derprozess

 

Der Prozess (Autor: Mrs X)

 

Als Gabrieles Wecker klingelte brauchte sie eine ganze Weile bis ins Bad, sie hatte die halbe Nacht wach gelegen und über das geschehene nachgedacht und sich immer wieder gefragt, was der heutige Tag wohl bringen würde. Für sie war klar, das Ralf diese Frau nicht niedergestochen hatte, aber er hatte ja scheinbar mit ihr geschlafen, das versetzte ihr einen Stich ins Herz. Trotzdem wollte sie alles tun, damit der Prozess heute gut ausging, zumindest so gut, dass Ralf nicht die nächsten Jahre hinter Gittern verbringen musste. Während sie sich das Gesicht wusch, dachte sie wieder daran, dass sie Ralf nachher sehen würde, das erste Mal seit seiner Verhaftung vor vier Wochen, wie es ihm wohl ging? Sie hatte einmal versucht, ihn zu besuchen und ihm ein paar Sachen vorbeizubringen, doch sie hatte nicht zu ihm gedurft und die Sachen wurden vorher durchsucht. Sie war froh gewesen, dass sie nicht zu ihm gedurft hatte, sie wusste auch jetzt noch nicht wie sie ihm gegenüber treten sollte, natürlich würden sie heute nicht miteinander reden können, aber was war mit den Blicken?

Eine halbe Stunde später kam sie runter, sie hatte einen schwarzen Hosenanzug an und die Haare nach oben gesteckt. Gabriele schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, ihre Gedanken kreisten wieder um Ralf.  Sie musste los, außer ihr war auch noch Biggi geladen und diese holte sie nun ab. Wenig später waren die beiden beim Gericht, schnell hatten sie den Verhandlungsraum gefunden, allerdings mussten sie noch draußen warten. Gabi und Biggi unterhielten sich, wenn auch nur oberflächlich. Gabrieles Gedanken gingen immer wieder zu Ralf, ob er hier wohl rauskommen würde? Und wenn ja, wie sollte es dann mit ihnen weitergehen? Würde sie wieder mit ihm zusammenkommen? Auf keine der Fragen hatte sie eine Antwort und es blieb ihr auch gar keine Zeit mehr darüber nach zudenken, denn in dem Moment wurden sie in den Saal gerufen. Ralf wurde wenig später reingeführt, doch Gabriele schaute weg, als er kam, sie ertrug seinen Blick nicht. Sie war die erste Zeugin und ging nach vorne, sie hatte schon lange nicht mehr vor Gericht ausgesagt das letzte Mal wegen eines harmlosen Autounfalls, den sie durch Zufall beobachtet hatte. Der Richter fragte sie nach ihrem Name, Adresse und wie sie zu Ralf stand, dann gab er das Wort an die Staatsanwältin ab, die auch aufstand und zu Gabriele rüber kam. „Sie hatten also mit Ralf Staller ein Verhältnis?“ Gabriele nickte, „Wie lange?“ „Etwa achtzehn Monate.“ „Und Sie trennten sich am Tag der Tat?“ „Ja, wir haben uns gestritten.“ „Worüber denn?“ „Über unsere Hochzeit.“ Die Staatsanwältin ging rüber zu Ralf und fragte ihn, ob das stimmen würde, dieser nickte nur und schaute runter. Auch Gabriele schaute nun zu ihm, er hatte sich sehr verändert, wahrscheinlich durch die Untersuchungshaft. „Sie wollten also heiraten? Wessen Idee war das?“ „Er hat mir einen Antrag gemacht und ich habe ja gesagt.“ „Obwohl Sie ihn gar nicht heiraten wollten?“ Gabriele kam sich plötzlich vor, als wenn sie selber angeklagt wäre. „Ich wollte ihn heiraten, aber es ging mir dann alles zu schnell.“ „Hat er Sie gedrängt?“ Gabi zuckte mit den Schultern, „Er war eben sehr von der Hochzeit überzeugt.“ Sagte sie und die Staatsanwältin nickte, „Hat er Sie nur mit Worten gedrängt oder wurde er auch gewalttätig?“ „Ralf wurde mir gegenüber nie gewalttätig.“ Fuhr sie die Frau an, diese nickte nur, eine Pause trat ein und sie begann wieder von neuem. „An diesem Abend hat er ja nun die andere Frau in der Disco kennen gelernt und anschließend niedergestochen, ich denke mal, weil sie nicht mit ihm schlafen wollte. Wurde Ralf Staller Ihnen gegenüber vielleicht gewalttätig, wenn Sie nicht mit ihm schlafen wollten?“ „Nein, Ralf war gegenüber mir nie gewalttätig und er hat mich auch nie in irgendeiner Form zum Sex gezwungen!“ „Dann kam das alles für Sie total überraschend?“ „Ralf hat die Frau nicht zusammengestochen, das ist nicht seine Art.“ „Aber mit ihr geschlafen hat er,“ die Staatsanwältin wartete bis sie fort fuhr, „Was sagen Sie denn dazu?“ „Was soll ich dazu sagen, das geht mich nichts an.“ „Aber Sie waren doch gerade erst getrennt, er betrinkt sich aus Liebeskummer, weil Sie ihn verlassen haben...“ „Wollen Sie damit sagen, dass ich an allem Schuld bin?“ fragte Gabriele, „Nein natürlich nicht, aber liegt es nicht nahe, dass er rot gesehen hat, als die Frau sich wehrte, schließlich schon die zweite an diesem Tag, die sich gegen ihn wehrte.“ Gabriele schüttelte mit dem Kopf und die Staatsanwältin fragte, „Lieben Sie ihn noch?“ „Was hat das denn hiermit zu tun?“ Doch die Staatsanwältin schaute sie nur weiter fragend an und auch Ralf hatte seinen Kopf gehoben, „Ich weiß es nicht.“ Gestand sie wahrheitsgetreu. „Wollen Sie ihn vielleicht schnell hier raus haben, damit Sie es feststellen können? Sagen Sie vielleicht deswegen falsch aus?“ „Ich sage nicht falsch aus.“ Fuhr Gabriele die Frau an, diese nickte und deutete dem Richter, dass sie mit ihrer Befragung fertig sei, Ralfs Anwalt stand auf. „Sie kennen meinen Mandanten ja nun am Besten von uns allen, können Sie ihn vielleicht in ein paar Sätzen beschreiben?“ Gabriele nickte, „Ralf ist ein charmanter Mann, der immer Rücksicht auf seine Freundin nimmt.“ Der Anwalt nickte, „Sie waren ja nun nicht nur seine Freundin sondern auch seine Kollegin, können Sie dazu noch etwas sagen?“ „Ja, Ralf und ich lernten uns auch über unseren Job kennen. Er hat nie Fehler gemacht und ich konnte mich in jeder Situation voll auf ihn verlassen.“ Der Anwalt nickte und wandte sich zur Staatsanwältin, „Mein Mandant hat sich nie etwas zu schulden kommen lassen, nun war er zur falschen Zeit am falschen Ort und Sie wollen ihm einen Strick darauf drehen?“ Die Staatsanwältin stieß hörbar Luft zwischen ihren Zähnen aus, „Er ist schuldig.“ Der Anwalt wandte sich wieder zu Gabriele, „Sie haben eben gesagt, dass Sie nicht wissen, ob Sie ihn noch lieben, würden Sie es noch einmal mit ihm versuchen, wenn er hier rauskäme?“ Gabriele zuckte mit den Schultern, „Ich denke schon.“ Sagte sie dann, „Trotz allem, was passiert ist?“ „Ich weiß ja, dass er es nicht war.“ Der Anwalt nickte, auch er hatte keine Fragen mehr und Gabriele durfte sich wieder nach hinten neben Biggi setzten, die gerade was sagen wollte, allerdings wurde sie schon nach vorne gerufen. Im Großen und Ganzen wurden ihr die gleichen Fragen gestellt wie Gabriele, nur dass der Teil mit dem Sex wegfiel. Gabriele kam die ganze Verhandlung wie ein schlechter Traum vor und je mehr Beweise die Staatsanwaltschaft auflistete, umso sicherer war sie sich, dass Ralf hier nicht rauskommen würde.

Nach zwei Stunden und einer Pause verkündete der Richter das Urteil: 2 Jahre Haft und drei Jahre auf Bewährung. Gabriele guckte während der Urteilsverkündung zu Ralf hinüber, der völlig in sich zusammensackte, er wurde total blass und starrte mit lehren Augen vor sich hin. Er tat Gabriele Leid, was sollte sie denn machen? Nichts, war die einzig vernünftige Antwort, Ralf hatte ihr auch wehgetan, als er mit der Frau schlief, und sein Anwalt würde Berufung einlegen, sie sollte die Dinge besser ruhen lassen, vielleicht war es auch für sie besser?

 

Vier Wochen vergingen, Gabriele erkundigte sich noch einmal nach Ralf und ob es noch eine Chance gab, dass er früher frei kam, sein Anwalt sah da keine Chance. Mittlerweile hatte sich ihre Lage Ralf gegenüber verändert. Sie war schwanger! Der Schock darüber war vergangen, auch dass sie das Kind wohl alleine aufziehen musste, hatte sie verstanden, der Vater saß nun mal im Gefängnis. Das war das schlimmste an allem, sicher würde das Kind nach seinem Vater fragen, und wenn Ralf raus kam, was sollte dann geschehen? Sie hatte keine Antwort auf diese Fragen und brauchte sie diese ja auch nicht.

Sie hatte Ralf einen langen Brief geschrieben, in dem sie ihm erklärt hatte, dass sie schwanger war, er hatte nicht geantwortet, aber er würde es sicher noch tun, er wünschte sich doch eigentlich auch ein Kind.

 

Die Monate vergingen, ab und zu schrieb Ralf Gabriele, wie es ihr ging und wie es mit der Schwangerschaft aussah, ob alles okay sei. Gabriele antwortete ihm immer, jedoch wurden ihre Antworten von Mal zu Mal spärlicher, was bei Ralf natürlich nicht unbemerkt blieb, so stellte er sie eines Tages in einem Brief zur Rede. Doch Gabriele konnte sich das selber ja nicht erklären, sie hatte nicht, wie Ralf befürchtete, einen neuen Mann kennen gelernt. Aber manchmal dachte sie in der Nacht über alles nach und dann gefiel ihr der Gedanke, dass der Vater ihres Kindes im Gefängnis saß selber nicht mehr, obwohl sie wusste, dass Ralf ihr und dem Kind nie etwas tun würde oder war das eine Hoffnung?

 

Die Zeit verging, Gabriele brachte einen gesunden Jungen zur Welt und als dieser vier Monate alt war, beantragte sie einen Besuchstermin. Es war das erste Mal, seit Ralf im Gefängnis saß, dass sie ihn besuchte. Er freute sich darauf seinen Sohn zu sehen, sie natürlich auch dennoch hatte sie etwas Angst vor dem Tag, ihr Mutterinstinkt sagte ihr, dass es noch zu früh war, aber hatte sie nicht eigentlich nur Angst, dass sie selber eifersüchtig werden könnte? Wenn der Kleine in Ralfs Armen sofort ruhig war und bei ihr nicht so schnell? Würde sie das nicht sauer machen, schließlich saß er im Knast und sie musste sich alleine um das Kind kümmern, sie hasste sich für diese Gedanken, aber sie liebte ihr Kind doch nur.

 

Und dann kam der Tag, als sie den Besucherraum betrat saß Ralf schon da, im ersten Moment erkannte sie ihn nicht, sein Gesicht war schmaler geworden und seine Augen hatten keinen Funken von dem früherem Strahlen, sein rechtes Auge sah etwas demoliert aus, eine Schlägerei wahrscheinlich. (der Vater ihres Kindes Prügelte sich) schoss es ihr durch den Kopf, doch sie wusste, dass sie Ralf unrecht tat, er war immer lieb und fürsorglich gewesen, hatte sie ihn je in einem ihrer Briefe gefragt wie es ihm ging? Natürlich aber nie so, dass er sich aufgefordert fühlte, ihr zu erzählen wie es hier war. Langsam setzte sie sich hin, den Kleinen hatte sie auf dem Arm. „Hallo Ralf.“ Sagte sie und klang dabei total sachlich, Ralf nickte nur und versuchte zu lächeln. Nach einer Weile stand Gabriele auf, gab Ralf seinen Sohn in die Arme, sie setzte sich wieder und Ralf guckte auf das schlafende Kind hinunter und lächelte, diesmal sah es gar nicht erzwungen aus. „Er ist niedlich.“ Sagte er und Gabriele nickte, natürlich war ihr Kind niedlich. Es herrschte eine Weile stille, der Kleine schlief tief und fest in seinen Armen und Ralf schaute entzückt zu ihm runter und fragte sich, welche Augenfarbe er wohl hatte? Wahrscheinlich blau, schließlich hatte sowohl er wie auch Gabriele blaue Augen. „Woher hast du das blaue Auge?“ fragte Gabriele in dem Moment und erst dachte er, sie würde über den Jungen reden, doch dann begriff er und eine gewisse Wut stieg in ihm auf, sie sahen sich für eine halbe Stunde und Gabriele hatte nichts besseres zu tun als hören zu wollen, dass er wieder etwas angestellt hatte. „Ich bin hingefallen.“ Gabriele wollte eigentlich gar nicht mit ihm streiten, aber sie sah es auch nicht ein, dass er sie in der jetzigen Situation  belog, sie war Ärztin und nicht dumm. „Warum lügst du?  Hast du vor Gericht auch gelogen?“ „Natürlich nicht, aber das sind zwei verschiedene Welten und ich will nicht, dass du und der Kleine in irgendeiner Form mit der anderen in Verbindung kommt.“ „Vertraust du mir jetzt schon so wenig, dass du mir nicht sagen kannst, was passiert ist?“ „Darum geht es nicht Gabriele!“ Ralf sie richtig an und der Kleine wachte auf und begann lauthals zu schreien, schuldbewusst schaute Ralf zu seinem Kind hinunter und versuchte ihn unbeholfen zu beruhigen. „Gib ihn her.“ Sagte Gabriele, „Glaubst du ich kann meinen Sohn nicht selber beruhigen?“ Gabriele starrte ihn an, „Das hab ich doch nicht gesagt!“ Ralf schüttelte sauer mit dem Kopf und versuchte weiter das Kind zu beruhigen, doch das anfängliche Quengeln des Kleinen war zu einem ausgewachsenen Brüllen geworden Ralf fühlte sich plötzlich überfordert. Was dann geschah, passierte für Gabriele in Zeitlupe, es war so unwirklich. Ralf schrie das Kind an, dass es ruhig sein sollte und schüttelte es dann wild. Als Gabriele bei ihm war um ihm das Kind abzunehmen war auch schon ein Wärter da und zog Ralf weg, dieser kam langsam wieder zu sinnen und begriff, was er getan hatte, er sah, dass Gabriele weinte und dass ihr Sohn plötzlich ruhig war, zu ruhig, dachte er. Er wollte ihr sagen, dass er das nicht gewollt hatte, wollte sich entschuldigen, doch er brachte keinen Ton raus und dann befand er sich auch schon auf dem Flur.

 

Als Biggi am Abend im Krankenhaus eintraf, traf sie Gabriele schon auf dem Flur, zusammen gingen sie zu dem Zimmer. „Er wird doch keine Schäden davontragen?“ Gabriele zuckte mit den Schultern, „Sie wissen es noch nicht.“ Sagte sie und beobachtete ihren kleinen Sohn, der beatmet wurde und in einer Vielzahl von Schläuchen lag. „Ralf ist ein Schwein!“ fauchte Biggi böse, Gabriele schüttelte mit dem Kopf, „Nein, die Zeit im Gefängnis hat ihn erst dazu gemacht...“

 

Ende

 

 

 



Datenschutzerklärung
Kostenlose Webseite erstellen bei Beepworld
 
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der
Autor dieser Homepage, kontaktierbar über dieses Formular!