sah sie an. Es zerriss ihm das Herz, sie so zu sehen, doch er musste das jetzt durchziehen. „Nein Biggi, das hast du nicht. Du liebst Enrico und mit ihm zusammen wirst du wieder glücklich werden. Glaub mir.“, meinte er. Es tat ihm unheimlich weh diese Worte über die Lippen zu bringen, vor allem, weil er wusste, dass sie nicht der Wahrheit entsprachen. Sie entsprachen absolut nicht den Gefühlen, die er für Biggi empfand. Wie gern würde er einfach nur mit ihr zusammen sein, mit ihr glücklich werden. „Nein, das werde ich nicht. Es gibt nur einen Mann mit dem ich glücklich werden kann und das bist du, Thomas, nur du…“, widersprach sie ihm, wobei eine Träne sich den Weg über ihre Wange bahnte. „Biggi, das hat doch keinen Sinn. Wir dürfen unsere Gefühle füreinander nicht in den Vordergrund stellen, auch wenn es schwer fällt. Wir müssen auch an die Zukunft denken. Das mit uns war wirklich wunderschön, aber es geht nicht. Du gehörst du Enrico und ich will und werde euer Glück nicht zerstören.“ Biggi konnte nicht mehr. Sie verstand die Welt nicht mehr. Sie liebte Thomas doch, warum konnte sie nicht einfach mit ihm zusammen sein? Warum musste er so verdammt stur sein und behaupten, sie würde nur mit Enrico glücklich werden? Sie stand auf und rannte weinend aus dem Aufenthaltsraum. Durch die vielen Tränen in ihren Augen, konnte sie kaum noch etwas erkenne, doch schließlich fand sie sich im Frauenumkleideraum auf der Bank wieder. Dort weinte sie herzzerreißend. Sie weinte um ihre Liebe, sie weinte um Thomas, der scheinbar nicht verstehen wollte, dass sie doch zusammen gehörten.

Thomas hingegen war ebenfalls aufgestanden. Er versetzte dem Sofa einen kräftigen Tritt. Was um Himmels Willen hatte er eigentlich gerade getan??? Hatte er einen Vollknall? Die Frau, die er seit Jahren liebte, hatte ihm gerade gesagt, dass sie dasselbe für ihn empfand wie er für sie, genau wie sie es in der vergangenen Nacht schon einmal getan hatte. Und was tat er? Er erklärte ihr, dass es keine Zukunft für sie gab.

Ja, er wollte eine Entscheidung aus Vernunft treffen, doch was brachte ihm diese Entscheidung, wenn es ihm unmöglich war sie auch nur irgendwie mit seinen Gefühlen zu vereinbaren? Eins war klar, er liebte Biggi – über alles. Doch nun hatte er wahrscheinlich alles zerstört, was sich zwischen ihnen angebandelt hatte.

Biggi saß noch immer in der Umkleide und weinte. Sie hört überhaupt nicht mehr auf. Nach einigen Minuten kam Karin schließlich hinzu. „Hey, Biggi, was ist passiert?“, fragte sie total besorgt, als sie ihre Freundin erblickte. Biggi ließ sich in Karins Arme fallen, auch ihre Freundin schaffte es nicht, sie zu beruhigen.

Zur selben Zeit hielt ein Auto auf dem Parkplatz vor der Basis. Es war Enrico. Er stieg aus und Thomas konnte aus dem Fenster erkennen, dass er einen Blumenstrauß bei sich trug. Enrico hatte sich vorgenommen, sich bei Biggi für sein Verhalten zu entschuldigen. Dass sie eine Nacht weggeblieben war, hatte ihm doch zu denken gegeben. Zwar sah er sein Fehlverhalten nicht wirklich ein, doch er wollte nur eins. Sich mit Biggi wieder vertragen, alles andere war ihm egal.

Thomas ahnte schon, dass die Blumen für Biggi waren und Enrico sich mit ihr versöhnen wollte. Vielleicht würde sie ja wirklich mit ihm zusammen wieder glücklich werden, versuchte er sich einzureden. Vielleicht war es ja doch richtig, was er getan hatte? Aber wie konnte es richtig sein, wenn sein Herz ihm genau das Gegenteil sagte und es Biggi genauso ging? Er musste unbedingt noch einmal mit ihr reden, doch nun wollte sie ihn sicherlich nicht sehen. Außerdem würde sicherlich Enrico zuerst mit ihr reden wollen und wenn sie sich mit ihm wieder versöhnen würde, dann gebe es wahrscheinlich sowieso nichts mehr zu reden. Thomas seufzte und ließ sich dann wieder aufs Sofa sinken. Der Morgen hatte doch so schön begonnen, als er mit Biggi im Arm aufgewacht war und nun? Er hasste sich schon beinahe dafür, was er zu Biggi gesagt hatte. Es hätte doch alles so einfach sein können, aber er hatte ja alles kaputt machen müssten. Was war nur mit ihm los gewesen? Er verstand es selbst nicht mehr. Er hatte zu einer vernünftigen Lösung kommen wollen. Doch zu spät hatte er bemerkt, was er damit - vielleicht für immer - verloren hatte.

Enrico hatte währenddessen den Aufenthaltsraum betreten. „Morgen. Weißt du, wo Biggi ist?“ fragte er Thomas. „Nein“, log er, obgleich er genau mitbekommen hatte, dass sie in die Umkleide gerannt war. „Aber sie ist doch schon hier, oder?“, fragte Enrico weiter. Thomas nickte. „Vor ein paar Minuten war sie es zumindest noch.“ Enrico nickte und ging dann nach draußen zum Heli, da er vermutete, dass Biggi ihn gerade durchcheckte.

Karin versuchte inzwischen immer noch verzweifelt Biggi zu beruhigen. Sie ahnte bereits, dass die letzte Nacht etwas damit zu tun hatte, dass es Biggi jetzt so schlecht ging. Genau wissen tat sie es allerdings nicht, denn Biggi schluchzte die ganze Zeit nur und war noch nicht in der Lage gewesen es ihr zu erzählen. „Komm, ich hole dir erst mal ein Glas Wasser, ich bin sofort wieder da.“, meinte Karin lieb und stand langsam auf, um in die Küche zu gehen. Biggi nickte nur und schluchzte weiter. Als Karin die Tür zur Umkleide öffnete, konnte Thomas, der kurz auf Toilette gewesen war und gerade wieder in den Aufenthaltsraum gehen wollte, sehen, dass Biggi in der Frauenumkleide auf der Bank saß. Ihr Anblick versetzte ihm einen gewaltigen Stich ins Herz. Was hatte er nur getan? Wie gern wäre er jetzt einfach zu ihr gegangen, hätte sie in den Arm genommen, sie getröstet. Doch er war jetzt mit Sicherheit der letzte, den sie sehen wollte. So begab sich Thomas seufzten - nachdem er der längst weder geschlossenen Tür zur Frauenumkleide einen letzten traurigen Blick zugeworfen hatte - wieder in den Aufenthaltsraum.

Karin kam wenige Augenblicke später mit einem Glas Wasser in der Hand zurück zu Biggi. Sie überreichte es ihrer Freundin, die sich ganz langsam angefangen hatte zu beruhigen. „Komm, trink erst mal, das wird dir sicherlich gut tun.“, meinte sie lieb. Biggi nickte wieder nur leicht und nahm dann einen kleinen Schluck von dem Wasser. „Nun erzähl mir erst einmal, was genau passiert ist, hm?“, sagte Karin. Biggi blickte sie mit ihren tränengeröteten Augen an und begann dann leise zu erzählen, wobei sie jedoch immer wieder mit den Tränen kämpfen musste. „Michael hat es dir doch sicher schon erzählt oder?“ Karin nickte. „Wenn du das mit Thomas meinst?“ „Ja“, bestätigte Biggi leise. „Aber heute Morgen sahst du gar nicht so unglücklich darüber aus.“, stellte Karin fest. Biggi nickte. „Karin…ich….ich habe mich in Thomas verliebt.“ „Und jetzt kannst du dich nicht zwischen ihm und Enrico entscheiden?“ Biggi schüttelte den Kopf. „Nein, schön wär’s. Ich hatte für mich schon beschlossen mich von Enrico zu trennen. Zwischen uns klappte es doch schon lange nicht mehr. Ich wollte doch nur noch mit Thomas zusammen sein. Weißt du, ich hatte schon vorher ein kleines Auge auf ihn geworfen, aber ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Doch letzte Nacht, da habe ich erst richtig gemerkt, wie sehr ich ihn eigentlich liebe. Ich glaube…ich glaube ich kann ohne ihn nicht mehr Leben.“ Sie schluchzte wieder. „Ich dachte, Thomas würde genauso denken, aber er… er will… er will es bei der einen Nacht belassen und ist der Meinung, dass es für uns beide keine Zukunft gibt, weil ich mit Enrico zusammen bin.“ Karin nahm Biggi wieder in die Arme. „Und wenn du noch mal mit Thomas redest? Vielleicht klärt sich dann ja alles.“, schlug sie vor. Biggi schüttelte den Kopf. „Das hab ich ja versucht. Er  ist so stur…“ Erneut rann ein Meer von Tränen über Biggis Gesicht. Sie war so unendlich enttäuscht von Thomas. Nach der letzten Nacht hatte sie wirklich geglaubt, dass sie mit ihm den Mann fürs Leben gefunden hätte. Warum hatte er nur die gesamte Schönheit der gemeinsamen Stunden wieder zerstören müssen?

Thomas war inzwischen in den Hangar gegangen und versuchte sein Glück am Flipper. Er konnte sich jedoch kaum konzentrieren und so haute er die Bälle alle schnell ins Aus. Seine Gedanken waren die ganze Zeit bei Biggi. Was hatte er nur getan? Dieser Satz hämmerte immer wieder unaufhörlich auf ihn ein.

Biggi beruhigte sich ganz langsam wieder. Sie stand auf, ging zu Spiegel und wischte sich dann die Tränen aus dem Gesicht. Dann beugte sie sich über das Waschbecken und wusch die letzten Spuren der Tränen weg, ebenso, wie ihr verwischtes Make Up. Danach legte sie neues auf und man konnte kaum noch erkennen, dass sie geweint hatte. Sie ging langsam zusammen mit Karin in den Aufenthaltsraum, wo sie von Enrico sofort empfangen wurde.

„Hallo Biggi.“, begrüßte er sie fröhlich. „Hi“, gab Biggi nur leise zurück. „Ich wollte noch mal mit dir reden. Es tut mir Leid, ich habe mich falsch verhalten und wollte mich bei dir entschuldigen. Biggi, ich liebe dich und ich will, dass wir uns wieder vertragen.“, sagte er dann und hielt ihr den Blumenstrauß hin. Biggi war erst einmal ziemlich perplex, sie hatte nicht mit einer Entschuldigung von Enrico gerechnet. „Verzeihst du mir?“, fragte er sie und sah sie bittend an. Das auch noch. Biggi wusste wirklich nicht mehr, was sie tun sollte. Am

liebsten wäre sie jetzt einfach rausgerannt, raus aus dem Ort der Enttäuschung, weg von Enrico, und auch von Thomas. Mit ihm hatte sie die schönste Nacht ihres ganzen Lebens verbracht. Die Nacht, die alles in ihrem Leben verändert hatte. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, ohne Thomas zu leben. Doch es hatte keinen Zweck. Er wollte sie nicht. Ob das nun Vernunftsgründe hatte oder nicht, er gab sich völlig seiner Sturheit hin und hatte Biggi zu Enrico zurückgeschickt. Allein der Gedanke daran, wie er sie angesehen hatte als er ihr das ins Gesicht gesagt hatte, ließ ihr die Tränen in die Augen steigen. Doch sie musste sich jetzt zusammenreißen. Wenn Thomas unbedingt wollte, dass sie mit Enrico glücklich werden sollte, bitte. Sie war sich zwar sicher, dass sie es niemals, niemals in ihrem Leben sein würde, doch wenn er ihr einfach so den Laufpass gab, weil er sich sicher war, sie würde mit Enrico ihre große Liebe erfahren - bitte. Seit gestern wusste sie, wer ihre große Liebe war. Seit gestern wusste sie erst, was vollkommene und endlose Liebe bedeutete. Aber vielleicht sollte es einfach nicht sein?

Lange sah sie Enrico in die Augen. Es hatte doch keinen Zweck. Wenn sie schon nicht mit Thomas zusammen sein konnte, wollte sie wenigstens nicht noch einen Menschen unglücklich machen. Wer weiß, vielleicht würde sie ja wirklich ein wenig glücklich sein mit Enrico. In ihrem Inneren wusste sie zwar, dass das seit dieser Nacht unmöglich war, doch was hatte es für einen Sinn, noch mehr Leute zu verletzen? Enrico drängte sie zu einer Antwort. "Biggi, bitte ..." "Ja. Ich verzeihe dir.", entgegnete Biggi darauf. Sie zwang sich zu einem Lächeln. Doch sie schaffte es nicht. Sie konnte ihrem Körper keine Kommandos geben. Genausowenig wie sie ihrer Seele Kommandos geben konnte. "Oh danke! Ich ... ich habe mich so einsam gefühlt heute Nacht, und habe mal über alles nachgedacht. Ich werde mich ändern, Biggi, ich verspreche es. Ab jetzt wird alles anders." Er nahm Biggi stürmisch in die Arme. Diese fühlte sich mehr als unwohl in ihrer Haut. Es WAR ja bereits alles anders. Aber das wusste Enrico natürlich nicht. Nachdem er Biggi umarmt hatte, blickte er ihr in die Augen und sagte: "Ich liebe dich, Biggi." Er blickte sie erwartungsvoll an. Natürlich erwartete er, dass sie ihm dasselbe entgegnete. Doch Biggi konnte das nicht. Sie konnte nicht so lügen. Nicht jetzt. Und wahrscheinlich würde sie es nie tun können. Stattdessen schlug sie ein anderes Thema ein. "Ich bin wirklich froh, dass du darüber nachgedacht hast.", sagte sie. "Ja. Hab ich. Und ich hab auch den besten Willen." Er streichelte ihr zärtlich mit der Hand durchs Gesicht. Warum konnte diese Hand nur nicht Thomas gehören. Er neigte sich ganz nah zu ihr, um sie zu küssen. Doch sie drehte sich weg. Als er sie entgeistert anblickte, erkannte sie, dass sie sich wirklich mehr zusammenreißen musste und erwiderte seinen Kuss schließlich widerwillig. Im Konflikt mit sich selbst. Es war alles andere als ein schöner Kuss, obgleich Enrico zärtlich wie nie war. Doch Biggi konnte andauernd nur an Thomas und die letzte Nacht denken. Als Enrico wieder von ihr abließ, stammelte sie schnell etwas von: "Ich muss mal dringend was nachsehen.", und verschwand. Enrico sah ihr nur unverständig nach. Doch er beschloss, sich keine weiteren Gedanken darüber zu machen. Vielleicht war Biggi ja einfach nur verwirrt wegen seines plötzlichen Sinneswandels. Wie sehr er sich doch irrte. Biggi stürmte nach draußen ins Freie. Die Sonne lächelte vom Himmel, doch Biggi war alles andere als zum Lächeln zumute. Sie überlegte, wo sie hin sollte. Sie wollte einfach weg. Doch das ging nicht. Schließlich begab sie sich zum Salzachufer. Dort fühlte sie sich in jeder Situation wohl. Doch besonders an einem Tag wie dem heutigen war die Abgeschiedenheit, das beruhigende Rauschen des Wassers das einzig richtige für sie. Sie setzte sich ans Ufer und blickte in den Fluss. Könnte sie doch einfach mit ihm irgendwohin fließen... Was tat sie hier eigentlich? Sie hatte gerade einen Mann geküsst, den sie nicht mehr liebte. Und der Mann, mit dem sie eigentlich zusammen sein sollte, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen sollte, der wollte sie nicht. Das Leben war doch wirklich ein verdammter Misthaufen. Was hatte das alles für einen Sinn???

Thomas hatte gesehen, wie Biggi sich an das Ufer gesetzt hatte. Das tat sie immer, wenn sie traurig war. Wäre es nach seinem Herzen gegangen, hätte er keine Sekunde gezögert, wäre ihr nachgerannt und hätte sie geküsst. Doch ganz im Gegensatz zur letzten Nacht ließ er sich heute von der Vernunft leiten, von seinem Verstand. Dieser sagte ihm, dass es das einzig richtige war, hier zu stehen und ihr nicht nachzulaufen. Sie einfach gehen zu lassen, sie mit Enrico ihr Glück finden zu lassen. Er seufzte so leise, dass es nicht mal die Fliege hören konnte, die an ihm vorbeisummte. Dann begab er sich langsam in den Aufenthaltsraum.

Dort saßen Karin, Michael und Enrico am Tisch und unterhielten sich. Aus dem Gespräch konnte Thomas sehr schnell entnehmen, dass die Blumen offenbar wirksam gewesen sein mussten. Enrico erzählte den beiden gerade, wie erleichtert er sei, dass Biggi ihm verziehen hatte. Michael und Karin hörten sich alles nur schweigend an. In einem unauffälligen Moment sah Michael in Thomas' Richtung und blickte ihn fragend an. Dieser jedoch reagierte nicht darauf und ließ sich aufs Sofa sinken.

Nach wenigen Minuten erhob sich Enrico und beschloss, nach Biggi zu sehen. Als er aus der Basis trat, brauchte er nicht lange, um sie am Ufer zu erblicken. Langsam schritt er dorthin, um sie mit seinem "Hallo Liebling" komplett aus den Gedanken zu reißen. Biggi drehte sich erschrocken um, bemühte sich dann aber um ein Lächeln, so schwer es ihr auch fiel. "Wieso sitzt du denn hier, so einsam?", fragte Enrico sie. "Ich ... ich musste nur über was nachdenken. Nichts Wichtiges." "Hat es etwa was mit mir zu tun?" "Nein, es hat überhaupt nichts mit dir zu tun. Es ist nicht der Rede wert." "Dann ist es ja gut. Legen wir uns ein wenig in die Wiese? Hier ist es so kühl." Thomas hätte niemals gesagt, es sei ihm hier zu kühl. Er liebte den Platz hier genauso wie sie. Das wusste sie. Aber Thomas sollte nicht mehr Teil ihrer Gedanken sein. Sie war mit Enrico zusammen. Man musste sich nun mal auch unangenehmen Dingen im Leben beugen. "Na gut.", sagte sie zu Enrico und ließ sich von ihm hochziehen. Er legte den Arm um sie und zog sie zur Wiese. Dort ließen sie sich ins hohe Gras fallen und legten sich hin. "Ist das nicht schön? Schau mal, die Sonne scheint, fast kein Wölkchen am Himmel. Passt doch perfekt zu unserer Versöhnung, meinst du nicht?" Nein, das meinte Biggi nicht. Für Enrico schienen die zwei winzigen Wölkchen, die sich ganz hinten am Himmel bewegten, kaum sichtbar zu sein. Doch in Biggi's Augen waren sie riesig, unbändige Gewitterwolken, die genau das widerspiegelten, was sich in ihrem Herz abspielte. Aber es hatte doch keinen Sinn, in ihr Herz zu sehen. Thomas tat es schließlich auch nicht. Sie nickte also und lächelte Enrico an. Dieser begann darauf, sie zu küssen. Sie verspürte so eine Leere dabei, kein einziges Gefühl, keine Spur von Leidenschaft oder Zuneigung. Doch sie musste den Kuss erwidern. Als Enrico jedoch immer leidenschaftlicher wurde, drehte sie sich schließlich doch weg. Zu sehr erinnerte sie dieser Kuss an letzte Nacht. Als er sie jedoch total verwirrt anblickte, bereute sie es doch wieder. "Biggi, was ist denn?" "Nichts. Tut mir leid, ich ... ich glaub ich hab was ins Auge bekommen. Schon weg." "Dann bin ich ja erleichtert...", meinte Enrico lächelnd und küsste sie sofort wieder, diesmal musste es Biggi erwidern.

Was sie nicht wusste, war, dass Thomas sie vom Fenster des Aufenthaltsraumes aus beobachtete. Er sah nicht viel, schließlich war das Gras sehr hoch, doch brauchte es nicht viel Erkennungsvermögen um zu wissen, dass sie sich gerade küssten. War es das, was er wirklich wollte? Mit starrem Blick verfolgte er die Bewegungen der beiden, sah, wie sich Enrico plötzlich auf Biggi legte. Er konnte nicht mehr wegsehen.

Enrico's Küsse wurden immer leidenschaftlicher. "Das hab ich so vermisst heute Nacht.", sagte er leise. "Enrico, wir haben Arbeit." "Ach Quatsch. Ich hab keine Alarmsirene gehört." Er küsste sie weiter, zog schließlich den Reißverschluss ihres Overalls runter und glitt mit der Hand unter ihr T-Shirt. Genau wie Thomas. Diesmal wurde es ihr zuviel. Sie wich zurück, schob ihn von sich runter und sagte: "Enrico - ich kann das nicht. Bitte, ich muss dir was sagen." Enrico war total perplex. Er verstand gar nichts mehr. "Was musst du mir denn bitteschön sagen? Was soll das, Biggi? Ich dachte, wir haben uns versöhnt?!" Biggi hatte keine Ahnung, wie sie ihm antworten sollte oder was sie sagen sollte. Und so sagte sie einfach nur leise, aber direkt in seine Augen: "Ich habe dich betrogen." Enrico starrte sie ungläubig an. "Du hast WAS???" "Ich habe dich betrogen." Enrico stand auf, ging ein paar Schritte zurück. "Mit wem?", fragte er dann, Biggi spürte, wie die Wut in seiner Stimme wuchs. Nein, sie durfte ihm nicht sagen, dass es Thomas gewesen war. Enrico war in so einer Situation unberechenbar, womöglich würde er ihn zusammenschlagen. Nein, nicht den Mann, den sie liebte. Also sagte sie: "Das ist unwichtig. Du kennst ihn nicht." Als er sie immer noch anstarrte, sagte sie leise: "Es tut mir leid. Ehrlich." "Warum hast du das nur getan?? Ich weiß doch, dass ich mich falsch verhalten habe, aber deshalb gehst du gleich mit einem anderen ins Bett??? Womit habe ich das verdient?? Liebst du mich überhaupt???" Biggi hatte die Lügerei satt. Sie war einfach nur verzweifelt. Und nun war es ohnehin schon egal. "Ich weiß es nicht." Nun war Enrico aus allen Wolken. Er packte sie am Overall, zog sie hoch, und für einen Moment befürchtete Biggi, er würde sie aus Zorn schlagen. Doch das tat er nicht. Er sagte nur stechend: "Leb wohl. Es ist aus zwischen uns." Dann ließ er sie los, ließ sie ins Gras fallen und rannte weg.

Thomas hatte alles beobachtet. Er konnte sich ganz genau vorstellen, worüber die beiden gesprochen hatten. Hatte sie ihm alles gesagt? Nein, das konnte nicht sein, denn ansonsten wäre Enrico sofort in die Basis gestürmt und hätte seinen ganzen Zorn wohl an ihm ausgelassen. Doch das tat er nicht. Was hatte er nur angerichtet? Er hatte nicht nur die Liebe seines Lebens von sich weggestoßen, er hatte nun auch noch eine Beziehung zerstört. Er sah zurück zu Biggi. Er erkannte, wie sie im Gras saß, die Hände vors Gesicht geschlagen hatte und weinte. Ein Schauer fuhr ihm über den Rücken, sein Herz drohte zu zerspringen, als er sie ansah. Sie war vollkommen verzweifelt, das war unverkennbar. Er musste zu ihr. Nein, er durfte es nicht. Vielleicht gab es noch eine Chance für Enrico und Biggi. Er wollte doch nur, dass sie glücklich war, hatte einen Vorhang vor Augen, doch er merkte es nicht. Er war besessen von dem Gedanken, Biggi glücklich werden zu lassen, und zwar mit Enrico. Vielleicht war er jetzt wütend, ja, aber dann würde seine Wut vielleicht abflachen und er würde Biggi verzeihen?

In diesem Moment allerdings war Biggi allein. Wie gern wäre er jetzt einfach zu ihr gegangen, hätte sie umarmt, ihr gesagt, wie sehr er sie liebte und sie geküsst. Doch er tat es nicht. Eine große, unendlich große Dummheit. Eine ganze Zeit lang stand er so am Fenster und starrte nach draußen, sah Biggi an, deren Anblick sich kaum veränderte. Immer noch weinte sie herzzerreißend.

Plötzlich trat Karin in den Aufenthaltsraum. Erst sah sie Thomas ein wenig verwundert an, da er so starr vor dem Fenster stand, doch plötzlich erblickte sie Biggi, die draußen in der Wiese saß und offenbar weinte. "Oh Gott, was ist denn passiert?", fragte sie erschrocken. Thomas reagierte nicht. "Lag sie nicht vorhin noch mit Enrico draußen? Thomas?" Erst als sie seinen Namen sagte, reagierte Thomas. "Was? Ich ... ja, ich glaube schon." "Hat das alles ... hat das was mit letzter Nacht zu tun?" Thomas sah sie an. "Ach komm, ich weiß ja, was da gelaufen ist. Es geht mich zwar nichts an, Thomas. Aber warum hast du das gemacht? Ihr wart doch wirklich glücklich, oder etwa nicht?" Karin hatte wirklich nicht begreifen können, warum Thomas Biggi zu Enrico zurückgeschickt hatte. "Ja, das waren wir.", sagte Thomas leise. "Aber ... es ging einfach nicht. Schließlich ist sie mit Enrico zusammen. Es ist alles meine Schuld, ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen. Sie könnte mit Enrico sehr glücklich sein. Das ist doch das einzige, was ich will." "Und dass sie mit dir glücklich ist, ist das gar nichts? Warum zerstörst du das? So wie es aussieht, hat sie ihm jetzt ohnehin alles gesagt." "Er wird ihr verzeihen. Er liebt sie doch. Und sie liebt ihn doch auch." "Na wenn du dir da so sicher bist.", entgegnete Karin nur zweifelnd und schüttelte den Kopf. "Wie einer einfach nur so stur sein kann.", sagte sie dann noch, bevor sie schließlich den Raum verließ. Sie ging nach draußen zu Biggi. Diese war immer noch völlig aufgelöst. Karin trat hinter sie, und legte ihr die Hand auf die Schulter. "Was ist denn passiert, Biggi?", fragte sie leise. Biggi drehte sich um. Ihre Augen waren komplett vom Weinen gerötet, sie sah schrecklich verzweifelt aus. Karin nahm sie liebevoll in die Arme.

Thomas ging schließlich vom Fenster weg und ließ sich aufs Sofa sinken, worauf er den Fernseher anmachte. Doch das Programm ging wie alles andere total an ihm vorbei. Seine gesamten Gedanken konzentrierten sich nur auf eine einzige Person: Biggi.

Karin musste sich ziemlich Mühe geben, um Biggi ein wenig zu beruhigen. Sie machte sich wirklich Sorgen. Das alles nur wegen letzter Nacht und weil Thomas so stur war. Als Biggi langsam aufhörte, zu weinen, fragte Karin noch mal: "Was ist denn passiert, Biggi? Ich dachte, ihr habt euch versöhnt? Hast du es ihm etwa gesagt?" "Ja. Ich konnte einfach nicht anders. Und jetzt ... jetzt habe ich beide verloren." Wieder stiegen Tränen in ihre Augen. "Ach Biggi.", sagte Karin leise und nahm sie abermals in die Arme. "Aber jetzt hast du es wenigstens hinter dir. Du hättest doch ohnehin so nicht weitermachen können, hm?" "Ich muss sie einfach beide vergessen.", sagte Biggi entschlossen, obgleich sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie sie vor allem Thomas aus ihrem Herzen verdrängen sollte. Das war einfach unmöglich. "Vielleicht gibt es ja eine Lösung. Irgendwann muss Thomas doch seine Sturheit ablegen. Mit ihm möchtest du doch zusammen sein, oder?" Biggi nickte nur unter Tränen. "Vor ein paar Stunden war ich noch so glücklich. Ich hab noch nie soviel für einen Menschen empfunden wie für ihn. Und er will mich nicht." "Nein, das glaube ich nicht. Er möchte nur, dass du glücklich bist und er denkt, du könntest es nur mit Enrico sein. Dieser alte Sturkopf." "Er war doch selbst so glücklich heute Nacht ... Und wenn er es nicht war, dann ist er ein verdammt guter Schauspieler.", sagte Biggi leise. "Ne, Thomas ist kein Schauspieler. Er ist nur stur.", sagte Karin. "Wart's nur ab, der kommt schon noch, wahrscheinlich bereut er jetzt schon, was er gesagt hat.", fügte sie hinzu. Doch das glaubte Biggi nicht. Niemals, Thomas hatte sich selten so sicher angehört wie heute morgen. Doch sie sagte nichts mehr. Karin war sowieso anderer Meinung. "Was meinst du, liefern wir uns ein Duell am Kicker? So kommst du schnell auf andere Gedanken.", fragte diese sie dann. Biggi wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. "Eigentlich gern, aber heute will ich wirklich nur mehr nachhause. Unsere Schicht ist ohnehin bald aus." "Na gut. Leg dich ein wenig hin, das tut dir bestimmt gut. Ich ruf dich dann heute Abend an. Da geht's dir bestimmt schon besser." Biggi zuckte nur mit den Schultern und sagte: "Danke. Du bist echt lieb."

So standen sie nun gemeinsam auf und begaben sich in die Basis zurück. Die Zeit war wirklich ungeheuer schnell vergangen. Doch es war ja auch viel passiert. Nun konnte Biggi wenigstens auf dem schnellsten Wege nachhause fahren, sie hielt es hier einfach nicht mehr aus, weder in Enrico's, noch in Thomas' Gegenwart.

Als sie mit Karin den Vorraum betrat, erkannte sie sofort, dass Thomas auf dem Sofa im Aufenthaltsraum saß. Schnell schritt sie an der Tür vorbei und schloss die Tür des Umkleideraums hinter sich zu. Thomas hatte sie natürlich gesehen. Ebenso hatte er gesehen, dass sie bemüht schnell an der Tür vorbeigegangen war, um ihn nicht zu sehen. Minutenlang starrte er zur Tür. Doch er stand nicht auf. Sein Herz wäre sofort losgesprintet, doch seine Sturheit sagte ihm, er solle es bleiben lassen.

Karin war inzwischen zu Michael in den Hangar gegangen. Er sprach gerade mit Max über ein Problem mit den Walkies. "Da bist du ja.", empfing er Karin und küsste sie. "Sag mal, hat Biggi es Enrico etwa gesagt? Vorhin stapfte er hier wie ein Tornado vorbei, rot vor Wut." Karin nickte betroffen. Max verstand gar nichts mehr. "Wie? Was? Was soll Biggi ihm gesagt haben?" "Das ist ne lange Geschichte, Max." Max verstand schon, dass es Michael jetzt zu mühsam war, alles zu erklären, und ließ die beiden allein. Dann erzählte Karin Michael alles. Der war ebenso betroffen und mächtig wütend auf Thomas. "Was bildet der sich eigentlich ein, so stur zu sein???" Er begriff es einfach nicht. "Naja, er meint es ja nur gut. Aber vielleicht solltest du mal mit ihm drüber reden, auf dich hat er schließlich schon oft gehört." "Du hast Recht. Ich versuche es mal, wenn Biggi dann weg ist." "Mach das. Und viel Glück." Biggi hatte sich im Eiltempo umgezogen. Sie wollte einfach nur mehr weg von hier. Als schließlich endgültig Schichtwechsel war, nahm sie ihre Tasche und rauschte aus dem Umkleideraum. Sie wollte mit Absicht den Weg durch den Hangar nehmen, um Thomas auszuweichen. Sie war jetzt einfach nicht bereit, ihn zu sehen. Und abgesehen davon wollte er sie ja ohnehin ebenso nicht mehr sehen. Doch womit sie nicht rechnete, war, dass Thomas gerade auf der Toilette gewesen war und im selben Moment aus der Männerumkleide trat. Sie registrierten beide nicht mehr, dass der andere grade aus der Tür trat und prallten hart aufeinander. Einen Moment lang blickten sie sich tief in die Augen, und eine Millisekunde, bevor Thomas' Herz es nicht mehr aushielt und er sie einfach küssen wollte, wich sie zurück und sagte: "Bitte lass mich vorbei." Innerlich explodierte Thomas. Doch nun ging er einfach nur zur Seite und ließ Biggi vorbei. Erst blieb diese noch einen Augenblick stehen, blickte ihm nochmals in die Augen und dachte bei sich: 'Ich liebe dich trotzdem, du Sturkopf. Leb wohl.' Ihre Augen wurden feucht, ebenso wie die seinen, und bevor ihr die Tränen vom Gesicht kullern konnten, hielt sie sich schnell die Hand vors Gesicht und schritt an ihm vorbei. Er blickte ihr lange nach. Dann warf er sich gegen die Wand und schlug mit den Fäusten dagegen. Seine Wut auf sich selbst war unendlich.

Draußen im Hangar traf Biggi auf Michael und Karin und verabschiedete sich von den beiden, wobei sie sich alle Mühe der Welt geben musste, um die Fassung zu behalten. "Ich ruf dich dann an, ok? Und mach keinen Blödsinn!", sagte Karin noch zu Biggi. Biggi sagte: "Alles klar! Bis später dann." Nein, Blödsinn würde sie bestimmt nicht machen. Höchstens was Sinnvolles.

Sie stieg auf ihr Motorrad, machte den Motor an und brauste davon. Thomas beobachtete sie dabei. Er konnte nicht anders, wieder stiegen ihm Tränen in die Augen. Er hätte doch noch mal mit ihr reden sollen. Mehr und mehr bereute er zutiefst, was er getan hatte. Er liebte Biggi doch. Er hatte mit ihr die schönste Nacht seines Lebens erlebt. Die leidenschaftlichste und vor allem mit Liebe erfüllteste Nacht. Er liebte diese Frau doch über alles. Seit Jahren hatte er sich nichts anderes gewünscht, als mit ihr zusammen zu sein. Warum hatte er das getan??? Warum??? Um sich sein eigenes und das Glück von Biggi zu zerstören??? Das war doch krank. Das war einfach nur krank.

Michael riss ihn aus seinen Gedanken, die sich immer mehr von seiner sturen Vernunft entfernten. "Thomas, lass es mich ganz nett sagen. Hast du über Nacht dein gesamtes Hirn weggeworfen? Deinen Mumm? Spinnst du eigentlich??" Thomas blickte auf. "Ich kann dich einfach nicht verstehen. Hier ist eine Frau, die dich über alles liebt, und die du ebenso liebst - so ist es doch oder?" Thomas nickte. Michael sprach weiter: "Geh das mal logisch durch. Du liebst sie. Enrico liebt sie auch. Aber sie liebt nur dich! Verstehst du? Gib dir doch einen Ruck und begreif es endlich! Du machst sie nicht glücklich mit deinem Verhalten. Du stürzt sie ins Unglück. Du hättest sie mal sehen müssen. Sie liebt dich über alles, und von dir reden wir erst mal lieber gar nicht. Willst du denn das alles einfach wegwerfen? Sei dir doch bewusst, was für ein Glück du hast. Das ist selten, das kannst du mir glauben, Junge." Thomas hatte ihm die ganze Zeit zugehört. Und langsam begann er wirklich, zu begreifen, wie verrückt er eigentlich gewesen sein musste. Und das war ihm spätestens seit dem Zeitpunkt klar, als er Biggi im Flur in die Augen geblickt hatte. Dieser Blick hatte alles ausgesagt, alles was man nicht mal in tausend Wort fassen könnte.

Thomas blickte Michael an. "Du hast Recht. Ich bin ein Vollidiot." Michael nickte. "Ja, das bist du. Aber du kannst es wieder gut machen. Fahr nach der Schicht zu ihr. Sag ihr genau das, was du wirklich fühlst, und belüg dich nicht selbst. Das hast du heute schon oft genug getan." "Meinst du, ich kann es wieder hinbiegen?" "Bestimmt. Aber tu es auch. Nimm sie in die Arme und sag ihr, wie sehr du sie liebst. Du kannst nichts rückgängig machen, aber noch kannst du einiges wieder gut machen." "Was würde ich nur ohne dich tun, Kumpel?" Michael grinste. "Nix. Gar nix." Er fiel ihm freundschaftlich in die Arme und Michael verpasste ihm einen aufmunternden Klaps auf die Schulter. "Das wird schon.", sagte er zuversichtlich. "Am liebsten würde ich sofort zu ihr fahren." "Na hör sich das einer an. Aber ein wenig musst du schon noch warten. Schließlich haben wir Pflichten." "Leider." Seufzend ließ Thomas sich auf einen Stuhl sinken. Wie gern hätte er alles einfach stehen und liegen gelassen und wäre auf dem schnellsten Weg zu Biggi gefahren. Doch er wusste, dass er dann wahrscheinlich von Höppler am nächsten Tag seine Kündigung überreicht bekommen würde. So musste er sich noch eine Stunde lang gedulden. Ständig sah er auf die Uhr, konnte es nicht mehr abwarten, doch die Zeit verging schleichend. Jede einzelne Minute kam ihm vor wie eine Ewigkeit.

Biggi war inzwischen zuhause angekommen. In der Wohnung, in der sie gemeinsam mit Enrico wohnte. Sie hoffte, dass sie ihn jetzt nicht hier antreffen würde, was gut möglich war, da er bereits vor ihr die Basis verlassen hatte. Sie schloss langsam die Tür auf, öffnete sie und trat zwei Schritte in den Flur. Dann blieb sie stehen und horchte auf. Es war nichts zu hören. Enrico schien nicht hier zu sein. Vorsichtig warf sie einen Blick in die Küche, dann ins Wohnzimmer und ins Schlafzimmer. Es war niemand da. ‚ Gott sei Dank’, dachte Biggi sich. Sie wollte jetzt einfach nur allein sein, einfach die ganze Enttäuschung vergessen. Schnell musste sie jedoch feststellen, dass das sowieso unmöglich war, auch hier zuhause – oder gerade hier. Langsam ging sie in die Küche, drehte das Radio an, ging zu Balkontür und öffnete sie um ein bisschen frische Luft rein zu lassen und nahm sich dann erst einmal ein Glas Wasser. Das half jedoch auch nicht wirklich. Sie beschloss sich ein wenig hinzulegen. Vielleicht hatte Karin ja wirklich Recht und es würde ihr dann besser gehen, auch wenn sie nicht so recht daran glauben konnte. Als Biggi sich gerade hinlegen wollte, fiel ihr Blick auf einen Brief, der auf ihrem Nachttisch lag. Sie nahm den Umschlag, öffnete ihn langsam und zog dann einen Zettel heraus. Die Schrift hatte sie sofort erkannt. Es war die von Enrico. Sein Abschiedsbrief.

 

Liebe Biggi!

Es hat mir sehr wehgetan, was du mir heute gestanden hast. Ich habe dich wirklich geliebt und möchte, dass du das weißt. Nach dieser Sache kann ich jedoch nicht mehr mit dir zusammen sein. Du hast mich betrogen, mein Vertrauen gebrochen  und damit kann ich nicht leben. Wahrscheinlich hättest du an meiner Stelle genauso gehandelt. Ich weiß, auch ich habe Fehler gemacht, doch mit deinem ist es mir unmöglich so weiter zu machen wie zuvor. Ich habe erst einmal die nötigsten Sachen gepackt und bin zu Peter gezogen. Den Rest werde ich später holen, aber das ist ja jetzt auch nicht so wichtig. Es tut mir leid, dass es so enden musste, aber ich kann nicht anders. Auch wenn es wehtut sich das einzugestehen, zwischen uns lief es doch schon länger nicht mehr optimal und wir hatten uns auseinander gelebt. Wahrscheinlich hat es irgendwann so kommen müssen. Wir haben beide Fehler gemacht, doch irgendwann ist das Fass eben übergelaufen und dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen.

Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft und hoffe, dass wir uns auf der Basis wie normale Kollegen behandeln können und nicht unsere privaten Probleme  dort austragen müssen. Auch wenn es privat zwischen uns nicht mehr klappt, vielleicht können wir trotzdem versuchen gute Kollegen zu sein. Alles andere würde die tägliche Arbeit auf der Basis erheblich erschweren.

Die Zeit mit dir war wirklich schön und es war wirklich keine einfache Entscheidung für mich, mich von dir zu trennen – aber wahrscheinlich die einzig richtige und vernünftige und die einzige, mit der ich leben kann. Ich hoffe du siehst das genauso.

Ciao, Enrico

 

Beim Lesen waren Biggi wieder Tränen in die Augen gestiegen. Es war alles wieder hochgekommen, obgleich sie es noch nicht einmal geschafft hatte es zu verdrängen. Es wurde immer stärker. Dieses Gefühl der Einsamkeit. Leise schluchzend ließ sie sich aufs Bett sinken und vergrub ihr Gesicht in ihrem Kopfkissen. Und wieder hatte sie die letzte Nacht vor Augen. Die Nacht, die sie nicht in diesem Bett hier verbracht hatte, sondern bei Thomas. Die schönste Nacht ihres Lebens, die sich so oder ähnlich wohl nie wieder wiederholen würde.

Biggi fragte sich, was ihr Leben überhaupt noch für einen Sinn hatte. Sie hatte doch alles verloren. Sie hatte Thomas verloren und Enrico. Sie war einsam, so einsam wie noch nie zuvor. Wenn doch jetzt nur… Thomas hier wäre. Doch er war nicht hier und er würde auch nicht kommen, davon war sie fest überzeugt. Niemand würde kommen, sie war ganz allein - und verzweifelt. So verzweifelt wie noch nie zuvor.

Bis zum Schichtende des A Teams waren es nur noch wenige Minuten. Thomas war schon darauf und dran aufzuspringen und in die Umkleide zu rennen. Er hielt es kaum noch aus, er musste zu Biggi. Michael und Peter beobachteten die ganze Zeit schon, wie nervös er war. Auch Peter hatte von der ganzen Geschichte erfahren, da sich Enrico schließlich bei ihm einquartiert hatte. Thomas wurde von Minute zu Minute unruhiger. Diese Warterei war wirklich unerträglich. Nur noch wenige Minuten…

Doch es kam, wie es kommen musste. Die ganze Schicht über war es ruhig gewesen, doch zum Ende hin kam dann doch noch ein Notruf. „Rettungsleitstelle an Medicopter 117. Ein verletzter Radfahrer auf der B 207 bei Murnau.“ Thomas stöhnte auf. Das durfte nicht wahr sein, gerade heute, gerade jetzt. Doch es blieb ihm nichts anders übrig, als zusammen mit Michael und Peter zum Heli zu laufen. Er hob mit einem Gewaltstart ab, immer in der Hoffnung die Einsatzdauer zu verkürzen, obgleich er wusste, dass das nicht in seiner Macht lag. Wen er Glück hatte würde er Einsatz vielleicht nur zwanzig Minuten dauern, doch vermutlich würde er dieses Glück nicht haben und sie würden erst in über einer Stunde zurück an der Basis sein.

Biggi wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Der Abschiedsbrief von Enrico, den sie immer noch in der Hand hielt, war von ihren Tränen bereits durchnässt. Sie warf einen letzten Blick darauf, dann zerriss sie ihn in tausend Stücke und warf ihn in den Mülleimer. Dabei fiel ihr Blick auf ein Foto, das an der Pinwand neben dem Mülleimer hing. Es zeigte sie zusammen mit Peter, Michael, Karin, Max, Enrico, ja, und mit Thomas vor dem Eingang der Basis. Erneut bahnten sich viele Tränen den Weg über ihre Wangen und tropften unaufhaltsam auf den Boden. Sie wusste nicht, wie es überhaupt weitergehen sollte. Auf der Basis würde sie Enrico und Thomas jeden Tag über den Weg laufen. Wie sollte sie das aushalten? Wenn sie jetzt das Foto betrachtete und Thomas drauf ansah, spürte sie wie der unerträgliche Schmerz in ihrem Inneren immer und immer größer wurde. Sie sah keinen Ausweg mehr. Kündigen? Unmöglich. Sie liebte ihre BK 117 und die Fliegerei. Ohne diese Dinge würde sie nicht leben können, das wusste sie, doch mit Thomas’ Anblick, den sie zweifelsfrei täglich haben würde, auch nicht. Und Enrico würde sie auch ständig sehen müssen, er flog ja sogar mit ihr in einem Team. Immer wieder würde sie alles an den heutigen Tag erinnern. Und an die vergangene Nacht, die alles verändert hatte.

Wie in Trance verließ sie das Schlafzimmer und begab sich in die Küche. Langsam ging sie auf den Tisch zu und nahm sich dann mit zitternden Händen ein Messer aus dem Messerblock. Das größte, was dort war. Sie sah es an, die Klinge spiegelte sich, sie war scharf, sehr scharf. Erst vor kurzem war sie geschliffen worden.

Das Radio lief noch immer. Es lief gerade „The Last Goodbye“ von Atomic Kitten. Biggi fiel auf, dass dieses Lied perfekt zu ihrer Stimmung und ihren Gefühlen passte: “If you had another night to give, I would have another night to live, but you never gonna see me cry, the last goodbye….Nein, ohne Thomas konnte sie nicht leben.

Das Messer fest mit den Fingern umklammert ging sie zurück ins Schlafzimmer. Sie war fest entschlossen. Selten in ihrem Leben war sie sich so sicher gewesen, wie in diesem Augenblick. Sie öffnete die oberste Schublade in ihrem Nachttisch und zog dann ein Foto heraus. Es zeigte Thomas – ihren Thomas. Er wollte sie nicht, doch ohne ihn wollte sie nicht mehr leben. Langsam ließ sie sich an der Wand entlang auf den Boden sinken. Ihre Hände zitterten und durch die vielen Tränen in den Augen sah sie nicht mehr viel. Sie wischte sie sich mit den Händen weg, dann setzte sie das Messer entschlossen an ihrem linken Handgelenk an. Das Messer war scharf und es ging ganz leicht. Der Schnitt wurde immer tiefer. Biggi spürte das Blut, das ihr über die Hand floss, doch sie spürte keinen Schmerz. Der einzige Schmerz, den sie spürte, war tief in ihrem Herzen und dieser Schmerz war der stärkste, den sie je gespürt hatte. Sie nahm ihre Umwelt kaum noch wahr -  nur noch eins, das Foto von Thomas. Sie hatte das Messer fallen lassen und hielt nun das Foto fest in ihrer Hand. Das Foto von dem Mann, den sie liebte, doch mit dem es ihr anscheinend nicht vergönnt war zusammen sein zu können. Immer noch rannen ihr unaufhaltsam Tränen über die Wangen und tropften auf den Boden - ebenso wie das Blut von ihrem Handgelenk. Es hatte bereits eine ziemlich große Pfütze auf dem Boden gebildet und durch den Blutverlust nahm Biggi immer weniger wahr und war bereits kurz davor bewusstlos zu werden. Sie verabschiedete sich in Gedanken von ihren Freunden – und von Thomas. ‚Mach’s gut, Thomas….Ich liebe dich trotzdem.’, war das letzte, was sie dachte. Noch einmal sah sie auf sein Foto. Dann drückte sie es mit aller Kraft an sich, bevor sie schließlich endgültig das Bewusstsein verlor.

Das A Team war währenddessen mit der Versorgung des Radfahrers so gut wie fertig. Der Mann hatte glücklicherweise nur einige Prellungen und Schürfwunden sowie eine leichte Gehirnerschütterung erlitten, sodass er vom Rettungswagen in die Klinik transportiert werden konnte. Thomas half Michael und Peter schnell die Ausrüstung zusammenzusuchen und lief dann schon einmal vor zum Helicopter, um die Turbinen anzulassen.

Als sie die Basis erreichten, hatten sie bereits über eine halbe Stunde Dienstschluss. Thomas kam gar nicht mehr mit rein in die Basis, sondern verabschiedete sich von Michael und Peter am Eingang. „Viel Glück, du bekommst das schon hin.“, gab Michael seinem Freund noch mit auf den Weg, bevor Thomas zu seinem Auto ging. Er nahm die kürzeste Strecke zu Biggis Wohnung. Auf dem Weg dahin überlegte er sich schon genau, was er ihr sagen wollte. Er hoffte so sehr, dass sie ihm verzeihen würde. Wenn nicht, wusste er nicht, was er tun sollte. Hoffentlich hatte Michael Recht und er könnte alles wieder gerade biegen. Eh er sich versah, war er auch schon bei Biggis Wohnung angekommen. Er parkte vor dem Haus, stieg dann aus und ging zur Eingangstür. „B. Schwerin & E. Contini“ stand auf dem Klingelschild. Thomas malte sich aus, wie schön es doch wäre, wenn dort statt Enricos Name, sein Name stehen würde. „B. Schwerin & T. Wächter“ Seufzend drückte er schließlich auf den Klingelknopf. Als nach einer Weile niemand aufmachte, klingelte er erneut und wartete einen Moment. Wieder rührte sich nichts. Biggi musste doch zuhause sein, oder nicht? Wo sollte sie sonst sein? Bei Karin? Nein, gewiss nicht, das war Thomas klar. Schließlich hätte sie sonst ihn dort angetroffen und er war sich sicher, dass das nicht Biggis Absicht war. Als auch nach dem dritten Mal klingeln niemand öffnete, gab Thomas es schließlich auf. Geknickt wollte er gerade wieder zurück zu seinem Auto gehen, als er Biggis Motorrad erblickte. Es stand ebenfalls vorm Haus. Sie musste also da sein. Thomas verstand das nicht. Vielleicht machte sie nur nicht auf, weil sie mit niemandem reden wollte? Ere unternahm noch einen letzten Versuch und ging einmal um das haus herum. Der Balkon, der zu Biggis Küche führte, ging nach hinten raus, das wusste er. Er sah, dass die Tür offen stand und aus der Küche drang leise Musik nach draußen ins Freie. Das war also ein eindeutiges Zeichen, dass Biggi doch zuhause war. „Biggi, ich bin’s Thomas! Mach bitte die Tür auf, ich muss mit dir reden.“, rief er nach oben zum Balkon gerichtet. Keine Antwort. „Biggi, bitte, es tut mir leid. Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Das was ich dir heute Morgen gesagt habe, das war der größte Fehler… ich .. ich liebe dich doch…“ Thomas sah die ganze Zeit auf zum Balkon, wobei seine Stimme immer leiser wurde. Ob Biggi ihn gehört hatte? Sie hatte schließlich Radio an. Thomas musste jetzt einfach mit ihr reden. Er musste ihr sagen, was er wirklich für sie empfand, dass er sie liebte. Da kam ihm plötzlich eine Idee. Er nahm sein Handy aus der Tasche und wählte Biggis Nummer. Wenige Augenblicke später konnte er das Telefon oben in der Wohnung klingeln hören. Doch es ging niemand ran. „Mist“, fluchte Thomas, doch er hätte es sich ja eigentlich schon denken können, schließlich war sie auch nicht an die Tür gegangen. Wieso sollte sie dann das Telefon abnehmen, wenn sie ihre Ruhe haben wollte. Doch Thomas wollte nicht aufgeben, er wollte jetzt mit Biggi reden, egal wie. Da fiel sein Blick auf das dünne Spaliergitter, das an der Hauswand befestigt war und an dem kleine Rankenpflanzen hinaufragten. Er zögerte einen Moment, doch dann trat er auf die Hauswand zu und setzte vorsichtig einen Fuß auf das Gitter. Es schien zu halten, obgleich es nicht sehr stabil aussah. Ganz vorsichtig trat er mit dem anderen Fuß auf die Sprosse darüber. Und dann noch eine höher. Es schien ihn tatsächlich zu halten. Inzwischen waren einige Nachbarn auf Thomas aufmerksam geworden und warfen ihm komische Blicke zu. Was sollte man auch denken, wenn jemand am helllichten Tage versuchte an einem Pflanzengitter auf einen Balkon im ersten Stock zu klettern. Es grenzte beinahe an ein Wunder, dass niemand die Polizei rief, mit dem Verdacht Thomas könnte ein Einbrecher sein.

Thomas hatte nun fast den Balkon erreicht. Er befand sich bereits in bedenklicher Höhe und hoffte nur, dass das Gitter unter seinem Gewicht nicht doch nachgab. Endlich hatte er das Balkongeländer erreicht. Er hielt sich dort mit den Händen fest und zog sich schließlich auf den Balkon. Langsam ging er auf die Balkontür zu und steckte schließlich seinen Kopf in die Küche. „Biggi?“ Er bekam keine Antwort und rief nun noch etwas lauter. Wieder nichts. Irgendwie hatte er das merkwürdige Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Schließlich ging er in die Küche und schaltete das Radio aus. Dann rief er sie noch einmal. Als er wieder keine Antwort bekam, hatte er endgültig das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Warum antwortete Biggi ihm nicht? Wenn sie ihn nicht hätte sehen wollen, dann währe sie wohl sofort in die Küche gekommen und hätte ihn aus ihrer Wohnung geworfen. Thomas lief aus der Küche in den Flur und von dort ins Wohnzimmer. Keine Spur von Biggi. Daraufhin ging er auf die Schlafzimmertür zu und öffnete sie schließlich. Was er dort sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Biggi lag bewusstlos auf dem Boden, mitten in einer riesigen Blutlache. „Biggi!! Neeeeeeiiiinnnn!!!!“ Thomas’ Schrei war durch das ganze Haus zu hören. Er stürzte sofort zu ihr, kniete sich vor sie und tastete mit zitternden Händen nach ihrem Puls an der Halsschlagader. Er geriet noch mehr in Panik, als er im ersten Moment nichts spürte. Nach wenigen Sekunden jedoch konnte er einen ganz schwachen Puls tasten, kaum noch fühlbar. Sie war noch am Leben – noch. Er musste jetzt die Nerven bewahren, Biggis Leben lag jetzt in seinen Händen, doch es gab einfachere Dinge, als das. ‚Ich muss ihr den Arm abbinden, die Blutung stoppen.’, schoss es ihm in den Kopf. ‚Nur wie?’ Ihm blieb keine Zeit lange zu überlegen, Biggi hatte schon viel zu viel Blut verloren. Er nahm einen Gürtel, der auf einem Stuhl neben Biggi lag und band ihn so fest wie es möglich war um ihren Oberarm. Er sah auf die tiefe Schnittwunde an Biggis Handgelenk und nach wenigen Sekunden hörte sie tatsächlich fast vollständig auf zu bluten. Thomas stand hektisch auf und lief in die Küche. Obwohl er durch die Tränen in den Augen kaum noch etwas erkennen konnte, fand er sofort ein sauberes Handtuch und eilte damit zurück zu Biggi. Er presste es auf die Wunde und wickelte es dann vorsichtig um ihr Handgelenk. Seine Hände waren sofort voller Blut, doch so konnte er die Blutung stoppen. Währendessen rief er immer wieder ihren Namen und versuchte sie zu wecken. „Biggi… Biggi, bitte….das kannst du mir nicht antun! Biggi, du darfst mich nicht verlassen!... Ich liebe dich doch.“ Die letzten Worte schluchzte Thomas nur noch. Doch es brachte nichts, Biggi blieb bewusstlos. Zu sehr hatte der hohe Blutverlust ihrem Kreislauf zugesetzt.

Hilfe, er musste Hilfe holen, Biggi musste in ein Krankenhaus, so schnell wie möglich. Thomas versuchte einen klaren Kopf zu behalten. Doch das war fast unmöglich. Die Frau, die er liebt, über alles liebte, lag nun in seinen Armen und ihr Leben hing an einem seidenen Faden – dazu noch durch seine Schuld. Was hatte er Biggi nur angetan? Das würde sie ihm wahrscheinlich nie verzeihen und er sich selbst auch nicht. Sie musste ja schrecklich verzweifelt gewesen sein, dass sie so einen folgenreichen Entschluss getroffen hatte. Sie war genauso verzweifelt gewesen, wie er jetzt gerade war.

Während er mit zitternden Händen sein Handy aus seiner Tasche zog, um die Rettungsleitstelle anzurufen, fiel sein Blick auf das blutverschmierte  Foto, das Biggi noch immer in der anderen Hand hielt. Es versetzte Thomas einen Stich ins Herz, als er sah, dass das Foto ihn zeigte. Wieder wurde ihm das klar, was ihm eigentlich schon die ganze Zeit klar war, dass Biggi sich wegen ihm umbringen wollte. Wegen ihm, nur wegen ihm – es war seine Schuld. Hätte er doch nur früher mit ihr geredet. Hätte er heute Morgen doch nur nicht den größten Fehler seines Lebens begangen. Hätte…hätte…hätte. Doch es gab kein hätte, es war nun einmal geschehen und man konnte es nicht mehr rückgängig machen. Während er mit der einen Hand hektisch die Nummer der Rettungsleitstelle wählte, strich er Biggi mit der anderen sanft über die Wange. Er liebte sie so sehr, wenn sie sterben würde, das würde er nicht ertragen. „Halt durch, Biggi, wir schaffen das.“, sagte er leise, während ihm immer wieder Tränen über die Wangen liefen. Dann meldete sich am anderen Ende der Leitung eine Stimme. „Hier Rettungsleitstelle. Wie kann ich Ihnen ..." Thomas ließ ihn gar nicht aussprechen. "Ich brauche dringend einen Heli, mein Name ist Thomas Wächter, bitte schicken Sie das Medicopter-Team aus Rosenheim!" Er war so fertig mit den Nerven, dass er völlig vergaß, Ursache und Ort für den Einsatz anzugeben. In seiner Aufregung musste er eine ganze Weile überlegen, bis ihm die Adresse einfiel. "Gut, ich schicke ihn schon los, aber was ist denn eigentlich passiert?" Thomas blickte auf Biggi und musste schlucken. "Ein Selbstmordversuch. Meine ... meine Kollegin hat sich die Pulsader aufgeschnitten." "Ok. Ihre Kollegen werden sobald wie möglich hier sein, aber Sie werden ja verstehen dass es aus Rosenheim ein wenig länger dauert. "Jajaja, beeilen Sie sich einfach!!!" Dann legte er auf. ,Ich muss Michael anrufen...er könnte in der Nähe sein!', schoss es ihm dann durch den Kopf. Richtig, der Nachhauseweg von Michael und ihm lag ganz in der Nähe von Biggi's Wohnung. Hoffentlich hatte Michael sein Handy eingeschaltet. Zitternd wählte er die Nummer, während er mit der anderen Hand Biggi streichelte. "Du darfst mich nicht verlassen, ok? Es wird alles gut...", sagte er leise.

Währenddessen klingelte bei seinem Freund das Handy. Er kramte es mühevoll aus der Hosentasche. "Lüdwitz", sagte er genervt. "Ich bin's Thomas." Michael schreckte sofort auf seinem Sitz hoch. Thomas' Stimme löste bei ihm höchsten Alarm aus, sie überschlug sich förmlich und er hörte sich vollkommen fertig an. "Thomas, was ist passiert?" "Biggi, sie ... sie..."  Thomas' Stimme ging in einen Heulkrampf über. "Thomas, ganz ruhig, was ist mit Biggi?" "Sie hat sich die Pulsader aufgeschnitten. Sie wollte sich umbringen, Michael, wegen mir!!" "Oh mein Gott. Thomas, wo bist du? Bei ihr zuhause?" "Ja!" "Ich bin sofort bei dir, du musst jetzt die Nerven bewahren, hörst du??" "Rate mal was ich hier schon die ganze Zeit versuche!!!" "Schon gut, schon gut...", versuchte Michael ihn zu beruhigen während er mit quietschenden Reifen kehrtmachte und in die andere Richtung zurückraste. Die anderen Autofahrer schüttelten nur mehr die Köpfe. "Hast du ihr den Arm abgebunden?" "Ja, hab ich. Es blutet nicht mehr." "Ok, das hast du gut gemacht. Kannst du noch Puls fühlen?" Zitternd tastete Thomas wieder nach ihrer Halsschlagader. Ganz leicht, kaum spürbar registrierte er einen schwachen Puls. "Ja, aber fast gar nicht mehr. Er wird immer langsamer, Michael!!" "Hast du die Rettungsleitstelle gerufen?" "Ja!! Rosenheim kommt mit dem Heli." "Ok. Mehr können wir jetzt nicht tun, ich bin bald bei euch, behalt jetzt nur die Nerven, ok?" "Kann ich denn gar nichts tun, Michael?!?!" "Nein, tut mir leid. Bleib einfach bei ihr, red mit ihr, ich bin sofort da." "Ok. Bis gleich." "Bis gleich." Thomas legte auf, dann neigte er sich herab zu Biggi und fühlte abermals ihren Puls. Schon wieder schwächer. Wenn Michael nicht sofort da sein würde, dann ... dann ... Thomas wagte es nicht auszudenken. Wieder mal wurde ihm bewusst, wie nahe Glück und Leid beieinander lagen. Gerade hatte er die glücklichste Nacht seines Lebens verbracht, und nun befand er sich in den schrecklichsten Minuten seines Lebens. Noch nie hatte er sich so elend und hilflos gefühlt. Er nahm Biggi ganz vorsichtig hoch und bettete ihren Kopf in seinen Schoß. "Biggi, bitte, halt jetzt durch." Tränen flossen wie in einem Meer über sein Gesicht. "Ich ... ich liebe dich doch - ich hab heute so einen Scheißdreck gesagt, ich werde es ewig bereuen. Es tut mir so leid. Biggi, bitte, lass mich nicht allein. Lass mich nicht allein ..." Während er diese Worte sagte, sank sein Kopf nach unten, er konnte einfach nicht mehr. Er drückte Biggi an sich, so fest er nur konnte, hielt ihren leblosen Körper, als könnte er sie so festhalten. Doch das konnte er nicht. Biggi's Leben hing schon längst nicht mehr in seinen Händen. Doch es war seine Schuld, dass sie nun hier in seinen Armen lag. Schon mehr nahe dem Tod als dem Leben. Es war seine Schuld. Er hatte heute nicht nur eine Liebe zerstört, mit Absicht von sich weggetreten - er hatte auch noch einen Menschen, einen Menschen den er über alles liebte, dazu getrieben, sich das  Leben zu nehmen. Er hatte Biggi in den Tod getrieben. Es war seine Schuld. Am liebsten hätte er sich jetzt selbst die Kugel gegeben. Aber er durfte nicht immer davonlaufen. Nein, er musste kämpfen!!! Und er würde es schaffen ... auch wenn er sich dem gar nicht so sicher war, er musste einfach daran glauben!

Plötzlich hörte er etwas von draußen. Ja, die Klingel! Michael war da! Oh nein, er konnte ja nicht rein. Thomas hob so behutsam wie nur möglich Biggi's Kopf von seinem Schoß und legte ihn auf ein Kissen. Dann raste er in den Flur und öffnete die Wohnungstür. Michael hatte Gott sei Dank seine Arzttasche im Auto gehabt und stürmte nun mit Thomas zusammen ins Schlafzimmer. "Ist noch irgendwas passiert in den letzten Minuten?" "Nein, aber der Puls wird immer schwächer." Michael bekam trotz seiner angemessenen Erwartung einen gehörigen Schrecken, als er Biggi inmitten von all dem Blut auf dem Boden liegen sah. Er musste erst einmal schlucken, bevor er sich fassen konnte. "War sie noch wach, als du sie gefunden hast?", fragte er dann. "Nein." Immer wieder musste Thomas sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht wischen. Michael fühlte ihren Puls. Er schwieg, doch lange gab sich Thomas damit nicht zufrieden. "Na und? Jetzt sag schon!!" Thomas flippte fast aus. "Er ist wirklich extrem schwach. Aber wir kriegen das schon hin.", sagte Michael, wobei Thomas spürte, wie unsicher er sich seiner Worte war. "Sag mir doch die Wahrheit. Sie wird sterben, oder?" Thomas rannen Tränen über das Gesicht, als er das sagte, er flüsterte nur mehr, sah seinem Freund tief in die Augen. Michael biss sich auf die Lippe. "Thomas, es ist jetzt ganz egal, wie es wahrscheinlich aussehen wird. Woran wir denken müssen, ist die Chance dass wir sie retten können! Aber wir müssen an ihr festhalten, Mann, wir müssen um Biggi's Leben kämpfen, verstehst du!!! Wir können es schaffen!!! Und nun nimm sofort den Ambubeutel raus und beatme sie!" Michael's Worte taten Thomas gut. Er schaffte es, wieder ein wenig klar zu denken und zog schließlich so schnell wie möglich den Ambubeutel aus der Arzttasche. Dann begann er, Biggi zu beatmen. Sie lag so hilflos, so leblos da, rührte sich nicht ... alles nur wegen ihm. Er konnte es einfach immer noch nicht fassen. Doch das war jetzt alles unwichtig. Wichtig war einzig und allein der Kampf um Biggi's Leben. Michael bereitete einen Zugang vor, auch seine Hände zitterten - die Souveränität und Routine, mit der er sonst an solche ,Fälle' heranging, waren wie weggeblasen. Er legte Biggi einen Zugang an der unverletzten Hand und schließlich auch einen zentralen, um das Herz schnell genug mit den nötigen Mitteln zu versorgen, würde es denn überhaupt noch etwas nützen. Dann nahm er den Gürtel von ihrem Arm und band ihn professionell ab, allerdings musste er ihn diesmal ein wenig lockern, um die Blutzufuhr nicht komplett zu stoppen. Dann öffnete er Biggi's Bluse und schloss sie an das EKG an. Mit den Werten war er alles andere als zufrieden. Schließlich maß er auch noch den Blutdruck, der sich mehr als im Keller befand. "Kaum mehr messbar. Sie braucht dringend Blutkonserven. Wenn die Kollegen nicht sofort da sind, dann sehe ich wirklich schwarz." Während er das sagte, und die beiden Freunde sich mit feuchten Augen anblickten, hörten sie plötzlich von weit her das Geräusch eines Rotors. "Na endlich.", sagte Michael. "Ich zeig ihnen den Weg, und du passt auf sie auf, ok?" Thomas nickte nur. Er stand vollkommen neben sich. Er streichelte Biggi zitternd durchs Haar, dann küsste er sie vorsichtig auf die Wange und sagte leise in ihr Ohr: "Bitte, Biggi, bleib bei uns, ok? Wir haben es fast geschafft! Du musst kämpfen, ich liebe dich – unsere Liebe muss weiterleben! Und sonst ... sonst folge ich dir einfach." Erneut brach er in Tränen aus.

Doch lange hatte er keine Zeit, zu weinen - wenige Augenblicke später stürmte Michael mit den Rosenheimer Kollegen ins Zimmer. Da Michael die Erstversorgung bereits vollständig übernommen hatte, wurde Biggi sofort auf die Trage gelegt. Die Kollegen wollten sie schon hochheben, als Thomas noch schnell eine Decke vom Bett griff und Biggi fürsorglich zudeckte. Dann nahm er ihre Hand und eilte mit ihnen nach draußen, während Michael die Infusionen hielt und sie beatmete. Sie eilten durch den Flur, die Treppen hinab und schließlich auf den Landeplatz des Heli's, wo der Pilot bereits die Rotoren gestartet hatte. Biggi wurde in den Heckraum geschoben, der Rosenheimer Sanitäter nahm vorne im Cockpit Platz, damit Thomas und Michael beide hinten sitzen konnten. Nach wenigen Sekunden hoben sie ab. In der Luft wurde Biggi schließlich an das Sauerstoffgerät angeschlossen. "Halt durch, Biggi.", sagte Michael, als er aufgrund der sich immer mehr verschlechternden Werte zurückschrecken musste. "Was meinen Sie, schafft sie es?", fragte er dann seinen Kollegen, dem er ein weit klareres Bild der Lage zutraute. "Ich sehe es ehrlich gesagt bereits als Wunder an, dass Sie sie überhaupt am Leben halten konnten, bei dem Blutverlust. Es ist alles möglich, wirklich. Aber im Moment sieht's schlecht aus, das sehen Sie ja selbst." Michael nickte nur. Sie mussten jetzt einfach alle die Fassung bewahren. Er blickte zu seinem Freund, der neben ihm saß. Thomas zitterte nur mehr so am ganzen Körper, unentwegt liefen Tränen über sein Gesicht und er starrte wie festgenagelt auf Biggi, während er liebevoll ihre Hand hielt. Michael legte ihm seinen Arm um die Schultern. "Wir werden das schon schaffen.", sagte er zu ihm. Doch Thomas wusste ja selbst, wie schlecht es um Biggi stand. „Hoffentlich“, flüsterte er nur und drückte Biggis Hand, die er die ganze Zeit in seiner hielt, noch fester. Er wusste nicht, was er tun würde, wenn sie nicht überleben würde. Er liebte sie doch so sehr, hätte er ihr das doch nur auf der Basis schon gesagt. Dann wäre das alles nicht passiert. Thomas hasste sich dafür, er wünschte sich nichts mehr, als die Zeit um ein paar Stunden zurückzudrehen. Durch seine Schuld lag Biggi jetzt hier und kämpfte um ihr Leben. Um das Leben, das ihr nicht mehr lebenswert erschienen war - und alles wegen ihm. Er strich ihr mit der Hand sanft über die Wange und sagte dann leise schluchzend: „Biggi, bitte, du darfst mich nicht verlassen. Ich liebe dich doch.“ Dann geschah etwas, mit dem keiner gerechnet hatte. Als ob sie ihn gehört hatte und ihm antworten wollte, schlug Biggi ganz langsam die Augen auf. Sie war sehr schwach und wusste nicht, wo sie sich gerade befand, doch eins erkannte sie sofort - dass Thomas bei ihr saß, sie unendlich besorgt ansah und ihre Hand hielt. Das zählt mehr als alles andere. Michael merkte, dass Biggi etwas sagen wollte und nahm ihr vorsichtig die Sauerstoffmaske ab. Sie sah Thomas an und formte mit ihren Lippen ein leises „Thomas“ Sie war zu schwach zum Reden. „Biggi, ich bin ja da. Ganz ruhig, streng dich nicht an. Wir schaffen das.“, sagte er mit zitternder Stimme und strich ihr liebevoll mit der Hand durch die Haare,  wobei sie sich tief in die Augen sahen. Biggi brachte ein schwaches Nicken zustande, dann fiel sie wieder zurück in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Thomas sah Michael und den Arzt aus Rosenheim an. Die beiden Mediziner wussten es sich beide nicht zu erklären, wieso Biggi plötzlich zu Bewusstsein gekommen war – wenn auch nur für wenige Sekunden. Bei so einem hohen Blutverlust, war das fast ein Wunder. Ihre Werte waren allerdings noch immer ausgesprochen schlecht. Sie benötigte dringend Blutkonserven. Der Pilot aus Rosenheim hatte bereits über Funk welche angefordert, doch die Zeit bis zur Klinik mussten sie es noch ohne schaffen.

Jede Sekunde kam ihnen wie eine Ewigkeit vor. Michael war froh, dass Rosenheim den Einsatz flog, dann selbst an ihm, dem sonst so souveränen und nervenstarkem Notarzt ging so etwas bei weitem nicht ohne Spuren vorbei. Nicht, wenn die Patientin, um deren Leben sie kämpften, eine Kollegin war. Gerade Biggi. Sie kannten sich schon so lange, hatten soviel gemeinsam durchgestanden. Thomas ging es noch viel schlechter. Er war total verzweifelt. Wahrscheinlich so verzweifelt, wie noch nie in seinem ganzen Leben. Die Frau, die er über alles liebte, lag nun hier auf dieser Trage, hilflos, und kämpfte um ihr Leben und er konnte nichts, absolut gar nichts tun. Noch dazu war es seine Schuld. Alles das, war nur wegen ihm passiert. Immer wieder hämmerten dies Gedanken auf ihn ein. Doch er musste sich jetzt auf Biggi konzentrieren. Sie brauchte ihn jetzt, wahrscheinlich so dringend wie noch nie zuvor.

Michael und der andere Notarzt versuchten ihren Kreislauf so gut es ging mit Medikamenten zu stabilisieren, doch lange würde ihnen das nicht mehr gelingen. Sie hatte einfach zu viel Blut verloren.

Nicht nur Thomas fielen tausend Steine vom Herzen, als sie endlich die Klinik unter sich erblicken konnten. Wenig später setzten die Kufen des Helikopters auch schon auf der Landeplattform auf. Ein Ärzteteam wartete bereits auf dem Landeplatz. Biggi wurde aus dem Helikopter geschoben und dann sofort in die Notaufnahme gebracht. Thomas lief die ganze Zeit neben der Trage her. Er wollte bei ihr bleiben, für sie da sein und sie nicht wieder alleine lassen. Ja, wenn er sie nicht alleine gelassen hätte dann wäre das alles nicht passiert.

Vor der Tür zum Schockraum jedoch musste er Biggis Hand loslassen und eine Schwester wies ihn an dort zu warten. „Bitte, lasst mich doch zu ihr.“, flehte er verzweifelt. Doch die Tür hatte sich bereits wieder geschlossen. Michael, der ihnen gefolgt war, nahm seinen Freund tröstend in die Arme. „Glaub mir Thomas, Biggi ist in guten Händen, das sind die besten Ärzte.“, versuchte er ihn zu beruhigen. Thomas nickte nur unter Tränen. Er musste sich einfach an die Hoffnung klammern und wenn sie auch nur so dünn war wie ein Strohhalm. Verzweifelt ließen sich die beiden Freunde auf zwei Stühle vor dem Schockraum sinken. „Wenn ich doch nur irgendwas tun könnte.“, meinte Thomas leise. Die Verzweiflung spiegelte sich deutlich in seiner Stimme wieder. Michael legt ihm schweigend den Arm um die Schulter. Die Stille war erdrückend. Sie dachten beide nur an Biggi und hofften, dass sie überleben würde. Sie musste es einfach schaffen. Bis hier waren sie gekommen, nun musste es einfach noch irgendeinen Weg geben, um es bis um Ziel zu schaffen.

Plötzlich fiel Michael ein, dass die anderen noch gar nichts davon wussten. „Ich werde mal kurz Karin anrufen.“, meinte er zu Thomas, stand dann auf und ging kurz nach draußen. Schließlich waren Handys im Krankenhaus verboten. Karin war gerade zuhause und war dabei ein leckeres Abendessen vorzubereiten, als ihr Handy klingelte. „Thaler?“ „Hallo, hier ist Michael…“ Karin merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Irgendwas war passiert. Michael hörte sich so seltsamen. „Michael, was ist los?“ „Karin….Biggi…sie…“ „Was ist mit Biggi?“ unterbrach Karin ihn sofort. Sie malte sich das Schlimmste aus. „Sie hat versucht sich das Leben zu nehmen.“ „WAS????“, Karin konnte es nicht glauben. „Sie hat sich die Pulsader aufgeschnitten. Thomas hat sie gefunden. Wir sind jetzt in der Zentralklinik, aber wir wissen noch nichts Genaues. Sie hat sehr viel Blut verloren….“ Karin war total geschockt. „Ich komme sofort.“, stammelte sie nur noch in den Hörer und machte sich dann sofort auf den Weg zur Klinik. Sie machte sich die größten Sorgen um Biggi. Warum hatte sie nur nicht gemerkt, wie verzweifelt sie gewesen war?

Michael informierte auch noch Peter und Max. Und schließlich, nach kurzem Zögern auch Enrico. Auch die anderen reagierten total geschockt auf die schreckliche Nachricht und machten sich sofort auf den Weg zur Klinik. Peter und Max waren beide noch auf der Basis gewesen und hatten ein gemütliches Tässchen Kaffee getrunken. Doch der wurde nun auf den Tisch geschmettert, sie sprangen in Peter's Auto und rasten los zur Klinik. Sie waren auch die ersten, die ankamen. Sie brauchten nicht lange, um Thomas und Michael zu finden, die verzweifelt im Flur auf und ab gingen. "Und? Wie geht's ihr? Wisst ihr schon was?", fragten sie fast gleichzeitig. Michael schüttelte nur den Kopf. "Nichts. Man könnte wahnsinnig werden.", ärgerte er sich. Dann ließ er sich auf einem Stuhl nieder, um zwei Sekunden später wieder aufzuspringen und aus Nervosität weiter den Flur auf und ab zu laufen. Thomas hatte sich inzwischen an die Wand gelehnt. Er zitterte, nahm eigentlich kaum mehr irgendetwas um sich herum wahr. Er bemerkte erst einige Zeit später dass Peter die Hand auf seine Schulter gelegt hatte. Thomas sah auf und blickte ihn an, Peter erkannte Tränen in seinen Augen, so unendlich verzweifelte und traurige Tränen, dass auch er sich mit dem Ärmel über die Augen wischen musste. Sie mussten jetzt alle ruhig bleiben. Doch das war nun mal unmöglich. So schön der Zusammenhalt und das unheimlich tiefe Freundschaftsgefühl innerhalb des Teams auch war - in Situationen wie diesen würde man sich vor Druck am liebsten wegbeamen lassen. Doch das ging nicht. Auch solche Augenblicke der Verzweiflung und vor allem der Angst gehörten nun mal dazu.

Es dauerte nicht lange, bis auch Karin und Enrico eintrafen. Sie waren bereits am Eingang aufeinander getroffen und kamen nun gemeinsam mit langsamen Schritten den Flur hoch. An den Gesichtern der anderen konnten sie ablesen, dass es mal wieder warten hieß und es schlecht aussah. Karin ließ sich in Michael's Arme fallen. Das war alles ein wenig viel für sie. Der Schock saß ihr immer noch in den Knochen und würde so schnell auch nicht vorbeigehen. Michael umarmte sie liebevoll und setzte sich schließlich mit ihr hin. Beide hatten feuchte Augen. Nach einer Weile begann Karin, leise zu schluchzen. "Wie konnte das nur passieren? Warum hat sie das gemacht? Warum habe ich es nicht vorher bemerkt?" "Karin, dafür kann man keine Antwort finden. Wir alle wissen nicht, was in Biggi vorgegangen ist. Du hättest nicht vorher bemerken können, dass sie so etwas macht." "Doch!" Karin sah auf. "Doch! Ich hätte es bemerken müssen! Sie war so verzweifelt und ... und ich hab sie noch getröstet ... und dann lass ich sie einfach gehen! Ich hätte mich um sie kümmern müssen!" Enrico horchte auch. Biggi war verzweifelt gewesen. Hatte sie etwa ... hatte sie etwa wegen ihm ...? Dann fiel ihm der Abschiedsbrief ein ... aber er hatte sich doch extra bemüht, den Brief möglichst lieb zu formulieren. War sie ... wegen ihm so sehr verzweifelt gewesen, dass sie sich das Leben nehmen wollte?? Und das, wo doch seit einigen Wochen vieles nicht mehr gestimmt hatte??? Michael hatte viel Mühe, Karin zu beruhigen. "Aber Karin, du ..." "Hör auf! Gib mir doch einfach Recht! Ich bin schuld! Nur ich! Ich bin schuld dass Biggi jetzt hier drinnen liegt!" Plötzlich erhob sich Thomas, der bis zum jetzigen Zeitpunkt keinen Ton mehr von sich gegeben hatte. "Nein, Karin! Wenn jemanden Schuld trifft, dann bin ich das. Nur ich." "Wieso du??", fragte Enrico, der gar nichts mehr verstand. Thomas erschrak ein wenig. An Enrico hatte er jetzt gar nicht gedacht. Aber was spielte es denn für eine Rolle, jetzt war es ohnehin schon egal. "Weil ... weil ich es war, mit dem Biggi dich betrogen hat." Er hielt inne. "WAS??? Du warst das??" Enrico blieb der Atem im Halse stecken. Dann stürmte er auf Thomas zu und packte ihn am Kragen. "Wann?", fragte er. "Heute Nacht. Wir ... haben miteinander geschlafen. Und heute Morgen habe ich ihr dann gesagt, dass aus uns nichts werden kann. Das heißt, wir haben an einem Tag beide mit ihr Schluss gemacht. Und alles wegen mir. Ich sag's ja, ich bin schuld."  Thomas war es jetzt völlig gleichgültig, ob Enrico ihn seine Faust würde spüren lassen, ihn verprügeln würde, es war ihm einfach alles egal. Falls Biggi hier im Nebenraum wirklich sterben würde, hatte es  sowieso keinen Sinn, irgendwie weiter zu machen. Thomas hatte bereits den festen Entschluss getroffen, dass er ihr folgen würde. Enrico starrte ihm noch immer in die Augen. Er konnte einfach nicht glauben, was Thomas gerade gesagt hatte. Er hatte also mit Biggi geschlafen, letzte Nacht. Mit seiner Biggi. Enrico fragte sich, ob sie überhaupt noch seine Biggi war, immerhin hatte sie ihn betrogen und er hatte daraufhin mit ihm Schluss gemacht. Trotzdem verspürte er eine unheimliche Wut auf Thomas. Er dachte nicht einmal darüber nach, dass Biggi an der Sache mindestens genauso viel Schuld tragen könnte. Für ihn war Thomas der Schuldige. Er atmete tief durch, dann holte er mit der Faust aus und schlug zu. Er traf Thomas ins Gesicht und dieser taumelte darauf nach hinten gegen die Wand. „Enrico, hör auf!“, Karins Schrei war durch die halbe Klinik zu hören und alle anderen Leute auf dem Gang blickten sich um und sahen zu dem Medicopterteam. Enrico reagierte jedoch nicht, er wollte gerade wieder zuschlagen, als Peter gerade noch reagieren konnte und seinen Arm festhielt. „Sag mal spinnst du?“, rief ihn zur Ordnung. Enrico blickte ihn an. „Du hast es doch selbst gehört, er hat mit Biggi geschlafen!“, Enrico kochte vor Wut. „Ja, aber dazu gehören immer zwei.“, versuchte Peter ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Enrico stockte. Peter hatte Recht, dazu gehörten wirklich immer zwei. Wenn Biggi es nicht gewollt hätte, wäre es nie dazugekommen, das musste er sich wohl oder übel eingestehen. Doch es war ziemlich hart für ihn zu erfahren, dass Biggi ihn ausgerechnet mit einem Kollegen betrogen hatte, ausgerechnet mit Thomas. Wenn es wenigstens ein Fremder gewesen wäre. Doch nun hatte Enrico wenigstens Klarheit.

Michael war währenddessen zu Thomas gegangen, der immer noch an die Wand gelehnt dastand und auf den Boden starte. Mit Enricos Reaktion hatte er gerechnet und es war ihm auch mehr oder weniger egal. Wichtig war nur, dass Biggi überleben würde. Er machte sich solche Vorwürfe, nur wegen ihm war das alles geschehen. Michael legte ihm seien Arm um die Schultern und versuchte ihn ein wenig zu trösten. Doch was hätte er seinem Freund sagen sollen? Es ist nicht deine Schuld, Thomas? Michael wusste schließlich selbst, dass Biggi diesen folgenschweren Entschluss getroffen hatte, weil Thomas ihr gesagt hatte, dass aus ihnen nichts werden könne. Zumindest war dies der Hauptgrund gewesen. „Biggi wird mir das nie verzeihen.“, flüsterte Thomas unter Tränen, „Ich kann es mir selbst ja nicht einmal verzeihen. Hätte ich ihr doch nur heute Morgen meine wahren Gefühle gestanden…“ Ihm liefen Berge von Tränen über die Wangen. „Doch, Thomas, das wird sie. Ich bin mir sicher, Biggi wird dir verzeihen. Sie liebt dich doch.“ „Und was ist, wenn sie stirbt?“, schluchze Thomas. „Sie wird nicht sterben, Thomas. Sie hat ein starkes Herz, sonst hätte sie es gar nicht bis hier hingeschafft. Sie hat es bis hierhin geschafft und sie wird es auch noch weiter schaffen. Davon bin ich überzeugt. Und wenn du sie nicht gefunden hättest, dann hätte sie gar keine Chance gehabt, du hast ihr das Leben gerettet, Thomas!“ Michaels Worte taten Thomas unheimlich gut. Biggi musste es einfach schaffen, er brauchte sie doch, sie durfte ihn nicht verlassen!

Peter hatte Enrico, der langsam wieder etwas ruhiger wurde, wieder los gelassen. Enrico hatte das Gespräch zwischen Thomas und Michael mitbekommen. Wenn es wirklich so war, dass Biggi Thomas liebte und er sie, vielleicht sollte er das wirklich akzeptieren? So schwer es ihm auch fiel. Er liebte Biggi noch immer, ein wenig zumindest. Doch die Tatsache, dass sie ihn mit Thomas betrogen hatte, machte es für Enrico unmöglich weiterhin mit ihr zusammen zu sein. Damit konnte er einfach nicht leben, das Vertrauen war weg. Und wenn Michaels Worte, dass Biggi Thomas liebte, wirklich wahr waren, dann musste er sich wohl damit abfinden, dass es zwischen ihm und Biggi ein für allemal aus war und Biggi Thomas liebte. Das wurde ihm langsam bewusst. Vielleicht war es ja wirklich besser so, immerhin hatten er und Biggi in den letzten Wochen nur noch Probleme gehabt. Er seufzte und ließ sich dann auf den Stuhl, auf dem vorher Michael gesessen hatte, sinken. „Alles ok?“, frage Karin, die neben ihm saß. Enrico nickte schwach. „Ich werde mich wohl damit abfinden müssen, dass es zwischen mir und Biggi vorbei ist.“ Karin nickte. „Ist wohl das Beste.“ Sie wusste schließlich aus dem Gespräch mit Biggi, dass sie Thomas liebte. Karin sah zu Thomas hinüber. So fertig hatten die anderen ihn noch nie gesehen. Aber das interessierte jetzt niemanden, es zählte nur, dass Biggi überleben würde. „Komm schon. Gib dir nen Ruck und entschuldige dich bei Thomas.“, meinte sie dann zu Enrico. Er sah sie zweifelnd an, nickte dann jedoch. Sie hatte ja Recht. Enrico wollte gerade aufstehen um sich bei Thomas zu entschuldigen, als plötzlich die Tür des Behandlungsraums aufging und ein Arzt hinaustrat. Sofort sprangen alle auf und sahen ihn hoffnungsvoll, aber gleichzeitig auch mit dem Schlimmsten rechnend an. Keiner wagte es etwas zu sagen, sie wagten es ja sogar kaum noch zu atmen. „Nun sagen Sie schon, was ist mit ihr?“, fragte Thomas schließlich, nachdem er sich die Tränen mit dem Ärmel aus dem Gesicht gewischt hatte. Er hielt diese Ungewissheit nicht mehr länger aus. Der Arzt sah in die besorgten Gesichter des Teams und begann dann, zu reden. „Ihre Kollegin lebt und das hat sie nur Ihnen zu verdanken. Wenn sie nicht so schnell gefunden und hierher gebracht worden wäre, dann wäre sie jetzt nicht mehr am Leben…“, begann er und sah dabei Thomas und Michael an. Die beiden sahen sich einen Moment lang an, dann fielen sie sich so erleichtert wie noch nie in die Arme. Biggi lebte, das war das wichtigste. Sie hatten es geschafft. „Wir haben sie auf die Intensivstation gebracht. Ihr Kreislauf ist durch den enormen Blutverlust noch ziemlich schwach, aber mit Hilfe von Blutkonserven und Medikamenten bekommen wir das wieder in Ordnung.“ Das Team lag sich glücklich in den Armen. „Ich hab’s dir doch gesagt, sie wird es schaffen.“, meinte Michael zu Thomas, der ihm daraufhin überglücklich um den Hals fiel. „Können wir zu ihr?“, fragte Karin den Arzt dann. „Frau Schwerin ist noch nicht wieder bei Bewusstsein und sie braucht noch sehr viel Ruhe. Aber ich denke, ich kann es verantworten, dass einer von Ihnen für ein paar Minuten zu ihr kann.“ Alle Blicke richteten sich auf Thomas. „Nun geh schon.“, sagte Peter schließlich. Thomas warf einen zweifelnden Blick auf Enrico. Als dieser ihm dann ebenfalls zunickte, ging er auf den Arzt zu. Dieser rief eine Schwester, die Thomas zu Biggi bringen sollte, während er selbst das Team noch genauer über Biggis Zustand informieren wollte.

Während Thomas der Schwester folgt, fragte er sich, ob Biggi ihn überhaupt sehen wollen würde, ob sie ihm jemals verzeihen würde. „Oh Biggi, was habe ich dir nur angetan?’, fragte er sich immer wieder. Er machte sich die größten Vorwürfe. Warum hatte es nur soweit kommen müssen? Sie musste so verzweifelt gewesen sein, als sie sich versucht hatte das Leben zu nehmen. Und er war schuld. Wieder hatte er ihr Gesicht vor Augen, den Blick mit dem sie ihn angesehen hatte, als sie im Helicopter kurz zu sich gekommen war. Es musste doch eine zweite Chance für sie geben, ihre Liebe musste weiterleben. Doch würde Biggi ihm verzeihen? Er hoffte es so sehr, hoffte einfach nur, dass alles wieder gut werden würde.

Schließlich hatten sie die Intensivstation erreicht und wenig später Biggis Zimmer. Thomas öffnete langsam die Tür und trat dann zögerlich ins Zimmer. Dort lag sie, seine Biggi. Er ging ganz langsam auf sie zu und blieb dann vor ihrem Bett stehen. Sie hatte die Augen geschlossen und sah schrecklich blass aus. Die Schnittwunde, die sie sich mit dem Messer zugefügt hatte, wurde durch einen dicken Verband verdeckt. Über einen Zugang an der anderen Hand bekam sie mehrere Infusionen, die ihren Kreislauf stützen sollten.

Thomas setzte sich langsam auf den Stuhl neben ihrem Bett und fasste nach ihrer Hand. Bei ihrem Anblick stiegen ihm wieder Tränen in die Augen. Außer seinem Schluchzen war nur das langsame, aber regelmäßige Piepsen des EKGs, das Biggis Kreislauf überwachte, zu hören. Eine Träne nach der anderen tropfte auf Biggis Bettdecke und auf ihre Hand. Thomas hätte alles dafür gegeben, wenn sie jetzt die Augen aufschlagen würde und ihn anlächelte. Oder wenn sie zumindest wüsste, dass er bei ihr war. Er strich ihr zärtlich mit der Hand über die Wange und flüsterte dann leise. „Biggi, ich liebe dich und ich werde dich niemals verlassen, das verspreche ich dir. Du musst jetzt ganz schnell wieder gesund werden, ja? Ich brauche dich doch…“ Wieder kullerten ihm einige Tränen übers Gesicht. „Du musst mir das auch nicht verzeihen, niemals. Genauso wenig wie ich es mir selbst jemals verzeihen werde. Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich dich liebe und dass ich immer für dich da sein werde….“ Er ließ seinen Kopf nach unten sinken, auf Biggi's Hand. Er hielt sie so fest wie er nur konnte. Niemals, niemals mehr würde er von ihrer Seite weichen. Das hatte er heute schon mal getan. Und fast hätte es Biggi mit dem Leben bezahlen müssen, was ihn wiederum ebenso das Leben gekostet hätte. Diesen Fehler würde er nicht noch einmal machen. Nie mehr wieder. Und selbst wenn Biggi ihm nicht verzeihen würde, er würde sie trotzdem immer lieben und immer an ihrer Seite sein, wenn auch nur in Gedanken. Doch im Moment konnte er sich nichts anderes vorstellen, als zusammen mit Biggi glücklich zu werden. Bestand denn noch die Möglichkeit? Mit ihr zusammen zu sein? Gab es denn noch einen Hoffnungsschimmer? Nach alldem, was passiert war? Eigentlich hätte Thomas die letzte Nacht verfluchen können. Sie hatte so viel so kompliziert, so schrecklich unbegreiflich gemacht. Sie hatte ihn dazu geführt, die größte Dummheit seines Lebens zu machen, was Biggi dazu geführt hatte ebenso die größte Dummheit ihres Lebens zu machen. Und jetzt lag sie hier, immer noch mehr tot als lebendig. Doch was wäre passiert, wenn es die letzte Nacht nicht gegeben hätte? Hätte er je irgendeine Chance für die Liebe seines Lebens gespürt? Es wäre wahrscheinlich alles im selben Trott weitergelaufen, niemals wären sie dazugekommen, sich ihre Liebe einzugestehen. Ein Leben lang hätten sie weiter getrennt voneinander verbracht, wären nebeneinander blind an ihrem Glück vorüber gelaufen, Biggi mit endlosen Streits mit Enrico, Thomas ewig ungeliebt. Sie wären einfach so aneinander vorbeigelaufen. Als hätten sie einen Vorhang vor Augen gehabt, und niemand wäre imstande gewesen diesen zu öffnen. Bis auf diese Nacht. Diese Nacht war ein Segen. Sie allein hatte es geschafft, sowohl vor Biggi's als auch vor Thomas' Augen den schweren Vorhang beiseite zu schieben, ihn einen Spalt breit zu öffnen und die beiden einander sehen zu lassen. Diese Nacht hatte so viel verändert. Es war vergleichbar mit dem Ausbruch eines Vulkans. Alles hatte ruhig in sich geschmort, nie hätte Thomas den Mut gehabt, Biggi über seine wahren Gefühle in Kenntnis zu setzen. Doch plötzlich, in dieser Nacht, war er ausgebrochen. All sein Inhalt hatte die Umgebung in Schrecken versetzt und eine ganze Menge Lebendiges sterben lassen. Genau wie die Liebe zu Enrico. Genau wie die verdrängten Gefühle. Genau wie den Schleier vor den Augen der beiden. Doch nachdem die Lava eines Vulkans alles zerstört hat, nachdem die letzte Nacht eine ganze Menge selbstverständliche Dinge außer Kraft gesetzt hatte, passierte immer dasselbe. Das Land wurde fruchtbar, es begann neues Leben, ein besseres als das alte. Und genau das könnte auch mit Biggi und Thomas passieren. Thomas hoffte es so sehr. Er konnte an nichts anderes mehr denken als an den Wunsch, mit Biggi zusammen zu sein. Mit ihr, nur mit ihr, würde er jemals sein Glück finden. Und wenn er es recht bedachte – ihr Anblick, selbst wenn sie die Augen geschlossen hatte und keine Bewegung von sich gab, ihr Anblick und der Anblick des EKG-Monitors, der ganz eindeutig die klaren Lebenszeichen seiner geliebten Biggi von sich gab, machten ihn zum glücklichsten Menschen auf der Erde.

Er sah sie an. Und in diesem Augenblick wurde ihm endgültig unbegreiflich, wie er das nur hatte tun können. Wie er diese Frau nur hatte gehen lassen können. Würde sie ihm je verzeihen? Als er diese Frage zum tausendsten Mal in seinen Kopf hämmerte, war es plötzlich, als hätte sie ihn verstehen können. Langsam öffnete Biggi ihre Augen. Thomas erschrak ein wenig, doch dann neigte er sich sofort ganz nah zu ihr. Sie sollte ihn sehen, sobald sie aufwachte. Biggi verstand erst gar nicht, wo sie war. Ganz leicht öffnete sie ihre Augen, erst blickte sie geradeaus, doch dann langsam zu ihm, bis sie ihm direkt in die Augen sah. Dabei fuhr ein Schauer über Thomas' Rücken, und ein gewaltiges Kribbeln erfüllte seine gesamte Magengegend. "Biggi"  sagte er leise. Biggi war noch völlig schwach, schaffte es kaum, die Augen offen zu halten. Doch sie sah ihn, daran wollte sie sich festhalten – zu groß war die Angst, dass er beim nächsten Mal schon nicht mehr da sein würde. "Tho-mas", flüsterte sie. Erst jetzt bemerkte sie, dass er ihre Hand hielt. Sie konnte das alles nicht glauben. Wo befand sie sich??? Das letzte, woran sie sich erinnern konnte, war das Messer, das sie in der Hand gehalten hatte, und wie sie sich damit den Schnitt für den Austritt aus diesem Leben zugefügt hatte. Sie hatte nicht mehr weiterleben wollen. Gerade wegen diesem Mann, der offensichtlich gerade vor ihr saß. "Bin ich ... im Himmel?", fragte sie dann plötzlich mit allen Kräften, die sie zusammensuchen konnte. "Fast.", sagte Thomas ganz leise. "Da wärst du wohl gern. Aber ... ich wollte dir noch sagen, dass du es hier unten genauso schön haben kannst. Biggi, ich ... es tut mir so leid." Seine Augen füllten sich mit Tränen. "Ich habe den größten Fehler meines Lebens begangen. Ich werde es mir nie verzeihen, und ... und wenn du mir auch nie verzeihst, kann ich das völlig verstehen." "Weshalb ... denn?", flüsterte sie. "Na ich hab dich dazu getrieben, so einen Blödsinn zu machen. Und fast hättest du es geschafft." "Warum ... hab ich es denn nicht geschafft?" "Naja, ich ... ich hab dich gefunden. Ich wollte dir sagen, wie leid mir alles tut. Aber da war's schon zu spät." "Es ist niemals zu spät.", sagte Biggi darauf und blickte ihm tief in die Augen. "Du kannst nichts dafür. Das war meine Entscheidung. Ich liebe dich nun mal so sehr. Und ohne dich zu leben ... das konnte ich mir nach dieser Nacht nicht mehr vorstellen." "Ich könnte es mir auch nicht mehr vorstellen, Biggi! Aber du brauchst mir nicht zu verzeihen - das wäre völlig fehl am Platz. Ich hab so einen Mist gebaut." "Hast du nicht. Du bist nun mal ein Sturkopf. Das liebe ich genauso an dir wie deine Augen. Du hast keine Schuld. Aber ... gibt es denn wirklich noch eine Chance für uns?" "Ja, Biggi, ja! Von mir aus auf jeden Fall ... aber, ob du mich noch willst..."

Beiden rannen Tränen übers Gesicht. Dann flüsterte Biggi: "Komm her. Sofort. Bitte. Ich will dir antworten..." Ganz langsam und zaghaft näherte sich Thomas Biggi's Gesicht. Er konnte nicht glauben, was gerade geschah. Biggi war zu schwach, um sich zu bewegen oder ihren Kopf zu heben, doch an ihrem Blick erkannte Thomas, dass er genau das tat, was sie wollte. Ihre Lippen berührten sich, und schließlich vereinten sie sich in einem unendlich zärtlichen Kuss, der Vorhang wurde endgültig aus seiner Verankerung gerissen, ihre Liebe strömte ineinander über, sie küssten sich, als ob sie noch nie in ihrem Leben geküsst hätten. Als sie nach einer langen Weile voneinander abließen, flüsterte Biggi: "Ich glaube, du irrst dich. Ich bin doch im Himmel..." Sie lächelten sich voller Liebe an, konnten sich dann aber keine weitere Sekunde mehr beherrschen und küssten sich abermals, voll Zärtlichkeit und Leidenschaft. Sie vergaßen alles um sich herum, schwebten wie auf einer Wolke - der Wolke ihrer Liebe, die ihnen klar machte, dass nichts anderes zählte. Sie sahen nur sich, spürten nur sich, liebten sich ... und die wundervolle Reise zum Himmel ihrer Liebe begann. Sie sollte endlos werden...

 

The End



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