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Einmal Himmel und Retour

 

 

"Sag mal Michael, wo ist eigentlich die Zeitung schon wieder hin?", fragte Thomas seinen besten Freund, bevor er den letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse nahm. "Wie immer, dort wo du sie liegen lassen hast.", kam es von Michael aus der anderen Ecke der geräumigen Wohnküche zurück. Thomas verdrehte die Augen, Michael tat immer so, als ob er der einzige wäre, der öfter mal für Chaos sorgte, dabei war der Notarzt fast genauso schlimm wie sein bester Freund. "Sag mal, was machst du da eigentlich schon wieder?", wollte Thomas wenige später von Michael wissen, der wie fast jeden Morgen nach dem Frühstück an seinem Laptop saß und ein wenig im Internet surfte. Hier erhielt er zumindest auch die aktuellsten Nachrichten aus Deutschland, denn deutsche Zeitungen gab es hier in Kalifornien nicht. Thomas hingegen hatte mit Computern nicht sehr viel am Hut und entnahm die neusten Informationen lieber der Zeitung. "Schau mal...", rief der Notarzt plötzlich erschrocken, sodass Thomas fast seine Kaffeetasse fallen lassen hätte. Er kannte Michael schon seit Jahren und wusste, das dieser Unterton in seiner Stimme nichts Gutes verhieß... Im Gegenteil, es musste irgendetwas schlimmes passiert sein, nur was? Wenige Sekunden später stand der Pilot neben seinem Freund, der noch immer wie gebannt auf den Bildschirm des Laptops starrte. "Was ist denn los?", fragte er verwundert, doch im selben Moment erübrigte sich seine Frage, denn er sah mit eigenen Augen, was Michael soeben so sehr schockiert hatte und ihn nun noch wahrscheinlich noch weitaus mehr schockierte als seinen besten Freund. "Oh Gott", brachte der Pilot nur noch leise hervor und scrollte mit der Maus herunter, um auch das Ende des Artikels, der die Überschrift "Medicopter 117 Pilotin bei Einsatz schwer verletzt" trug, lesen zu können. Er musste sich erstmal hinsetzen. Dann lasen die Freunde Zeile für Zeile des Artikels, dessen Inhalt sich wie ein Alptraum anfühlte.

"Die Helicopterpilotin Biggi S., Mitglied des bekannten Medicopter 117 Rettungsteams, wurde vergangenen Freitag bei einem Einsatz in den Bergen lebensgefährlich verletzt. Nachdem zwei Bergsteiger an der Wildspitze verunglückt waren, konnte das Team die überlebende Person erfolgreich bergen. Als der Sanitäter Enrico C. einen Hang hinunterstieg, um den dort verbliebenen Notfallrucksack zu holen und dabei von der Pilotin gesichert wurde, stürzte diese aufgrund unerklärlicher Umstände ab, landete auf einem Felsvorsprung und erlitt dabei schwere Verletzungen. Sie wird heute in der Marienklinik München behandelt, über ihren ernsten Zustand wollen die Ärzte keine näheren Auskünfte geben. Unser Reporter konnte erfahren, dass das Überleben der jungen Pilotin nicht gesichert ist."

Neben dem Artikel war noch ein Foto von Biggi. Thomas konnte sich sogar erinnern, wann es aufgenommen worden war. Sie strahlte darauf mit ihrem hübschesten Lächeln. Eine Weile konnten die beiden überhaupt nichts sagen. Sie waren sprachlos. Und fassungslos. Warum ausgerechnet Biggi? Warum ausgerechnet sie? Thomas' Augen füllten sich langsam aber sicher mit Tränen. Michael ging es nicht viel besser. "Nein. Das darf doch einfach nicht wahr sein.", flüsterte Thomas verzweifelt und schlug die Hände vors Gesicht. Michael legte ihm die Hand auf die Schulter. "Wir müssen hin, Michael. Ich halte das sonst nicht aus." Michael nickte. Er hatte immer schon geahnt, noch lange bevor er und Thomas im Rahmen des Zeugenschutzprogramms Deutschland und somit auch die Medicopter Basis verlassen mussten, dass Thomas weitaus mehr an Biggi lag als er zugab. Doch wahrscheinlich konnte sich Michael nicht im geringsten vorstellen, was Thomas wirklich für Biggi empfand. Er liebte diese Frau über alles, immer schon, sie war der wichtigste Mensch in seinem Leben, obgleich er sie nun schon fast ein Jahr lang nicht gesehen hatte. Damals, bevor er und Michael Deutschland verlassen hatten, da wäre es bereits zweimal fast dazu gekommen, dass sich zwischen ihnen etwas angebahnt hätte, doch jedes Mal hatten sie sich dann doch nicht getraut, den ersten Schritt zu wagen und so war es dabei geblieben, dass sie beide einander heimlich begehrt hatten, es allerdings nie zu mehr als zu einer innigen Umarmung und einem tiefen Blick in die Augen gekommen war, nicht einmal zu einem Kuss. Wenn er das Foto von Biggi betrachtete, das über dem Artikel prangte, kam es ihm vor wie gestern, dass er sie, seine große Liebe, das letzte Mal im Arm gehalten hatte. Er musste sofort zu ihr, keine Sekunde konnte er mehr warten. Obgleich er wusste, dass er sein Leben riskierte, wenn er nach Deutschland flog, er konnte nicht anders.

Michael rief sofort beim Flughafen an und buchte zwei Tickets für den nächstmöglichen Flug nach München, der in knapp drei Stunden gehen würde. Thomas hatte sich währenddessen wieder auf seinen Küchenstuhl sinken lassen. Er war vollkommen fertig und konnte es einfach immer noch  nicht begreifen. Seine Biggi lag jetzt irgendwo in einer Klinik, schwer verletzt, und er war nicht bei ihr. Im Handumdrehen packten sie die nötigsten Sachen, wobei Thomas mehr hilflos rumstand und Michael eigentlich fast die ganze Arbeit hatte. Nachdem der Arzt alles in einer großen Reisetasche verstaut hatte, nahmen sie sich ein Taxi zum Flughafen. Nach diesem Schock am frühen Morgen waren sie beide nicht mehr in der Lage gewesen, selbst Auto zu fahren.

Während sie im Flugzeug saßen, fragte Thomas sich die ganze Zeit, was wohl in dem einen Jahr, in dem Michael und er nicht mehr in Traunstein gewesen waren, alles passiert war. Ob Biggi manchmal auch noch an ihn dachte? Er dachte noch sehr oft an sie, jeden Abend, bevor er einschlief, denn sein Lieblingsfoto von ihr stand in einem Bilderrahmen auf seinem Nachttisch. Vielleicht war sie längst verheiratet? Thomas schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Ihm war klar, dass Biggi und die anderen dachten, dass er tot war. Damals war er bei dem Versuch Michaels Leben zu retten nicht mehr schnell genug aus einem Bergwerksstollen herausgekommen. Das FBI hatte ihn gerade noch in letzter Sekunde retten können, bevor alles explodiert war. Er und Michael waren dann zusammen im Rahmen des Zeugenschutzprogramms nach Kalifornien gebracht worden und hatten eine neue Identität annehmen müssen. Von Michael, der noch einmal kurz auf dem Friedhof aufgetaucht war, um sich von Karin entgültig zu verabschieden, wusste er, dass sie beide offiziell für tot erklärt worden waren und es auf dem Traunsteiner Friedhof ein offizielles Begräbnis gegeben hatte. Nach Michaels Schilderungen war Biggi damals total fertig gewesen. Sie war die ganze Zeit lang tränenüberströmt an seinem Grab gestanden und hatte dann eine rote Rose geküsst und sie in sein Grab geworfen. Den Satz, den sie dabei gesagt hatte, würde Thomas niemals vergessen: "Und nun stehen wir hier und können es einfach noch nicht begreifen. Thomas wir... wir werden dich nie...nie vergessen."

Der Flug dauerte viel zu lang. Die knappen 12 Stunden kamen Thomas wie 12 Tage vor. Wie es Biggi wohl inzwischen ging? Ob sich ihr Zustand gebessert hatte? Er hoffte es so sehr. Schon allein der Gedanke daran, dass seine Biggi zwischen Leben und Tod schweben würde, schnürte alles ihn ihm zu. Irgendwann hatten sie schließlich den Flug überstanden. Als die Maschine über München flog und sich durch die letzten Wolken gekämpft hatte, erkannte Thomas das erste Mal wieder die bayerischen Berge in Morgenstimmung. Wie hatte er das vermisst. Doch all das zählt im Moment nicht. Die Landschaft war unwichtig. Alles war unwichtig. Das einzige, was über Thomas' und Michaels Gedanken dominierte, war Biggi. Nachdem sie am Flughafen ihr Gepäck empfangen hatten, eilten sie sofort nach draußen und bestiegen ein Taxi. Etwa eine Stunde lang fuhren sie vom Flughafengelände zur Marienklinik. Als sie ausgestiegen waren und nun vor der Klinik standen, die sie vermutlich schon hundert Male in ihrer Berufslaufbahn angeflogen hatten, atmeten sie erstmal durch. "Thomas, wir müssen jetzt vorsichtig sein.", warnte Michael den Piloten. Er hatte während des Fluges lange darüber nachgedacht, wie sie vorgehen würden. Und er war zum Schluss gekommen, dass es vorerst das einzig Richtige war, sich auf keinen Fall zu erkennen zu geben. Das hieß, dass auch ihre Freunde nichts von ihrer Anwesenheit erfahren durften. Michael rechnete nach dem Zeitungsartikel bereits damit, dass Biggi vermutlich nicht ansprechbar sein würde. Bei schweren Verletzungen wurden die Patienten meist in künstlichen Tiefschlaf versetzt, sollten sie nicht ohnehin bereits im Koma liegen. Also würde niemand je davon erfahren, dass sie hier waren. Bis auf die Ärzte natürlich. Aber auch da hatte Michael einen Plan. Der Direktor der Marienklinik war nämlich ein sehr guter Freund von ihm. Sie hatten eine Zeit lang gemeinsam studiert. Zu ihm würde er Kontakt aufnehmen. "Wir gehen jetzt zu Walter. Du kennst ihn doch noch, oder?" Thomas nickte. Klar kannte er Walter. Er ahnte auch schon, was Michael vorhatte. Auf dem Weg zu Walter erklärte der Notarzt seinem Freund noch alles, und als sie mit großer Freude von einem natürlich überraschten Walter empfangen worden waren und diesem ihre Situation geschildert hatten, gingen sie gemeinsam mit ihm zu Biggi. Walter konnte ihnen leider überhaupt keine näheren Informationen zu Biggis Zustand geben. Er hatte schließlich nur einige wenige Privatpatienten, da der Großteil seiner Arbeit aus Schreibkram und Verwaltung bestand. Thomas und Michael schluckten erstmal, als sie nach ein paar Minuten Fußmarsch in der Intensivstation der internen Chirurgie landeten. Dort mussten sie erstmal warten, während Walter den Kollegen kontaktierte, der für Biggis Behandlung zuständig war. Die halbe Stunde, die verging, kam ihnen wie eine halbe Ewigkeit vor. Thomas ging unruhig auf und ab, während Michael nervös an den Fingernägeln kaute, was er sich eigentlich schon vor Jahren abgewöhnt hatte. Schließlich erschien Walter wieder vor ihnen. Er machte ein ernstes und zugleich bedrücktes Gesicht. "Tja, ich ... das fällt mir sehr schwer ...", begann er leise mit gesenktem Kopf. "Was ist mit ihr, sag schon!", drängte Thomas ihn. Michael legte den Arm um ihn und beruhigte ihn. "Sag uns die Wahrheit, Walter, wir vertragen es schon.", meinte er dann zu Walter. "Eure Kollegin ist noch am Leben, das mal vorweg. Aber ...die Verletzungen, die sie sich beim Sturz zugezogen hat ... sie sind sehr schwer. Sie hat nicht nur ein Schädelhirntrauma erlitten, sondern auch ein schweres Bauchtrauma. Im Moment können wir nicht sagen, ob sie überhaupt wieder aufwachen wird und selbst wenn, dann sind Spätfolgen nicht auszuschließen." Das hatte gesessen. Thomas kam es so vor als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggerissen und er würde in ein endloses, schwarzes Loch fallen. Es war so als würde sein ganzes Leben einfach einstürzen wie ein Kartenhaus. Was sollte er denn machen ohne Biggi? Er brauchte sie doch. Ein Jahr hatte er ihre Gegenwart nun schon entbehren müssen, jedoch hatte er immer in der Hoffnung gelebt, irgendwann, wenn die Gefahr durch den russischen Mafiaboss Linow gebannt war, wieder zurückzukehren. Aber nun? Er hatte schreckliche Angst, dass Biggi nie wieder aufwachen würde, ja vielleicht sogar sterben könnte. Dass er keine Gelegenheit mehr bekommen würde, ihr zu gestehen, dass er sie über alles liebte, immer schon. Er wollte jetzt einfach nur noch zu ihr. "Bitte, kann ich zu ihr....", flehte er mit Tränen in den Augen. Eigentlich hätte Biggis behandelnder Arzt ihm diese Bitte abschlagen müssen, da die Pilotin wirklich Ruhe brauchte, doch dann sah er Thomas in die Augen und ließ sich schließlich von seinem unendlich besorgten und zugleich flehenden Blick erweichen. "Also gut, aber nur ganz kurz.", willigte er zögernd ein.

Michael beschloss, Thomas allein zu Biggi gehen zu lassen, denn er hatte vor, sich von Walter ihre Röntgenbilder und Untersuchungsergebnisse geben zu lassen und diese genau durchzusehen, um detailliert über ihren Zustand informiert zu sein.

Thomas ließ sich währenddessen beinahe wie in Trance von dem Arzt zu Biggis Zimmer bringen. "Ich hole Sie in zehn Minuten wieder ab.", erklärte der Arzt ihm. Thomas nickte nur schweigend. Dann rückte er langsam die Klinke herunter. Seine Knie zitterten. Er hatte Angst vor dem, was ihn erwarten würde. Schließlich trat er jedoch langsam ein und ging mit zaghaften Schritten auf Biggis Bett zu. Seine Biggi, wie blass sie doch aus sah, und so zerbrechlich. Bei ihrem Anblick stiegen ihm noch mehr Tränen in die Augen, die nun langsam über seine Wangen rannen. Er setzte sich auf den Stuhl neben ihrem Bett und fasste dann zaghaft nach ihrer Hand, in der eine Kanüle steckte, über die sie lebenswichtige Medikamente zugeführt bekam. Es war alles still, das einzige Geräusch, das den Raum erfüllte, war das leise, aber regelmäßige Piepsen des EKGs, das durch Thomas' leises Schluchzen beinahe unterging. Langsam blickte der Pilot auf, zu Biggis Gesicht. Auf ihrer Stirn klebte ein großes Pflaster, das eine Platzwunde verdeckte. Der Arzt hatte schließlich von einer schweren Kopfverletzung gesprochen, Thomas hoffte jedoch so sehr, dass einfach alles nur wieder gut werden würde. Er sah sie lange so an, während immer mehr Tränen von seinen Wangen hinunter auf ihre Hand tropften. "Bitte Biggi, du musst wieder ganz gesund werden, ich brauche dich doch....", flüsterte er unter Tränen. Er konnte einfach nicht anders, beugte sich ganz nah zu ihr und küsste sie dann ganz sanft auf den Mund. Jetzt schien all das, was er sich damals nie getraut hatte, so einfach. "Ich liebe dich.", flüsterte er leise, wobei er ihr zärtlich über die Wange strich. 'Wie schön sie doch ist.', dachte er sich, auch wenn sie die Augen geschlossen hatte und ihr Gesicht blass war. Thomas hätte alles dafür gegeben, wenn sie jetzt die Augen aufgeschlagen und ihn angelächelt hatte, oder wenn sie einfach nur gewusst hätte, dass er da war. Doch sie wusste es, auch wenn sie nicht bei Bewusstsein war, sie spürte es. Wie durch einen Vorhang vernahm sie seine Stimme, die sanft zu ihr sprach und ihr versicherte, dass er sie liebte und sie brauchte. War sie im Himmel? Thomas war tot, das war sicher. Den Tag seiner Beerdigung würde sie niemals vergessen, es war der schlimmste in ihrem Leben gewesen. Doch warum hörte sie dann seine Stimme, warum sprach er zu ihr? Was war passiert? Langsam blinzelte sie und öffnete dann wie in Zeitlupe die Augen. Thomas konnte es nicht fassen. Im ersten Moment glaubte er, es sich nur einzubilden, doch als er wieder hinsah, blickten ihn Biggis rehbraune Augen, die ihm schon immer so gefallen hatten, an. "Biggi...", flüsterte er, während er sanft ihre Hand drückte und ihr zärtlich übers Haar strich. Schwach, kaum hörbar, flüsterte sie seinen Namen. Sie hatte eine Sauerstoffmaske um, da sie selbst zu schwach zum Atmen war, doch Thomas hatte genau verstanden, was sie gesagt hatte. "Biggi", sagte er nochmals. Die Tränen rannen in noch höherer Geschwindigkeit über sein Gesicht. "Was machst du denn für Sachen, hm, Süße?", fragte er sie lieb. Er konnte es gar nicht glauben. Biggi war tatsächlich aufgewacht. "Wo ... bin ... ich? ... Im ... Himmel?", flüsterte sie ganz leise, was ihr viel Kraft kostete. "Streng dich nicht an.", bat Thomas sie. "Wenn du möchtest, erzähl ich dir alles." Biggi schlug nur einmal die Augen nieder, was ein Ja bedeutete. Während Thomas nicht aufhörte, zärtlich und ganz vorsichtig über ihren Kopf zu streicheln, erzählte er ihr die ganze Geschichte in Kurzfassung. "Du bist nicht im Himmel. Ich lebe. Immer noch. Es tut mir so Leid, dass du und die anderen es damals nicht erfahren durftet. Ich hab den Gedanken kaum ausgehalten, dass du mich für tot hältst, wo ich doch lebte und Tag und Nacht an dich gedacht habe. Damals, in dem Bergwerksstollen, wäre ich fast verbrannt. Aber ein Agent vom FBI hat mich gerettet und bei einer anderen Öffnung rausgebracht. Nachher bin ich dann sofort weggebracht worden und später mit Michael in die USA geflogen. So war das. Ich hätte alles gegeben dafür, um euch nochmal sehen zu können. Um dich nochmal sehen zu können. Und um dir wenigstens noch etwas sagen zu können, aber ich durfte nicht." Biggi blickte ihn fragend an. Obwohl sie inzwischen wieder total müde geworden war, würde sie nichts davon abhalten, jetzt auf seine Antwort zu warten. "Was ich dir noch sagen wollte?", fragte Thomas. Sie nickte schwach. "Na, was ich dir schon gesagt habe. Dass ... dass ich dich liebe ..." Den nächsten Augenblick würde Thomas nie vergessen. Er war wohl einer der schönsten seines Lebens. Biggi strahlte ihn an, ihr Lächeln ließ ihn alles um sich herum vergessen. Dann drückte sie ganz leicht seine Hand und flüsterte: "Ich ... liebe ... dich ... auch ..." Einen Moment lang konnte Thomas überhaupt nichts sagen. Doch Biggi spürte trotzdem, wie sehr ihn ihre Antwort berührte. Obgleich sie sich durch die Verletzungen in ihrem Körper wie gefesselt fühlte, ihre Seele wäre am liebsten jubelnd herumgesprungen. Sie empfand unbeschreibliches Glück. Ihre Augen versanken ineinander, bis Biggi die Ihren irgendwann nicht mehr offen halten konnte und ganz langsam wieder in einen tiefen Schlaf fiel. Doch bevor sie das tat, drückte sie noch einmal Thomas' Hand. "Versprich mir, dass du wieder gesund wirst.", sagte Thomas leise, während er sie beobachtete. Er war unendlich besorgt. Gleichzeitig überglücklich aber auch unbeschreiblich besorgt. Nach einer Weile betrat auch Michael den Raum. Ganz leise trat er zu Thomas an Biggis Bett heran. Der erste Anblick erschütterte ihn. Er hatte die Pilotin fröhlich und lebhaft in Erinnerung, und nun lag sie reglos im Intensivbett und wirkte wie tot. Aber beim zweiten Hinsehen bemerkte er ein ganz leichtes Lächeln in ihrem Gesicht. Noch bevor er irgendwelche Fragen stellen konnte, meinte Thomas: "Sie ist aufgewacht. Ich konnte sogar mit ihr reden." Seine Augen strahlten dabei. "Was?" Michael konnte es nicht fassen. Gerade noch hatte er sich mit Dr. Roehrs, Biggis behandelndem Arzt, über ihren Zustand unterhalten. Sein Kollege, der sehr erfahren und kompetent war, hatte nicht daran geglaubt, dass Biggi in den nächsten Tagen irgendein Lebenszeichen von sich geben würde. Und nun das. "Hat sie dich erkannt?" "Das kann man wohl sagen.", meinte Thomas und lächelte. Michael freute sich. Erleichtert meinte er: "Du wirst schon sehen. Sie wird wieder. Es wird sicher seine Zeit brauchen, aber sie wird wieder." "Und die Spätfolgen?", fiel Thomas dann ein. "Da wird man abwarten müssen.", blieb Michael realistisch. "Ist sie denn wenigstens außer Lebensgefahr?", fragte der Pilot seinen Freund flüsternd. Biggi sollte seine Frage nicht hören. Er wusste, dass sie alles mitbekam, selbst wenn sie schlief. Michael antwortete nicht. Er drehte sich um und sah sich die Geräte an. "Sobald ihr Werte stabil sind, wird die Gefahr vorüber sein. Aber so wie es im Moment aussieht ... wir müssen mit Allem rechnen ..." Diese Worte fielen ihm schwer. Aber er wollte seinem Freund und auch sich selbst nichts vormachen. Die Gefahr war nach wie vor da. Das hatte auch Dr. Roehrs gesagt. Aber das Wichtigste in diesem Moment war daran zu glauben, dass alles wieder gut werden würde. "Aber du glaubst doch nicht, dass sie jetzt schlapp macht. Nachdem sie dich gesehen hat.", sagte Michael leise. Thomas schüttelte nur leicht den Kopf. "Na eben." "Können wir bei ihr bleiben?", fragte Thomas dann. "Tut mir Leid, es ist unmöglich. Ich würde auch lieber hier bleiben, aber es darf uns niemand sehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die anderen hier auftauchen. Wenn sich die Schichten nicht geändert haben, hat das B-Team in fünf Minuten Schluss. Und Dr. Roehrs meint, sie bekäme oft Besuch, auch wenn man nie lange bei ihr bleiben dürfe. Komm, sei vernünftig, Thomas. Walter hat uns angeboten, dass wir bei ihm wohnen dürfen, solange wir hier sind. Und da werden wir jetzt auch hingehen. Wir dürfen abends wiederkommen, wenn die Besuchszeit vorbei ist." Thomas ließ sich nur schwer überzeugen. Aber er wusste, wenn er sich jetzt nicht außer Sichtweite bringen würde, könnte er Biggi vielleicht gar nicht mehr sehen, weil es viel zu gefährlich wäre. Für die anderen ebenso wie für Biggi und ihn. Also riss er sich schweren Herzens von ihr los. Er drückte nochmal sanft ihre Hand, strich ihr zärtlich über die Wange und flüsterte ihr "Ich liebe dich. Bis bald." ins Ohr, bevor er hinter Michael das Zimmer verließ.

Und es war auch höchste Zeit gewesen, wie sich später herausstellte. Walter erzählte ihnen am Nachmittag bei einer Tasse Kaffee, dass kurz nachdem sie die Klinik verlassen hatten, bereits Enrico eingetroffen war. "Axel, also Dr. Roehrs, hat mir erzählt, dass er jeden Tag stundenlang an ihrem Bett sitzt. Ist er mit Frau Schwerin zusammen, wisst ihr davon etwas?" Thomas schluckte. Es war ihm, als hätte jemand mit Pfeil und Bogen in sein Herz getroffen. Biggi und Enrico? Waren die beiden etwa wirklich zusammen? Aber sie liebte doch ihn, Thomas. Das hatte sie ihm selbst gesagt. Andererseits, wenn er daran dachte, wie Enrico Biggi schon damals, vor einem Jahr, umworben hatte ... Immer wieder hatte er den Eindruck gehabt, der Sanitäter wolle etwas von ihr. Aber wenn sie wirklich zusammen wären ... Thomas hielt den Gedanken kaum aus. Michael bemerkte, wie blass der Pilot plötzlich geworden war. In einem bestimmten Ton sagte er: "Nein, davon wissen wir nichts. Bestimmt gibt es keinen besonderen Grund dafür, dass Enrico so oft bei ihr ist. Ist denn ... eine junge blonde Frau ... ist sie auch öfter dort?" "Oh ja, davon hat Axel auch erzählt. Sie scheinen wohl Kolleginnen zu sein." Michael nickte. Ihm wurde ein wenig schwummrig in der Magengegend, wenn er daran dachte, wie nahe er Karin plötzlich war. Ohne, dass sie es wusste. Wie gern würde er einfach aufstehen, zur Klinik fahren und sie in die Arme nehmen. Doch das war unmöglich. Er durfte es nicht riskieren.

Nach dem Kaffee begaben sich Michael und Thomas in ihr Gästezimmer, um die Wartezeit zu überbrücken, bis sie wieder zu Biggi durften. Während Thomas die ganze Zeit über am Fenster stand und ins Leere blickte, nützte Michael die Zeit, um ihre Sachen auszupacken und in den Schrank zu legen. Immer wieder blickte er mitfühlend zu Thomas hinüber. "Ach komm, Thomas, mach dich nicht fertig. Das bringt doch nichts." "Was meinst du?", fragte Thomas seinen Freund tonlos. "Naja, dass du dich zu Tode grübelst, ob Enrico und Biggi nun zusammen sind oder nicht." Michael kannte den Piloten gut. Er wusste nicht nur, dass Thomas in all den Monaten kein einziges seiner Gefühle für Biggi abgestellt hatte, er wusste auch, was seit dem Gespräch mit Walter in ihm vorging. "Sie hat gesagt, dass sie mich liebt.", sagte Thomas dann ganz leise. "Was? Das hat sie dir gesagt?" Michael konnte es nicht glauben. "Ja, hat sie. Es hat sie viel Anstrengung gekostet, aber sie hat es gesagt. Das muss doch ernst gemeint sein." "Da bin ich mir sicher, Thomas. Es muss ihr enorm viel daran gelegen sein, dir das zu sagen. Und ich brauche ja nur daran zu denken, wie fertig sie damals bei deinem Begräbnis war. Selbst wenn es so wäre, dass Biggi mit Enrico zusammen ist. Sie hat bestimmt nie aufgehört, dich zu lieben. Das kannst du mir glauben." Thomas nickte. Jetzt ging es ihm schon ein wenig besser. "Komm, leg dich ein wenig hin. Wir werden heute Abend bestimmt lange aus sein." "Darauf kannst du dich verlassen.", bestätigte Thomas. Er befolgte Michaels Rat, da er im Moment sowieso nichts für sie tun konnte. Schlafen konnte er jedoch nicht. Wie auch mit dem Wissen, dass Biggi in der Klinik lag und es ihr nicht gut ging. Die Stunden vergingen langsam, viel zu langsam und er grübelte doch wieder darüber nach, was nun zwischen Biggi und Enrico war. Irgendwann jedoch schlief er auch ein, genau wie Michael.

Gegen 20 Uhr wurden die beiden dadurch aufgeschreckt, dass Walter das Zimmer betrat. "Wenn ihr wollt, können wir wieder zur Klinik fahren, die Besuchszeit ist zu Ende.", informierte er die beiden. Thomas und Michael sprangen sofort auf und wenige Augenblicke später saßen sie schon im Auto und befanden sich auf dem Weg zur Klinik. Thomas konnte es kaum mehr erwarten, endlich bei Biggi zu sein. Michael wollte wie schon am Nachmittag zunächst noch einmal mit Dr. Roehrs sprechen, während Thomas schon einmal zu Biggi ging. Den Weg zur Intensivstation kannte er bereits auswendig, obgleich er erst einmal dort gewesen war. Vor Biggis Zimmer blieb er stehen und atmete noch einmal tief durch. Er hoffte so sehr, dass es ihr vielleicht schon ein wenig besser gehen würde, obgleich er wusste, dass die Chancen dafür eher gering waren. Als er jedoch gerade zur Türklinke fassen und das Zimmer betreten wollte, wurde die Tür von innen geöffnet. Thomas erschrak und trat reflexartig einen Schritt zurück. Vor ihm stand Enrico, der ihn erschrocken ansah. Nachdem der Sanitäter sich wieder gefasst hatte, fragte er verwundert: "Thomas?" Er konnte es nicht glauben, sein ehemaliger Kollege, den alle für tot gehalten hatten, stand nun ohne Zweifel vor ihm. "Hallo Enrico.", brachte Thomas nur hervor, er war ebenso total geschockt, durfte ihn doch eigentlich niemand sehen und wissen, dass er in Deutschland war. "Aber... was machst du hier?", stotterte Enrico halb, der nun gar nichts mehr verstand. Thomas erklärte ihm kurz, was er auch vor wenigen Stunden Biggi erklärt hatte, die genaueren Details jedoch ließ er dieses Mal weg. Enrico blickte ihn immer noch ungläubig an. "Und du und Michael, ihr seid hergekommen, weil ihr von Biggis Unfall erfahren habt?", fragte er dann. Thomas bejahte dies und Enrico musste sogleich wieder daran denken, dass er insgeheim wusste, dass Biggi und er niemals zusammen gekommen wären, wenn Biggi nicht davon ausgegangen wäre, dass Thomas tot sei. Natürlich, er hatte von Anfang an ein Auge auf die Pilotin geworfen, doch hatte sie ihn damals nie wirklich an ihn heran gelassen, da ihr Herz immer nur Thomas gehört hatte. Doch nachdem sie davon ausgehen musste, dass Thomas, ihr Thomas, ihre große Liebe, bei diesem Unglück damals ums Leben gekommen war, war es zunächst so gewesen, dass sie von der Trauer fast aufgefressen wurde und immer wieder hatte sie sich Vorwürfe gemacht, dass sie es niemals gewagt hatte, Thomas offen zu sagen, was sie für ihn empfand. Enrico hatte sie damals getröstet und obgleich er wusste, dass Biggis Herz noch immer Thomas gehörte und er ihn wohl niemals würde ersetzen können, waren sie nach einigen Monaten eine Beziehung eingegangen. Enrico musste sich eingestehen, dass er sie dazu gedrängt hatte, doch es hatte Biggi gut getan. Er hatte sie dermaßen abgelenkt, dass ihre Trauer um Thomas mit der Zeit weniger geworden war. Was Enrico nicht wusste, war, dass Biggi noch vor wenigen Tagen ihre letzte durchweinte Nacht hinter sich gebracht hatte, so sehr hatte sie Thomas vermisst. Und nun war alles anders. Plötzlich war Thomas wieder da, wie von den Toten auferstanden. Enrico schluckte. Er wollte lieber gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn Biggi und Thomas sich wieder gegenübertreten würden, wobei er natürlich nicht damit rechnen konnte, dass Biggi bereits wusste, dass Thomas da war. "Wie geht es ihr?", wollte Thomas schließlich wissen und riss Enrico damit aus seinen Gedanken. "Unverändert...leider. Sie ist noch immer nicht aufgewacht.", berichtete der Sanitäter niedergeschlagen. Thomas musste daran denken, wie Biggi ihn angesehen hatte, ja und sie hatte sogar mit ihm geredet. Es musste doch etwas heißen, dass sie gerade dann kurz aufgewacht war, als er dort gewesen war, wohingegen sie in Enricos Gegenwart nie eine Reaktion gezeigt hatte. Thomas hielt es jedoch nicht mehr länger aus, er wollte jetzt Gewissheit haben. "Du und Biggi, ich habe gehört...ihr seid zusammen?", fragte er schließlich zögerlich. Enrico sah ihn an. Er hatte mit dieser Frage nicht gerechnet, obgleich ihm nun bewusst wurde, dass er sie hätte erwarten müssen. Er zögerte. Dann meinte er: "Ja, sind wir. Seit zwei Monaten." Thomas nickte nur. Er zeigte nicht, was für einen Schlag ihm diese Antwort versetzt hatte. Klar, er hatte es erwartet, nach den Erzählungen von Walter und nachdem er Enrico noch nach Ende der Besuchszeit hier angetroffen hatte. Doch ein kleiner Hoffnungsschimmer war immer noch vorhanden gewesen, der jetzt allerdings erloschen war. "Aha.", sagte er dann nur. Mehr brachte er nicht raus. "Und ... du? Ich meine ..." "Was?", fragte Thomas. "Ach nichts." Enrico wollte Thomas irgendwie auf seine Gefühle zu Biggi ansprechen, doch er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Natürlich wuchs nun die Angst in ihm, dass er Biggi verlieren könnte. Wenn nicht durch ihren Tod, dann vielleicht an Thomas. Er liebte sie wirklich und wollte sie um nichts in der Welt verlieren. Doch Thomas daran hindern, jetzt in diesen Raum zu gehen und Biggi zu sehen, das konnte er auch nicht. "Ich ... ich muss dich noch was bitten.", begann Thomas dann. "Es darf niemand wissen, dass wir hier sind ..." "Schon in Ordnung. Von mir erfährt niemand was.", versicherte ihm Enrico. "Danke." "Passt aber auf. Karin hält sich manchmal genauso wenig an die Besuchszeiten wie ich." "Gut, dass du mir das sagst." Schließlich verabschiedeten sich und Enrico verließ nachdenklich die Klinik. Währenddessen drückte Thomas ganz langsam die Klinke zu Biggis Intensivzimmer herunter. Dort lag sie, immer noch, zwischen all den Computern und Kabeln in ihrem Bett. Leise trat er an ihr Bett heran und setzte sich auf den Stuhl, auf dem zuvor bestimmt Enrico gesessen hatte. Biggi schlief tief und fest und rührte sich nicht. Thomas beobachtete, wie sich ihr Brustkorb langsam senkte und hob, was äußerst beruhigend auf ihn wirkte. "Ich bin wieder da.", sagte er dann leise. "Ich hab dich vermisst. Und ich hab mir Sorgen gemacht." Vorsichtig nahm er wieder ihre Hand und drückte sie sanft. Dann strich er ihr liebevoll über die Stirn. Biggi schlief tief und fest, doch sie spürte, dass er da war und ihre Hand hielt und es war, als würden ihre Werte, immer wenn Thomas bei ihr war, viel stabiler werden als zuvor. Thomas streichelte sie die ganze Zeit vorsichtig, drückte sanft ihre Hand und redete leise mit ihr. "Du musst jetzt kämpfen, Biggi. Hörst du, du darfst nicht aufgeben, ich brauche dich doch. Versprich mir, dass du wieder ganz gesund wirst, ja?" Er küsste sie sanft auf die Wange                        und flüsterte ihr dann leise "Ich liebe dich." ins Ohr. Wenige Sekunden später öffnete Biggi langsam die Augen und Thomas wurden auch die letzten Zweifel genommen, dass es ein Zufall war, dass sie in seiner Gegenwart aufgewacht war. Er neigte sich ganz nah zu ihr und lächelte sie an, während er sich langsam die letzten Tränen aus den Augen wischte. "Biggi.", flüsterte er dann leise und strich ihr zärtlich über die Wange. Biggi lächelte nur schwach, es tat gut, Thomas jetzt bei sich zu wissen. Sie formte mit ihren Lippen seinen Namen und brachte dann ein ganz leises, kaum hörbares "Ich liebe dich auch.", hervor. Noch einmal drückte sie leicht seine Hand, bevor sie erschöpft wieder die Augen schloss und wieder einschlief. Thomas betrachtete sie lächelnd. Er war sich nun auch ganz sicher, dass sie alles mitbekam, was um sie herum geschah, während sie schlief. Schließlich hatte sie ihm geantwortet. Und darüber war er überglücklich. Zwar machte er sich noch immer unheimliche Sorgen um sie, doch nun war sie zumindest schon zweimal aufgewacht, womit die Ärzte absolut nicht gerechnet hatten. Das war ein gutes Zeichen. Und sie hatte ihm wieder gesagt, dass sie ihn auch liebte. Zwar fragte er sich natürlich die ganze Zeit, wie es dann dazu gekommen war, dass sie mit Enrico zusammen war, doch er machte sich natürlich auch immer wieder bewusst, dass Biggi davon ausgehen musste, dass er nicht mehr am Leben war.

Michael betrat das Zimmer und riss Thomas damit aus seinen Gedanken. "Und?", fragte er seinen besten Freund dann. Thomas lächelte. "Sie war eben wieder kurz wach.", erzählte er Michael glücklich. Auch der Notarzt war erleichtert, denn er wusste, dass das ein gutes Zeichen war. "Ich bin mir sicher, deine Gegenwart tut ihr gut, sie bekommt auch, wenn sie schläft, viel von dem mit, was um sie herum geschieht.", erklärte er Thomas. Dieser nickte nur. "Ich weiß." Michael sah seinen Freund fragend an. "Ich habe mich ihr geredet, während sie geschlafen hat und als sie dann kurz wach war, hat sie mir geantwortet.", berichtete er lächelnd. Michael lächelte ebenso. Dann wurde er jedoch wieder ernst und betrachtete die Geräte, die Biggis Werte überwachten. "Siehst du, und ihre Werte sind auch schon wieder ein wenig stabiler geworden.", erklärte er Thomas danach erleichtert. "Gott sei Dank.", brachte dieser nur hervor, während er Biggi zärtlich übers Haar strich. "Bitte Michael, versprich mir, dass sie wieder gesund wird.", flehte er seinen Freund dann mit Tränen in den Augen an. "Du weißt, dass ich das nicht kann, Thomas. Aber schau mal, ihre Werte haben sich ein wenig gebessert und sie ist heute schon zweimal kurz aufgewacht, das ist ein sehr gutes Zeichen. Wenn ihr Zustand sich nicht verschlechtert, dann hat sie, denke ich, gute Chancen..." Thomas nickte. Er wusste, dass man im Moment abwarten musste, auch wenn es ihm schwer fiel.

"Komm Thomas, Biggi braucht jetzt Ruhe.", meinte Michael wenig später. Thomas nickte betrübt, er wusste, dass der Notarzt Recht hatte, trotzdem wäre er gern noch länger bei Biggi geblieben. Er beugte sich noch einmal ganz nah zu ihr und küsste sie sanft auf den Mund. Dann drückte er noch einmal ganz fest ihre Hand, die noch immer in seiner lag, und verabschiedete sich dann endgültig. "Ich komme morgen wieder, versprochen. Und Biggi...ich liebe dich.", sagte er leise. Michael, der bereits an der Tür wartete, beobachtete die Szene lächelnd, bis Thomas schließlich schweren Herzens aufstand und seinem Freund nach draußen folgte. Dort konnte er ihm endlich von der Begegnung mit Enrico erzählen, da er dies nicht in Biggis Gegenwart tun wollte. Michael war zuerst entsetzt, dass er Enrico angetroffen hatte, obwohl sie doch so vorsichtig mit den Besuchszeiten gewesen waren. Doch er wusste, dass man sich auf Enricos Wort verlassen konnte. Er war nicht nur als Sanitäter zuverlässig, sondern auch als Freund. Nur bezweifelte er, wie lange es noch Freundschaft bleiben würde, wenn Enrico herausfand, dass weit mehr zwischen Thomas und Biggi war als er dachte.

Auch als sie bereits wieder zuhause bei Walter saßen, dachte Michael noch darüber nach. Thomas hingegen dachte die ganze Zeit nur an Biggi. Sie musste einfach wieder gesund werden. Jedes Mal, wenn er ihr Krankenzimmer betrat, war da einmal die Hoffnung, dass es ihr vielleicht schon etwas besser ging als noch vor einigen Stunden, aber gleichzeitig auch die Angst, dass sich ihr Zustand verschlechtert haben könnte.

So vergingen fast zwei Wochen. Michael und Thomas wohnten noch immer bei Walter und waren nicht ein einziges Mal mehr jemandem aus der Crew oder einem Bekannten begegnet. Biggi wachte immer öfter kurz auf, meistens, wenn Thomas, der sie jeden Tag so oft es ging besuchte, an ihrem Bett saß. Zweimal war sie auch schon wach geworden, als sie Besuch von Karin hatte und einmal, als Max bei ihr war. Seitdem Thomas das erste Mal bei ihr gewesen war, war es deutlich bergauf gegangen und auch die Ärzte waren optimistisch. Dr. Roehrs konnte Michael und Thomas erleichtert darüber informieren, dass Biggi über den Berg war, falls keine gravierenden Komplikationen auftreten würden.

Als Thomas an diesem Morgen, noch weit vor Beginn der offiziellen Besuchszeit, wieder an Biggis Bett saß, ihre Hand hielt und leise mit ihr redete, ging plötzlich die Tür auf und Enrico stand im Zimmer. "Hallo ... Enrico.", begrüßte er den Sanitäter überrascht. "Hi ...", gab dieser ebenso überrascht zurück. "Ich hatte irgendwie Sehnsucht nach ihr.", versuchte Enrico seinen frühen Besuch zu erklären. "Ich auch.", erwiderte Thomas. Dann sah er zu Biggi, die friedlich schlief. Enrico nahm sich vom Fenster noch einen Stuhl und setzte sich auf die andere Seite des Bettes. "Hi, Liebling.", begrüßte er Biggi, was Thomas einen Stich versetzte. Wie sich das anhörte. Liebling. Sie war doch eigentlich sein Liebling. Aber das zu klären, dazu war im Moment absolut die falsche Zeit. Sie durften Biggi auf keinen Fall psychisch belasten, das war ihm völlig klar. Gerade war sie auf dem Weg der Besserung, da mussten sie alles tun, um ihr die Genesung zu erleichtern. Es war ein seltsames Gefühl, an Biggis Bett zu sitzen und ihre Hand zu halten, während Enrico an der anderen Seite des Bettes saß und ihre andere Hand hielt. Doch das war noch nicht genug. Es dauerte nicht lange, bis Biggi schließlich ganz langsam die Augen aufschlug. Zuerst erblickte sie nur Thomas und lächelte glücklich. Sie sahen sich in die Augen und lächelten sich einfach nur an. Es bedurfte keiner großen Worte und so erwiderte Biggi still seinen Händedruck und genoss einfach nur seine Gegenwart. Schließlich jedoch bemerkte sie, dass ihre andere Hand ebenso von jemandem gehalten wurde und drehte langsam den Kopf. Sie blickte direkt in Enricos Gesicht, der sich zu einem Lächeln gezwungen hatte, zu dem ihm eigentlich überhaupt nicht zumute war. Ja, natürlich freute er sich sehr, dass Biggi nun auch in seinem Beisein endlich einmal aufgewacht war, doch der vertraute Umgang zwischen ihr und Thomas, der es ihm unmöglich machte, daran zu zweifeln, dass Biggi noch viel – sehr viel für den Piloten empfand, missfiel ihm natürlich. "Schön, dass du wach bist, mein Liebling.", sagte Enrico leise, während er Biggis Hand drückte. Biggi erwiderte nichts darauf. Sie wusste nicht was. Natürlich war sie mit Enrico zusammen, aber sie musste sich eingestehen, dass es niemals so weit gekommen wäre, wäre sie nicht im festen Glauben gewesen, dass Thomas tot sei. Tief in ihrem Herzen hatte sie immer nur ihn geliebt, auch wenn ihr die Zeit mit Enrico gut getan hatte. Doch eigentlich, wenn sie es sich recht überlege, hatten diese zwei Monate ihr besonders deshalb gut getan, weil sie sie von dem Verlust ihrer großen Liebe abgelenkt hatten, meistens zumindest. Denn es hatte doch einige Nächste gegeben, in denen alles wieder hochgekommen war und sie sich eingestehen hatte müssen, dass sie wohl niemals über Thomas' Tod hinwegkommen würde. Und nun saßen sie hier beide an ihrem Bett, Enrico links und Thomas rechts und hielten ihre Hand. "Wie geht es dir denn?", unterbrach Thomas die Stille. "Es geht schon.", sagte Biggi leise und lächelte schwach. "Wann darf ich denn hier wieder raus?" "Ein wenig wirst du dich schon gedulden müssen. Aber vielleicht darfst du ja bald auf die normale Station. Da musst du dich aber anstrengen." "Ich versuch es.", sagte Biggi leise. Die beiden bemerkten, dass sie müde war und ihr die Augen beinahe wieder zufielen. Ihr war es ohnehin ein wenig zuviel. Hier der eine, da der andere Mann. Beide spielten eine große Rolle in ihrem Leben. Doch Thomas spielte die weitaus wichtigere. Nur, wie sollte sie das Enrico beibringen? Dazu war sie jetzt nicht im Stande. Lieber schlief sie weiter und hoffte, dass das nächste Mal nur Thomas an ihrer Seite sitzen würde. Als Enrico sich sicher war, dass Biggi wieder tief und fest schlief, fragte er Thomas leise: "Wirst du sie mir wegnehmen?" "Enrico, bitte nicht hier." "Doch, ich will das jetzt wissen. Sofort." "Enrico, ich ..." Thomas wusste nicht, was er sagen sollte. "Ich kann nur soviel sagen ... Ich liebe Biggi. Und sie, sie liebt mich auch. Immer noch." "Das glaube ich dir nicht. Sie hat dich doch längst überwunden." "Es ist aber so.", antwortete Thomas und versuchte, einen ruhigen Ton zu bewahren. Biggi sollte das schließlich nicht mitbekommen. Doch zu spät. Biggi hatte die Unruhe gespürt. Abermals öffnete sie langsam die Augen. Dann blickte sie zu Enrico und drückte zaghaft seine Hand. "Es ist wirklich so.", sagte sie leise. "Es tut mir so Leid, Enrico. Die Zeit mit dir war wirklich schön, und ich hab dich auch sehr lieb. Aber lieben ... lieben tue ich nur Thomas ..." Es kostete ihr sehr viel Kraft, das zu sagen. Nicht nur körperliche. Es war ungeheuer schwer, Enrico das klarzumachen, was sie eigentlich immer schon gespürt hatte, seit sie mit ihm zusammen war. Sie liebte Thomas, und diese Liebe würde durch nichts erschüttert werden, nicht einmal durch den vermeintlichen Tod. Sie drückte Thomas' Hand, und er drückte die Ihre. Er war so froh, dass sie das gesagt hatte, doch gleichzeitig war er besorgt, dass ihr das nicht alles zuviel wurde. "Aber ich liebe dich doch.", sagte Enrico mit Tränen in den Augen. "Bitte lass uns Freunde bleiben. Ich bin dir unheimlich dankbar für alles. Aber ich kann nicht ..." Biggi wollte noch weitersprechen, konnte aber nicht mehr. Sie war zu erschöpft und schließlich fielen ihr endgültig die Augen zu. Enrico ahnte aber ohnehin, was sie sagen wollte. Das war genug. Er schluckte eine Träne, die ihm hochkam, und sagte tonlos: "Ich glaube, ich gehe dann besser. Ich wünsche euch beiden viel Glück." "Enrico", sagte Thomas nur. "Es tut mir Leid." "Mir auch." "Es ... es wird doch an unserer Freundschaft nichts ändern ...?", fragte Thomas ihn. "Lass mir Zeit, ok?" Thomas nickte. Dann verließ Enrico schweigend den Raum. Thomas blieb allein mit Biggi zurück. Einerseits war er total froh, dass es jetzt endlich raus war, dass Biggi eindeutig gesagt hatte, dass sie mit ihm zusammen sein wollte, nur mit ihm. Dass er ihr viel mehr bedeutete als Enrico, doch andererseits hoffte er, dass Enrico wenigstens ein bisschen Verständnis zeigen würde, obgleich Thomas natürlich verstehen konnte, dass er erstmal ein wenig Abstand brauchte.

Zwei Stunden später saß Thomas noch immer an Biggis Bett, hielt ihre Hand und betrachtete sie. Wie friedlich sie doch aussah, wenn sie schlief, dachte er sich und musste ein wenig lächeln. Inzwischen hatten die Ärzte auch längere Besuche genehmigt und Thomas wollte natürlich so lange wie möglich, solange, bis die offizielle Besuchszeit beginnen würde, bei ihr bleiben. Etwa eine halbe Stunde später öffnete Biggi erneut die Augen. Sie blickte sich um und stellte erleichtert fest, dass nur noch Thomas an ihrem Bett saß. Die Situation vor einigen Stunden hatte sie doch sehr angestrengt, doch nun konnte sie sich wieder entspannen und sah Thomas mit einem verliebten Blick in die Augen. "Komm näher...", sagte sie dann leise. Thomas beugte sich zu ihr und neigte sein Gesicht ganz nah an das Ihre, sodass sie nur noch wenige Zentimeter trennten. "Noch näher...", bat Biggi ihn lächelnd. Sie sahen sich tief in die Augen und lächelten sich an. Dann näherte Thomas sich ihr ganz langsam immer mehr, Zentimeter um Zentimeter, bis sich ihre Lippen schließlich ganz sanft berührten und dann in einem zärtlichen Kuss verschmolzen. Sie küssten sich lange und innig. Für Biggi tat es eine Wirkung wie zehn Infusionen auf einmal. Sie fühlte sich plötzlich viel besser und weniger schwach. Beide genossen den Kuss unheimlich. Als Thomas sich langsam wieder hoch beugte, meinte er lächelnd: "Wie war das noch mit dem nicht anstrengen? Schonung ist angesagt, mein Schatz." Biggi schüttelte den Kopf. "Das ist das Letzte, worauf ich verzichte. Ich liebe dich so." "Na und ich dich erst." Thomas lächelte. "Meinst du, Enrico ist sehr traurig?", fragte sie dann leise. "Mach dir darüber jetzt keine Sorgen. Bitte, Biggi." "Ich versuche es. Aber ich hab ihm so weh getan." Biggis Augen füllten sich mit Tränen. "Nicht weinen, bitte, nicht weinen.", sagte Thomas besorgt. "Er wird darüber hinwegkommen, bestimmt. Auch wenn es seine Zeit dauern wird." "Du hast ja Recht.", stimmte Biggi ihm zu. "Und ich kann ihn schließlich nicht belügen. Das hat er nicht verdient. Ich liebe nun mal dich, und das soll er wissen." Thomas nickte. "Und ich liebe dich." "Ich weiß.", sagte Biggi und lächelte. "So gefällst du mir schon viel besser." Thomas strich ihr sanft über die Wange und meinte dann: "Ich glaube, du solltest dich jetzt erstmal ein wenig ausruhen. Du willst doch schließlich schnell wieder gesund werden, oder?" Biggi nickte leicht. Natürlich wollte sie das und Thomas hatte ja Recht. Der heutige Morgen war doch sehr anstrengend für sie gewesen. "Ich muss leider gleich gehen, denn dann fängt die offizielle Besuchszeit an, aber ich werde noch warten, bis du eingeschlafen bist.", versprach er ihr. Biggi nickte zufrieden. "Ich bin so froh, dass du da bist. Das hätte ich mir alles nie träumen lassen.", sagte sie glücklich. "Ich mir auch nicht, mein Engel." Thomas lächelte. "Aber was, wenn ... wenn sie dich entdecken? Ich hab so Angst ...", meinte Biggi dann traurig. "Du brauchst keine Angst zu haben. Bitte mach dir keine Sorgen. Es wird sich schon für alles eine Lösung finden." "Ich will aber nicht mehr ohne dich leben.", flüsterte sie verzweifelt, und eine Träne rann über ihr Gesicht. "Das musst du auch nicht. Denkst du denn, ich würde nochmal ohne dich leben wollen? Nie mehr wieder, das kann ich dir versichern." Thomas sprach leichtsinnige Worte aus. Er wusste genau, dass es extrem schwierig werden würde, diesen Wunsch zu verwirklichen. Schließlich war die russische Mafia immer noch hinter ihm her. Es würde einem Wunder gleichkommen, wenn sie irgendwann in der nächsten Zeit gefasst werden würde. Aber irgendwie musste es doch funktionieren, dass er mit Biggi zusammen sein konnte. "Meinst du das ernst?", fragte Biggi ihn skeptisch. "Das weißt du doch. Ich würde dich niemals belügen. Und wenn ich dafür sterben muss, ich werde bei dir bleiben, egal, was passiert." "Nein, das lasse ich nicht zu. Niemals. Du darfst nicht dein Leben aufs Spiel setzen." "Lieber sterben als dich verlieren, mein Liebling." Nun begann Biggi, richtig zu weinen, und auch Thomas konnte sich nicht mehr zurückhalten. Thomas beugte sich zu ihr und nahm sie vorsichtig in die Arme. Sie weinten an der Schulter des anderen, und Thomas flüsterte in ihr Ohr: "Wir werden das schon irgendwie schaffen. Alles wird wieder gut." Noch eine ganze Weile verblieben sie so. Sie sogen die Nähe und Berührung des anderen in sich auf und vergossen bittere Tränen. Irgendwann fiel Biggi vor Erschöpfung in den Schlaf. Thomas strich ihr liebevoll übers Haar und küsste sie zärtlich auf den Mund. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig als sich schweren Herzens von seiner Liebsten loszureißen, er wusste, dass die Besuchszeit bereits begonnen hatte und er eigentlich seit einer Viertelstunde schon nicht mehr hätte hier sein dürfen. Er strich Biggi ein letztes Mal über die Wange und verabschiedete sich dann von ihr. "Bis heute Abend, mein Liebling. Schlaf dich gesund."

Als er bereits an der Tür stand, warf er ihr noch einen letzten sehnsüchtigen Blick zu und verließ dann endgültig das Zimmer. Keine Minute zu früh, denn gerade als er den Gang zum Fahrstuhl entlang ging, erblickte er Karin, die gerade aus dem Treppenhaus am Ende des Gangs kam. Schnell versteckte er sich hinter der nächsten Ecke und wartete, bis die Notärztin, die ihn glücklicherweise noch nicht bemerkt hatte, vorbeigegangen und in Biggis Zimmer verschwunden war.

Als Thomas das Gästezimmer betrat, das er und Michael nun schon seit zwei Wochen bewohnten, saß der Notarzt gerade vor seinem Laptop, den er immer bei sich trug und starrte konzentriert auf den Bildschirm. "Hallo Michael, ich bin wieder da.", begrüßte Thomas seinen Freund gut gelaunt. Er wollte ihm gerade berichten, dass Biggi sich eindeutig für ihn entschieden hatte, als er bemerkte, dass irgendetwas passiert sein musste. "Was ist denn los, Michael?", wollte er sofort wissen und blickte dann auch auf den Bildschirm des Laptops, den der Notarzt nun schon minutenlang anstarrte.
"Sehr geehrter Herr Dr. Lüdwitz, sehr geehrter Herr Wächter..." Schon nach der ersten Zeile wurde Thomas stutzig. Wieso bekam Michael eine E-Mail, in der sie noch mit ihren richtigen, anstatt mit ihren neuen, im Rahmen des Zeugenschutzprogramms erfundenen Namen angesprochen wurden? Er las weiter. "Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass
Sergej Linov sowie seine Komplizen festgenommen wurde und seine Aktivitäten in der russischen Mafia nachgewiesen werden konnten. Somit können wir Ihnen versichern, dass keinerlei Gefahr mehr für Sie besteht und Sie aus dem Zeugenschutzprogramm entlassen werden können.

Hochachtungsvoll

Oberstaatsanwalt Kern"

Thomas sah Michael an, er konnte es kaum glauben. "Dass, dass heißt wir können hier bleiben?", fragte der Pilot, der es noch immer nicht fassen konnte. "Nein, erst einmal müssen wir überprüfen, ob diese Nachricht echt ist. Du weißt, ich bin schon einmal getäuscht worden und nur durch so eine gefälschte E-Mail bist du in diese Sache mit reingezogen worden. Wir müssen verdammt vorsichtig sein." Thomas nickte, Michael hatte natürlich Recht. Doch immerhin bestand die Hoffnung, dass dieser ganze Alptraum nun endlich vorbei war.

Sie beschlossen, erst einmal niemandem etwas davon zu erzählen, auch wenn es Thomas schwer fiel, Biggi diese Neuigkeit zu verheimlichen, denn er wusste, das sie sich schreckliche Sorgen machte, er könne entdeckt und somit in Gefahr gebracht werden. Andererseits wollte er sie natürlich auch nicht enttäuschen, indem er ihr die gute Nachricht überbrachte und sie dann wiederrufen musste. Nein, er musste warten, bis es ganz sicher war.

Michael setzte in den nächsten Tagen alle Hebel in Bewegung, versand einen ganzen Haufen E-Mails an den Oberstaatsanwalt, an das FBI und an weitere Behörden. Erst wenn es wirklich von allen Seiten abgesichert worden war, würde er die gute Neuigkeit wirklich glauben können. Auch er hoffte es so sehr, doch er wusste, dass sie wirklich abwarten mussten. Wie gern wäre er sofort zur Basis oder zur Villa gefahren, um Karin zu treffen, doch es ging nicht – noch nicht.

Als Thomas am nächsten Morgen, wie immer in aller frühe, weit vor dem Beginn der Besuchszeit, Biggis Zimmer betrat, durchfuhr ein gewaltiger Schock seinen ganzen Körper. Das Zimmer war leer. Das Bett, in dem Biggi am vergangenen Abend noch gelegen hatte, war frisch bezogen worden und der Strauß Rosen, den er ihr vor zwei Tagen mitgebracht hatte, stand nicht mehr auf dem Nachttisch. Was war passiert? Thomas malte sich die schlimmsten Sachen aus und all seine Gedanken wurden beherrscht von einer unheimlichen Angst um Biggi. Er musste wissen, was los war, nur wie? Außer Enrico, Walter und Dr. Roehrs wusste sonst niemand, dass er in Deutschland war und wenn er sich nun zunächst in der Klinik durchfragen müssen würde, wäre es viel zu riskant. Er nahm kurz entschlossen sein Handy aus der Tasche und rief Michael an, etwas anderes fiel ihm in diesem Moment nicht ein. Michael versicherte ihm, nachdem er sich von Thomas die Situation erklären lassen hatte, dass er zusammen mit Walter sofort vorbeikommen würde und Thomas in Biggis Zimmer warten sollte, damit er unentdeckt blieb.

Unruhig ging er dort auf und ab, bis nach zwanzig Minuten endlich Walter und Michael in der Tür standen. "Ich habe gerade Axel nach eurer Kollegin gefragt, du kannst dich freuen Thomas, sie ist auf die normale Station verlegt worden." Ein riesengroßer Stein fiel von Thomas' Herzen. Er hatte solche Angst gehabt, die schlimmsten Vorstellungen waren in seinem Kopf herumgeschwirrt. Aber nein, er konnte sich sogar freuen, weil es Biggi offenbar gut genug ging um nicht mehr auf der Intensivstation bleiben zu müssen. Und das tat er auch. Freudig machte er sich mit Michael auf den Weg zu Biggi. "Ich lass dich erstmal allein zu ihr reingehen, ich hab nämlich auch noch was zu erledigen.", meinte Michael geheimnisvoll. "Was denn?", fragte Thomas ihn neugierig. "Zu Karin gehen und ihr erzählen, dass wir endgültig und todsicher wieder frei sind." "Das ist nicht dein Ernst." Doch! Ich hab alles nachgeprüft. Es besteht kein Zweifel, Linov ist gefasst!", jubelte Michael, worauf sich die beiden Freunde innig umarmten und eine Freude verspürten, wie sie es seit langer Zeit nicht mehr getan hatten. Doch schließlich konnten sie es beide nicht mehr erwarten, ihren Herzallerliebsten die großartige Nachricht zu überbringen. "Bis später, Dr. Lüdwitz.", verabschiedete sich Thomas grinsend von Michael. Es war ein tolles Gefühl, einander endlich wieder mit den eigentlichen Namen ansprechen zu können. "Halt die Ohren steif, Wächter.", antwortete Michael, winkte seinem Freund nochmal zu und schritt dann fröhlich von dannen. Mit dem Taxi fuhr er auf halbstündigem Weg zur Basis. Dort gab es gerade Kaffee zum zweiten Frühstück. Michael schlich sich durch den Hintereingang, niemand bemerkte ihn. Ganz leise schritt er vom Flur zum Aufenthaltsraum. In der Tür blieb er stehen. "Kann ich auch ne Tasse haben?", fragte er in die Runde und erntete endlos verdutzte Gesichter. Karin ließ das Tablett mit frischen Brötchen und Tellern fallen, das sie in der Hand gehabt hatte. Ein lautes Klirren war die Folge. Sie starrte ungläubig in Michaels Richtung. Er ging langsam auf sie zu, strich ihr lieb über die Wange und meinte leise: "Ich wollte dich nicht erschrecken. Willst du mich trotzdem noch? Ich bin frei." Karins entsetzter Gesichtsausdruck verwandelte sich langsam aber sicher in ein Lächeln. Sie brachte kein Wort raus, dafür aber fiel sie in Michaels offene Arme und hielt sich an ihm fest. "Ist das wahr? Du bist frei?", fragte sie ihn dann tonlos. Michael nickte. "Ja. Linov und seine Leute sind gefasst. Ich kann jetzt wieder tun und lassen was ich will. Auch Thomas." "Wie meinst du das?" "Thomas ist nicht tot. Das war alles nur erfolgreich gestellt. Wir haben ein Jahr gemeinsam in Kalifornien gelebt und sind hergekommen, als wir von Biggis Unfall gehört haben." Karin konnte es nicht fassen. Michael war hier und Thomas lebte? Alles Unheil, die Angst, die Sorge, die Sehnsucht sollten endlich ein Ende haben? Träumte sie das nicht alles? War das alles wirklich so? "Ich bin so froh, wieder bei dir zu sein, mein Schatz. Ich hab dich unendlich vermisst." Nachdem sie sich noch einmal innig umarmt und anschließend leidenschaftlich geküsst hatten, widmete Michael sich den anderen. Peter fiel ihm glücklich um den Hals. Auch Enrico begrüßte seinen ehemaligen Kollegen. "Hallo, ich bin Dr. Harland.", stellte Mark sich dann vor, da er und Michael sich schließlich noch nicht kannten. "Und ich bin Jens Köster." Auch Jens reichte Michael die Hand. "Es ist schön, wieder hier zu sein.", stellte der Notarzt dann fest, während er sich neben Karin an den Tisch setzte und Peter ihm ebenfalls eine Tasse Kaffee einschenkte. Es gab natürlich erstmal viel zu erzählen von Michaels Seite als auch von den anderen.

Thomas betrat strahlend Biggis Zimmer. Sie war wach und freute sich total, als sie ihn in der Tür erblickte. Vorsichtig richtete sie sich ein wenig auf, was inzwischen immer besser ging. "Hallo, mein Schatz.", begrüßte Thomas sie, "Ich hab dich vermisst." "Und ich dich erst.", gab Biggi lächelnd zurück. Dann fasste sie nach Thomas ' Ärmel und zog ihn langsam ganz nah zu sich, bis sie sich schließlich zärtlich küssten. Als sie sich nach einer ganzen Zeit wieder langsam voneinander lösten, konnte Thomas die gute Neuigkeit keine Sekunde länger mehr für sich behalten. "Biggi, stell dir vor, Linov und seine Komplizen wurden gefasst, Michael und ich sind frei, ich kann hier bleiben und brauche mich keine Sekunde mehr zu verstecken." Biggi sah ihn mit großen Augen an. Sie musste erst einmal langsam realisieren, was Thomas da gerade gesagt hatte. Er konnte bei ihr bleiben, musste nicht wieder zurück in die USA und sie musste keine Angst mehr um ihn haben, dass er entdeckt werden könnte. Überglücklich fiel sie ihm um den Hals. "Oh Thomas, ich bin so froh.", flüsterte sie, während ihr eine Freudenträne über die Wange rann. So hielten sie sich minutenlang einfach nur fest und wollten einander am liebsten gar nicht mehr loslassen. "Du solltest dich nicht überanstrengen, hm?", meinte Thomas dann jedoch nach einer Weile und bettete Biggi sanft wieder zurück ins Kissen. Nach dieser Nachricht ging es ihr jedoch gleich viel besser. Am liebsten wäre sie auf der Stelle aufgesprungen und hätte die ganze Welt umarmt. "Du hast mir vorhin einen ganz schönen Schrecken eingejagt, als ich in dein leeres Zimmer kam und nicht wusste, was los war.", erzählte Thomas ihr dann. "Oh nein, das wollte ich nicht.", entschuldigte Biggi sich. "Aber du kannst da doch nichts für. Außerdem bin ich doch unheimlich froh, dass es dir besser geht." "Und seit du da bist geht es mir noch viel besser.", meinte Biggi und lächelte ihn verliebt an. "Ich bin nicht nur da, ich werde auch immer da bleiben." Biggi strahlte. "Du machst mich so glücklich.", meinte sie und lächelte. "Na und du mich erst." "Wenn mir das alles vor ein Jahren jemand erzählt hätte, wie wir beide zusammenkommen würden, ich hätte ihn für komplett verrückt erklärt.", sagte Biggi. "Ich auch. Aber so spielt es eben manchmal, das Leben." Biggi nickte. "Weiß Karin eigentlich schon, dass ihr hier seid?" "Michael ist vorhin weg, um es ihr zu sagen. Die Arme wird bestimmt einen gehörigen Schrecken bekommen." "Allerdings. Aber das ist es ihr sicher wert.", meinte Biggi lächelnd. "Meinst du denn, du kannst wieder bei uns anfangen? Das wär so schön." Thomas überlegte. "Na klar wär das schön, aber ob das so einfach geht? Mein Nachfolger hat bestimmt keine Lust, aus so nem tollen Team auszutreten und sich versetzen zu lassen." "Da wär ich mir nicht so sicher. Jens' Tochter lebt in Köln und er hat schon öfter überlegt, ob er zu ihr ziehen soll. Schließlich gibt es dort auch einen Stützpunkt." "Na dann hoffen wir mal auf die Kräfte der Vaterliebe.", meinte Thomas grinsend. "Und was ist mit Michaels Nachfolger?" "Mark hat leider nirgends Kinder.", sagte Biggi enttäuscht. "Aber wer weiß, vielleicht findet sich dafür auch eine Lösung.", fügte sie nachdenklich hinzu. "Vorerst könntest du ja mal meine Vertretung übernehmen. So bald wird das wohl noch nichts mit dem Fliegen.", meinte sie dann mit einem traurigen Unterton. "Du wirst bald wieder fliegen können, bestimmt.", versicherte Thomas ihr. "Ach, du kennst doch diese Bürokraten. Das mit der Flugtauglichkeitsbescheinigung dauert immer eine Ewigkeit.", meinte sie genervt. "Aber die Hauptsache ist doch, du kannst wieder fliegen, oder?" "Ja, klar. Aber trotzdem." Plötzlich klopfte es an die Tür. "Herein?", rief Thomas. Die Tür öffnete sich, und vor ihnen standen Michael, Karin und Peter. "Stören wir?" "Nein, überhaupt nicht. Kommt doch rein." Erstmal gab es eine überschwängliche Begrüßung zwischen Thomas, Peter und Karin. Schließlich hatten sie sich noch überhaupt nicht gesehen. Anschließend nahmen sich die drei Stühle und setzten sich zu Thomas an Biggis Bett. "Wie geht's dir denn?", fragte Michael sie. "Hervorragend.", meinte Biggi glücklich. "Wie könnte es anders sein bei diesem Besuch?" "Da sind wir jetzt nicht gemeint.", meinte Peter grinsend. "Ach Quatsch. Sicher seid ihr auch gemeint.", sagte Biggi. "Na, hast du die Frühstücksrunde aufgewühlt?", richtete sie sich dann grinsend an Michael. "Ja, schon, aber es sind nur sechs Teller kaputt gegangen.", meinte der kleinlaut. "Die gehen auf meine Kappe.", fügte Karin hinzu. Glücklich kuschelte sie sich an Michael, der liebevoll den Arm um sie gelegt hatte. Ebenso wie Thomas und Biggi wollten sie sich am liebsten gar nicht mehr loslassen.

Den ganzen Nachmittag verbrachten sie alle noch bei Biggi, es gab ja auch viel zu erzählen, immerhin war einiges geschehen, in der Zeit, die Michael und Thomas in den USA verbracht hatten. Sie waren alle total froh, dass Michael und Thomas nun endlich wieder frei leben konnten und das ganze Versteckspiel ein Ende hatte. Karin war nun natürlich auch klar, warum sich Biggi von Enrico getrennt hatte. Zunächst hatte sie es kaum glauben können, als Enrico ihr davon berichtet hatte. Da er ihr die Gründe nicht nennen wollte, hatte sie Biggi gefragt, doch auch diese hatte gemeint, dass sie darüber jetzt nicht reden könne.

"Wo wollt ihr denn jetzt überhaupt wohnen?", wandte Peter sich irgendwann an Michael und Thomas. "Natürlich zieht ihr wieder in die Villa.", entschied Karin, die das Haus das ganze letzte Jahr lang allein bewohnt hatte, sofort für die beiden. "Nichts lieber als das.", meinte Michael sofort freudig. "Würdet ihr mich auch in eure WG aufnehmen?", fragte Biggi dann lächelnd, denn die gemeinsame Wohnung mit Enrico, der nachdem sie zusammen gekommen waren zu ihr gezogen war, wollte sie dem Sanitäter überlassen, nachdem sie ihn ohnehin schon so sehr enttäuscht hatte. "Da fragst du noch?", antwortete Thomas lächelnd, während er ihr sanft durchs Haar strich. "Ich möchte ab jetzt jede Sekunde meines Lebens mit dir verbringen, von daher fürchte ich, dass du sogar zu uns ziehen musst." Biggi strahlte ihn an. "Du machst mich zum glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt.", sagte sie leise und zog ihn dann zu sich, um ihn zu küssen. "Ich glaube, wir gehen dann mal wieder.", schlug Karin dann nach einem kurzen Blickwechsel mit Peter und Michael vor. Die beiden nickten nur. "Also, dann wünschen wir euch noch einen schönen Abend.", wandte Michael verschwörerisch grinsend sich an Thomas und Biggi. "Danke, euch auch.", gaben die beiden ebenfalls grinsend zurück und sahen ihren drei Freunden dann noch nach, wie sie das Zimmer verließen.

"Ich bin so glücklich.", seufzte Biggi und lächelte Thomas dann verliebt an. "Ich auch, ich bin unendlich froh, dass alles so gekommen ist." Biggi konnte ihm da nur zustimmen. Sie schwebten beide auf Wolke sieben und schmiedeten noch die halbe Nacht Zukunftspläne. Als Thomas dann jedoch merkte, dass Biggi schon beinahe die Augen zu fielen und er auch die Seinen kaum mehr offen halten konnte, meinte er schließlich: "Ich glaube, du solltest jetzt besser ein wenig schlafen, mein Liebling." Er war unheimlich froh, dass es ihr inzwischen schon wieder so gut ging, doch wollte er auf jeden Fall noch, dass sie sich schonte. Biggi lächelte. "Aber nur, wenn du bei mir bleibst." "Natürlich, ich werde die ganze Zeit da sein.", versicherte er ihr. Dann beugte er sich ganz nah zu ihr und gab ihr einen zärtlichen Gute-Nacht-Kuss, den Biggi glücklich erwiderte.

So vergingen auch die kommenden beiden Wochen. Thomas, der auf der Basis Biggis Vertretung als Pilot übernommen hatte, und Michael waren inzwischen in der Villa eingezogen. Die Dinge, die sie alle noch in Amerika hatten, wollten sie später gemeinsam holen, wenn Biggi wieder fit war, denn so konnten sie einen Trip zu viert daraus machen. Thomas besuchte Biggi jeden Tag in der Klinik, und jeden Tag ging es ihr ein wenig besser. Irgendwann konnten dann auch die Verbände abgenommen werden und sie unternahm immer wieder kleine Spaziergänge mit Thomas im Klinikpark. Thomas war stolz auf sie. Sie strengte sich wirklich an, schließlich wollte sie auch so bald wie möglich zu ihm in die Villa ziehen können. So dauerte es nicht mehr lange, bis der Tag kam, an dem Dr. Roehrs ihr Zimmer betrat und ihre Entlassung ankündigte. Im selben Zug würde auch die Flugtauglichkeitsuntersuchung stattfinden, die ein positives Ergebnis haben musste für die Bescheinigung.

Als Biggi an diesem Tag schließlich mit Thomas im Warteraum saß und darauf wartete, dass sie aufgerufen wurde, war sie schon ein wenig aufgeregt. "Was ist, wenn sie mich für untauglich erklären? Aus irgendeinem Grund?", fragte sie Thomas nervös. "Aber wieso sollten sie denn das tun? Du wirst sehen, die werden dich kurz untersuchen und sofort merken, dass niemand tauglicher sein könnte.", versuchte Thomas sie aufzumuntern. "Das tun sie bestimmt nicht." "Doch, glaub mir. Und nachher werden wir zur Feier was trinken gehen, und dann ziehst du endlich zu mir. Freust du dich schon?" "Was für eine Frage. Aber ich will das endlich vorbei haben." "Wirst du auch. In zwei Stunden ist es schon vorbei." "Hast ja Recht." Sie kuschelte sich in seine Arme. Lange konnte sie sich allerdings nicht an ihn lehnen, sie wurde von einer Krankenschwester aufgerufen. Sie verabschiedeten sich mit einem zärtlichen Kuss, bevor Biggi der Schwester in den Untersuchungsraum folgte.

Es wurden eine ganze Menge Untersuchungen mit ihr gemacht, von denen sie einen Teil schon von vor ein paar Jahren kannte, als ihr beim Absturz das Bein amputiert und Dank fabelhafter Gefäßchirurgie in der Klinik wieder angenäht worden war und sich anschließend auch die Frage der Tauglichkeit gestellt hatte. Natürlich waren viele Tests heute anders ausgelegt, abhängig von ihren Verletzungen.

Thomas wartete währenddessen geduldig im Warteraum. Er durchwühlte ein paar Zeitschriften und hoffte, dass bei der Untersuchung alles gut gehen würde. Er wusste, wie kritisch die Ärzte manchmal waren, und ebenso gut wusste er, dass Biggis Verletzungen bei weitem keine leichten gewesen waren. Und wenn er daran dachte, wie viel das Fliegen für Biggi bedeutete, wurde ihm schwindlig beim Gedanken daran, dass vielleicht etwas schief gehen könnte. Fliegen war Biggis Leben, das war bei ihr ebenso wie bei ihm selbst. Er zählte die Minuten, bis Biggi aus dem Behandlungsraum kommen und ihm die erleichternde Nachricht mitteilen würde. Doch es dauerte noch lange. Aus den erwarteten zwei Stunden wurden drei. Irgendwann öffnete sich schließlich die Tür. 

Thomas stand auf und ging Biggi entgegen. Als er in ihr Gesicht blickte, erschrak er. Biggi rannen Tränen übers Gesicht und aus ihren Augen sprach Verzweiflung. "Biggi, um Gottes Willen, was ist passiert?", fragte er besorgt. "Ich ... ich ... bin untauglich. Untauglich, verstehst du? Ich darf nie wieder fliegen, nie wieder!" Thomas konnte sie gerade noch festhalten, bevor sie vor Verzweiflung zusammengebrochen wäre. Er nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Er schaffte es jedoch nicht lange, den starken Mann zu spielen. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Nie wieder fliegen. Seine Biggi durfte nie wieder fliegen. Und das alles wegen eines verdammten Unfalls. Wie ungerecht die Welt doch sein konnte. Biggi konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Thomas ging mit ihr zu einem Sessel im Warteraum und setzte sie neben sich hin. Biggi hatte ihr Gesicht in seinem T-Shirt vergraben und weinte bitterliche Tränen. Thomas hatte seine Arme ganz fest um sie gelegt und strich ihr immer wieder beruhigend über den Rücken, doch Biggi konnte und wollte sich jetzt nicht beruhigen. Sie liebte ihren Job und für sie war eine Welt zusammen gebrochen, als sie erfahren hatte, dass sie ihn nie wieder würde ausüben können. Mindestens eine Stunde saßen sie dort im Warteraum und Thomas versuchte, Biggi irgendwie zu beruhigen und zu trösten, obgleich auch er vollkommen fertig war. Wie hatte es nur dazu kommen können? Er verstand es einfach nicht. Es ging Biggi doch wieder gut und sie hatte keinerlei Beschwerden mehr. Als Biggi sich ganz langsam wieder ein wenig beruhigt hatte und ihr nun nur noch vereinzelte Tränen über die Wangen liefen, beschloss Thomas, dass es wohl das Beste wäre, wenn er sie erstmal nachhause bringen würde. Langsam stand er mit ihr im Arm auf und sie gingen zu seinem Auto. Er half ihr vorsichtig beim Einsteigen und fuhr dann auf dem schnellsten Weg zur Villa. Dort angekommen nahm er sie erst einmal wieder liebevoll in die Arme und ging dann langsam mit ihr nach drinnen. Karin, die bereits den Motor von Thomas' Wagen gehört hatte, war bereits in den Flur getreten, um die beiden zu begrüßen. Sie freute sich total, dass ihre Freundin endlich aus der Klinik entlassen worden war und konnte ja nicht ahnen, was sich zuvor beim Flugtauglichkeitstest zugetragen hatte. Als sie jedoch Biggis tränengerötete Augen und Thomas besorgten Gesichtsausdruck sah, ahnte sie, dass etwas passiert sein musste. Thomas deutete ihr jedoch an, nicht nachzufragen und so ließ Karin die beiden erst einmal allein und setzte sich in die Küche. Thomas führte Biggi ins Wohnzimmer und wies sie erst einmal an, sich auf dem Sofa ein wenig hinzu legen. Er deckte sie liebevoll mit einer kuscheligen Wolldecke zu. "Ich mache dir jetzt erstmal einen Tee, mein Schatz.", meinte er lieb und strich Biggi sanft über die Wange. Sie nickte nur leicht und schloss dann die Augen, wobei ihr wieder eine Träne die Wange hinunterkullerte. Thomas hatte das natürlich bemerkt und wischte sie ihr sanft weg. Dann ging er in die Küche und setzte das Teewasser auf.

Karin, die noch immer am Küchentisch saß, wollte nun endlich wissen, was los war. "Biggi wird nie wieder fliegen dürfen.", erzählte Thomas ihr niedergeschlagen. "Oh nein.", brachte Karin nur hervor und konnte die Verzweiflung ihrer Freundin jetzt vollkommen verstehen. "Was ist denn der genaue Grund dafür?", wollte die Ärztin dann wissen. Vielleicht gab es ja noch Hoffnung. "Ich weiß es nicht, Biggi war nach der Untersuchung so fertig und noch überhaupt nicht dazu in der Lage, es mir zu erzählen." Karin nickte nur mitfühlend. Dann war auch das Teewasser schon fertig und Thomas beschloss wieder zurück zu Biggi zu gehen. Er setzte sich zu ihr und sie kuschelte sich ganz eng an ihn. "Warum nur?", fragte Biggi ihn und sah ihn mit tränengefüllten Augen an. "Ich weiß es nicht.", antwortete Thomas ihr, während er ihr liebevoll über die Wange strich. "Aber wir werden auch das gemeinsam durchstehen, Biggi. Irgendwie. Du weißt doch, egal, was passiert, ich werde immer für dich da sein." "Danke, Thomas...", meinte Biggi leise, "Ich liebe dich." Dann schmiegte sie ihr Gesicht ganz nah an seins und küsste ihn schließlich zärtlich. "Ich bin so froh, dass ich dich hab.", flüsterte sie und Thomas schloss sie noch fester in die Arme. Dann erzählte Biggi ihm langsam, was der Arzt bei der Flugtauglichkeitsuntersuchung genau gesagt hatte. "Durch den Sturz wurde irgendein Nerv in meinem Kopf verletzt, irreparabel. Normalerweise kann man ohne Beeinträchtigungen damit Leben und ohne die Flugtauglichkeitsuntersuchung wäre es wahrscheinlich nie ans Licht gekommen. Doch durch die Verletzung dieses Nervs kann es zu Gleichgewichtsstörungen kommen, wenn ich mich in großer Höhe befinde, wie beim Fliegen eben." Irgendwie tat es ihr gut, darüber mit ihm zu reden, denn sie wusste, dass er sie verstand. Thomas hörte sich alles schweigend an. Dann zog er Biggi noch näher an sich und meinte: "Nach der Schicht können wir gemeinsam mit unserem Engel fliegen, so oft du willst. Höppler muss ja nichts davon mitbekommen. Wenn ich dabei bin, kann ja nichts passieren." Biggi sah ihn an und lächelte sogar wieder ein wenig. "Oh ja...", stimmte sie ihm lächelnd zu. So würde sie tatsächlich ab und an wieder fliegen können. Sie sah ihm tief in die Augen und küsste ihn dann zärtlich. Thomas erwiderte es glücklich. Er war unheimlich froh, dass er sie ein wenig trösten konnte, obgleich er ihr die Flugtauglichkeit natürlich nicht zurückbringen konnte. Doch Biggi war ihm schon unheimlich dankbar dafür, dass er einfach nur für sie da war, sie in den Arm nahm, ihr zuhörte und sie nicht allein ließ.

Als Thomas gegen Abend, als die Dämmerung hereinbrach, das Wohnzimmer betrat, nachdem er kurz im Keller gewesen war, um eine Flasche Wein für sich und Biggi zu holen, sah er, dass sie nach draußen auf die Veranda getreten war. Sie stand an dem kleinen Geländer und blickte gedankenverloren in den Garten, der mehr und mehr von der Dämmerung eingehüllt wurde. Thomas trat leise hinter sie, doch da Biggi so sehr in Gehdanken versunken gewesen war, hatte sie ihn überhaupt nicht bemerkt. Sie erschrak zunächst ein wenig, als er ihr sanft die Hand auf die Schulter legte. Doch als sie bemerkte, dass es Thomas war, drehte sie sich um und schmiegte sich an ihn. Es war ein wenig kalt geworden und Biggi fror in ihrem dünnen Shirt. Thomas bemerkte das sofort und legte ihr liebevoll seinen Pullover, den er sich um die Schultern gebunden hatte, um. Dann stellte er die Flasche auf den kleinen Gartentisch und schloss Biggi ganz fest in die Arme. Sie genoss es unheimlich, seine Nähe zu spüren, und legte ihren Kopf auf seine Schulter. "Worüber hast du eben nachgedacht?", wollte Thomas schließlich wissen, da ihm natürlich nicht entgangen war, dass Biggi vollkommen in ihren Gedanken versunken gewesen war. Sie sah ihm tief in die Augen und antwortete ihm dann: "Darüber wie glücklich ich bin, dass ich dich hab. Ich habe mir alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen und ich glaube, man kann einfach nicht alles haben im Leben. Die Fliegerei war immer das Wichtigste in meinem Leben, aber mir ist klar geworden, dass es Dinge gibt, die noch wichtiger sind. Für mich bist du das Wichtigste, Thomas. Und egal, ob ich nun wieder fliegen darf oder nicht, ich will nur eins, mit dir zusammen glücklich sein." "Oh Biggi...", meinte Thomas nur und küsste sie dann zärtlich, "...und du bist das Wichtigste in meinem Leben." Sie sahen sich tief in die Augen und küssten sich dann erneut – lange, zärtlich, endlos.

 

 

The End       



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