dennsiewissennicht

Denn sie wissen nicht, was sie tun...  (Autor: Susi und Verena)

 

 

"Biggi, beeil dich doch mal! Du willst doch nicht deinen eigenen Geburtstag verpassen!", rief Gabi ihrer Freundin ungeduldig zu. Diese machte sich noch im Badezimmer für die anstehende Party auf der Basis frisch. "Ja, ich bin ja gleich so weit.", antwortete sie. Wenige Minuten später steckte Biggi tatsächlich den Kopf aus der Badezimmertür. "Meinst du ich kann mich so auf der Basis blicken lassen?", fragte sie Gabi skeptisch. "Soll das ein Scherz sein? Du siehst super aus, echt umwerfend.", antwortete Gabi, während sie das Outfit ihrer Freundin bewunderte, welches aus einem kurzen, schwarzen Rock, einem Top und einer dünnen, weinroten Bluse bestand.   "Oh, danke", meinte Biggi freudig verlegen. "Gut, ich denke, dann können wir los." "Wurde ja auch Zeit.", entgegnete Gabi und schob Biggi aus der Tür. Dann begaben sie sich schnell zum Auto, wo bereits Ralf auf die beiden wartete.

"Wenn ihr noch lange gebraucht hättet, dann wäre ich ohne euch gefahren. Die anderen sind sicher alle schon da und warten.", empfing Ralf die beiden. "Männer!", erwiderte Gabi grinsend und warf Biggi einen vielsagenden Blick zu. Dann fuhren sie los zur Basis. Dort hatten ihre Kollegen schon alles vorbereitet. Im Hangar hatten sie einen großen Tisch aufgestellt und alles war mit Girlanden ausgeschmückt. In der Mitte stand ein riesiges Plakat, auf dem in Leuchtbuchstaben "Happy Birthday, Biggi!" stand.

Nachdem Biggi, Gabi und Ralf aus dem Auto ausgestiegen waren, gingen sie mit schnellen Schritten auf die Hangartür zu, da sie sowieso schon spät dran waren. Als Biggi die Tür öffnete, wurde sie von Thomas, Michael, Peter und Max empfangen, die lauthals "Happy Birthday" sangen, worin sogleich auch Gabi und Ralf mit einstimmten. Biggi war total gerührt und klatschte begeistert Beifall, als das Ständchen zu Ende war. Wenige Sekunden später zog Thomas einen riesigen Blumenstrauß hervor und kam auf die überraschte Biggi zu. Lächelnd überreichte er ihn ihr mit den Worten: "Eine kleine Aufmerksamkeit von uns allen, da du jetzt ja auch zu uns alten Hasen gehörst." Während er ihr den Strauß, der aus roten und gelben Rosen bestand,  mit zwei Küsschen auf die Wangen übergab und sie dann noch einmal umarmte, lächelte sie nur verlegen und wusste gar nicht, was sie sagen sollte. Als sie wieder voreinander standen, blickten sie sich kurz in die Augen, worauf sie jedoch schnell verlegen wieder woanders hinsahen. Nun mischten sich aber ohnehin die anderen ein, die ihrer Kollegin auch endlich gratulieren wollten. "Alles, alles Liebe auch von mir, Biggi!", wünschte ihr Michael, bevor sich die anderen alle anschlossen und Biggi nacheinander umarmten. "Danke, ihr Lieben, das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen, ich werde doch nur 30." "Eben drum, du weißt ja, wer mit 30 noch Single ist...." spielte Peter grinsend an, worauf Biggi ihm einen freundschaftlichen Stoß in die Seite verpasste. "Na ja, das lässt sich ja ändern, ich hätte da noch einen alten Schulfreund von mir und du weißt ja, im Verkuppeln war ich schon immer gut...", meinte Gabriele daraufhin zum Spaß. Biggi blickte sie entsetzt an, doch sie wusste, dass es nicht wirklich ernst gemeint war. "Hey, wollen wir jetzt hier herumstehen oder Biggis Geburtstag feiern?", fragte Thomas auffordernd und lenkte somit vom Thema ab. Er und die anderen Kollegen hatten noch eine kleine Rede für Biggi vorbereitet. Er stellte sich auf eine Bierkiste  und räusperte sich ein wenig nervös, worauf die anderen schmunzeln mussten. "Da wir ja jetzt bereits so lange befreundet sind, liebe Biggi, freuen wir uns umso mehr, diesen deinen besonderen Ehrentag heute mit dir zusammen feiern zu dürfen. Wir sind sehr froh, dich hier als Kollegin zu haben und hoffen, dass dieser Zustand auch noch lange anhalten wird. Stoßen wir deshalb auf dreißig weitere Jahre Freundschaft an!" Währenddessen hatte Ralf bereits eine edle Flasche Champagner geöffnet und ließ nun den Korken knallen. "Oh ... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ... danke, Freunde, ich bin echt total gerührt!", brachte Biggi nur hervor. Dann stießen sie alle auf Biggis Geburtstag an.

Wenig später hatten sich alle, außer Biggi und Thomas, bereits reichlich an dem kalten Buffet, das die Kollegen für Biggi vorbereitet hatten, bedient. Die beiden Piloten hingegen saßen sich gegenüber am Tisch und waren in ein Gespräch über das neue Navigationssystem der BK 117 vertieft. Dabei merkten sie kaum, wie viel von dem Champagner sie bereits getrunken hatten - und das auf nüchternen Magen. Besonders Biggi, da jeder einmal mit ihr anstoßen wollte.

Es war für alle ein sehr lustiger Abend, man unterhielt sich nett und es wurde viel gelacht und über alte Zeiten geplaudert. So verging die Zeit wie im Flug und bald war es weit nach Mitternacht. Biggi und Thomas saßen sich immer noch gegenüber und genossen die Gesellschaft des anderen, wobei sie beide bereits ziemlich angetrunken waren. Irgendwann meinte Gabi gähnend: "Ach Leute, ich bin so müde, Ralf und ich rufen uns jetzt ein Taxi." "Ja, langsam wird es wirklich Zeit, wir sollten wohl langsam die Tore hier schließen.", stimmte Michael ihr zu. "Ich will ja nichts sagen, Leute, aber wir müssen hier noch aufräumen. Ebelsieder macht uns morgen sonst alle um einen Kopf kürzer.", warf Peter ein. "Ach, ihr hattet schon so viel Arbeit wegen mir, fahrt ihr jetzt nur nachhause, ich schaffe das schon alleine mit dem Aufräumen.", bot Biggi an. "Oh, du bist ein Schatz, Biggi", meinte Peter dankbar und verzog sich sogleich in seinen Wohncopter. "Meinst du wirklich, du schaffst das alleine, Biggi? Ganz nüchtern bist du ja auch nicht mehr.", fragte Gabi skeptisch. "Ich helfe ihr schon.", erklärte sich Thomas bereit, woraufhin Biggi ihn dankbar ansah und sich nun auch Gabi, Ralf und Michael guten Gewissens verabschieden konnten.

"Da haben wir aber wirklich eine Menge vor uns.", stellte Thomas, nachdem die anderen drei gegangen waren, mit einem Blick auf das Chaos im Hangar fest. Biggi nickte zustimmend. "Na dann mal an die Arbeit." Sie torkelte zur Tür, hinter der sich ein Besen befand, während Thomas sich in die Küche begeben hatte, um einen Eimer Wasser zu holen. Als er zurückkam, war Biggi bereits dabei, den Hangar zu fegen. Er stellte den Eimer ab und wischte dann mit einem Lappen den Tisch ab. Sehr schnell kamen sie jedoch nicht voran, da sie in ihrem leicht alkoholisierten Zustand viel lachten und herumalberten.

Ungeschickt, wie sie sich durch den Alkoholeinfluss verhielt, geschah es irgendwann: Biggi stolperte über eine kleine Kiste und stürzte direkt auf den vollen Wassereimer. Thomas erschrak, war jedoch bereits in der nächsten Sekunde bei ihr und fragte besorgt: "Ist alles in Ordnung?" Biggi nickte mit dem Blick eines angegossenen Pudels, da sie von oben bis unten nass war. Daraufhin sahen sie sich kurz an und mussten beide loslachen. Nach einer Weile hatten sie sich wieder halbwegs beruhigt und Thomas half Biggi hoch. Biggi jedoch begann, im kühlen Hangar zu frieren, deshalb legte Thomas ihr fürsorglich seine Jacke um und meinte: "Du holst dir ja noch den Tod in den nassen Sachen. Am besten ruf ich uns ein Taxi und wir räumen morgen weiter auf." Biggi war einverstanden und so griff er zu seinem Handy, in das er nach mehreren Versuchen schließlich die richtige Nummer fürs Taxi eingab. Sie räumten noch schnell das nötigste auf und stellten sich dann gemeinsam nach draußen zum Basiseingang. Das Taxi sollte jeden Moment hier sein. "Ist dir kalt?", fragte Thomas besorgt. "Es geht schon, danke.", meinte Biggi, zitterte aber doch ein wenig. Das bemerkte Thomas und fragte gar nicht lange, sondern legte einfach seinen Arm um sie. Sie blickte ihn erst an, weil sie es nicht erwartet hatte, doch dann lehnte sie sich dankbar an ihn. Kurz darauf kam auch schon das Taxi, worauf sie erleichtert aufatmeten. Sie erklärten dem Fahrer, dass er zuerst Biggi und dann Thomas nachhause fahren sollte. "Und wenn du da bist, ziehst du dich sofort um, ist das klar?", meinte er während der Fahrt streng zu ihr. "Zu Befehl.", entgegnete Biggi grinsend. Sie saßen beide auf dem Rücksitz. Als es einmal bei einer Kurve einen Ruck machte, rutschte Biggi plötzlich auf Thomas' Seite. "Hoppla!", meinte der nur darauf, fand aber sofort Gefallen daran, dass Biggi so plötzlich so nah bei ihm saß. Sie blickten sich an und kuschelten sich wieder aneinander. Der Alkoholeinfluss machte es ihnen einfach, sich so zu verhalten, wie sie es im Normalfall wohl nie getan hätten. Doch nun war alles viel einfacher und jegliche Hemmung war verschwunden.

Wenige Augenblicke später bog das Taxi jedoch bereits in die Straße ein, in der sich Biggis Wohnung befand. Sie war nicht allzu weit von der Basis entfernt. Etwa 200 Meter vor Biggis Wohnung blieb das Taxi jedoch abrupt stehen. Zunächst dachten Biggi und Thomas sich nichts weiter und kuschelten sich nur mehr noch näher zusammen. Doch als der Fahrer irgendetwas unverständliches fluchte, horchten sie dann doch auf. "Es tut mir Leid, aber mit dem Wagen muss irgendetwas nicht stimmen.", erklärte er den beiden dann. "Aber Benzin ist schon noch im Tank?", scherzte Biggi, worauf der Fahrer sie nur merkwürdig ansah. Er hatte längst bemerkt, dass seine beiden Fahrgäste beide nicht mehr ganz nüchtern waren. Er funkte die Zentrale an, die ihm daraufhin mitteilte, dass das nächste Taxi erst in einer halben Stunde da sein könnte. Thomas und Biggi konnten alles mithören. "Weißt du was, wir gehen das letzte Stück eben zu Fuß zu mir nachhause und dann kannst du bei mir auf dem Sofa übernachten.", bot Biggi Thomas dann an, da sie beide keine Lust hatten noch eine halbe Stunde zu warten. Thomas nahm das Angebot dankbar an und bezahlte sogleich das Taxi. Dann stieg er aus und half Biggi aus dem Taxi, die sich sofort wieder an ihm lehnte. Thomas legte wieder seinen Arm um sie und so legten sie die letzten 200 Meter zu Biggis Wohnung halb gehend, halb schwankend zurück. Als sie bei Biggis Wohnung angekommen waren, musste Biggi zunächst ihren Schlüssel suchen, den sie mit Thomas' Hilfe dann schließlich fand. Nach dem dritten Versuch traf sie das Schlüsselloch, schloss die Wohnungstür auf und trat schließlich in die Wohnung hinein. Thomas folgte ihr und meinte dann aber gleich: "Nun ziehst du dir aber schnell was trockenes an, ich kann mich ja schon einmal ins Wohnzimmer setzen." Biggi stimmte ihm zu und so verschwand sie schnell im Bad, da sie noch eine warme Dusche nehmen wollte, um sich wieder ein wenig aufzuwärmen. Sie war ziemlich durchgefroren, obwohl Thomas so gut er konnte versucht hatte, sie zu wärmen. Nachdem sie die nassen Sachen dann auf den Wäscheständer zum Trocknen gehängt hatte, stieg sie unter die Dusche.

Thomas hingegen hatte es sich bereits auf Biggis Sofa gemütlich gemacht und wartete dort nun auf sie. Als diese jedoch nach einigen Minuten wieder aus der Dusche stieg, musste sie feststellen, dass sie gar keine trockenen Sachen zum Wechseln im Bad hatte. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als sich ein großes Handtuch umzuwickeln und schnell ins Schlafzimmer zu huschen, um sich dort frische Sachen anzuziehen. Als sie jedoch in das Handtuch eingewickelt auf den Flur heraustrat, fiel ihr Blick durch die halb offene Wohnzimmertür direkt auf Thomas, der noch immer auf dem Sofa saß und auf Biggi wartete. Er musste sich bemühen nicht einzuschlafen, da es schon ziemlich spät war, doch der Gedanke an Biggi hielt ihn dann doch wach. Biggi fiel ein, dass sie ihm noch gar nichts zu trinken angeboten hatte. Nicht dass die beiden noch nicht genug getrunken hätten an diesem Abend, aber irgendwie gehörte es einfach dazu, und zumindest anbieten wollte sie es ihm. Also änderte sie, als sie schon fast an der Schlafzimmertür angekommen war, die Richtung und steuerte auf das Wohnzimmer zu.

Thomas staunte nicht schlecht, als Biggi nur mit einem Handtuch bekleidet vor ihm stand. Er blickte sie nur an und wusste nicht, was er sagen sollte, bis sie dann das Wort ergriff und ihn fragte: "Was möchtest du denn gern zu trinken? Entschuldige, ich hab dir noch gar nichts angeboten." Es war ihm ziemlich peinlich, wie er sie angestarrt hatte, und meinte ein wenig stotternd: "Ähm ... also ... ist ganz egal, was du da hast." "Okay, dann bring ich dir mal schnell was.", sagte sie und verschwand in der Küche. Thomas sah ihr nur hinterher, hörte dann, wie sie laut in den Schränken herumklapperte und erblickte sie kurz darauf wieder in der Tür, mit einer Flasche Wodka in der Hand. "Tut mir Leid, ich hab nichts anderes gefunden, ich müsste dringend mal wieder einkaufen gehen. Ich hoffe, du magst das." "Macht doch nichts, der schmeckt mir sicher auch.", meinte Thomas und half ihr bei den Gläsern. Dabei konnte er, so sehr er es auch wollte, einfach nicht den Blick von ihr in ihrem spärlich bedeckenden Badetuch wenden. Sie setzten sich beide hin, Thomas schenkte in die Gläser ein, und nachdem sie angestoßen hatten, nahmen sie beide ein paar schnelle Schlucke von ihren Gläsern. Es dauerte nicht lange, bis sie wieder neu einschenken mussten und auch das nächste Glas in schnellen Zügen leergetrunken hatten. Sie alberten und kicherten immer mehr rum und hatten eine Menge Spaß. Wie durch ein Wunder hielt Biggis Badetuch die ganze Zeit über, doch nach dem vierten Glas drohte es immer mehr, nach unten zu rutschen. Das merkte Biggi gerade noch in ihrem vernebelten Verstand und meinte: "Ich geh mir dann ... mal schnell was überziehen.", stand schwankend auf und torkelte Richtung Schlafzimmer. Dort wackelte sie betrunken vor dem Schrank herum und begutachtete die Auswahl, die sie hatte. Dabei beachtete sie allerdings nicht die Bananenschale, die ausgebreitet mitten auf dem Boden lag. Als sie es heute Morgen eilig gehabt hatte und das Frühstück nur aus einer Banane bestand, hatte sie die Schale anschließend nicht mehr in den Mülleimer geworfen. Das wurde ihr jetzt zum Verhängnis, denn sie trat genau darauf und krachte in voller Länge auf den harten Fußboden. Thomas hörte draußen natürlich den Lärm und sprang erschrocken auf. Schwankend eilte er zur angelehnten Schlafzimmertür, und rief hinein: "Biggi ... hick! ... ist alles in Ordnung?" Drinnen hörte er Biggi nur leise aufstöhnen, und dann war ihm alles egal. Er stürmte ins Schlafzimmer und sah Biggi vor ihm platt auf dem Fußboden liegen. Tollpatschig kniete er sich zu ihr runter und fragte: "Hast du dir ... hick! ... wehgetan?" Sie schüttelte nur den Kopf. "Noch alles dran.", meinte sie nur und versuchte, aufzustehen. "Ich helfe dir.", meinte Thomas in seinem Schwips und zog sie langsam hoch, bis sie wieder mehr oder minder aufrecht vor ihm stand. "Ist wirklich alles ok?", vergewisserte er sich noch einmal. Biggi nickte abermals, doch sie war bereits so betrunken, dass sie kaum noch aufrecht stehen konnte. Sie wollte einen Schritt auf den Schrank zu machen, doch schon schwankte sie wieder und fiel nach vorn, direkt in Thomas' Arme. "Hoppla", brachte er nur lächelnd hervor und fing Biggi auf. Langsam zog er sie wieder hoch, sodass sie nun direkt vor ihm stand. Um in ihrem mehr als nur angeheiterten Zustand nicht wieder zu stolpern, legte sie ihre Arme um seinen Hals und hielt sich an ihm fest. Plötzlich trafen sich ihre Blicke. Sie sahen sich tief in die Augen und waren wie gefesselt, sie konnten den Blick nicht voneinander abwenden. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, näherten sich ihre Gesichter einander, solange, bis sich schließlich ihre Lippen ganz sanft berührten. Dann passierte es, sie küssten sich, zuerst ganz sanft und vorsichtig, aber dann immer stürmischer und mit immer mehr Leidenschaft. Es war so, als ob sie einer Menge aufgestauter Gefühlen nun endlich freien Lauf lassen konnten. Gewiss, in nüchternem Zustand wäre es so weit wahrscheinlich nie gekommen, niemals hätte Biggi sich getraut, sich ihre Gefühle Thomas gegenüber einzugestehen und ihm ging es nicht anders. Dazu waren sie viel zu gut miteinander befreundet. Doch nun, wo ihr Verstand durch den Alkohol ausgeschaltet wurde, genossen sie nur noch die Nähe des anderen unheimlich und hörten gar nicht mehr auf, einander immer leidenschaftlicher zu küssen. Sie gingen immer weiter, und irgendwann fasste Thomas ihr unter das Badetuch, berührte zärtlich ihren Körper und streifte ihr das Tuch schließlich ganz ab. Dann umfasste er ihre Hüften, zog sie ganz nah an sich, und während sie sich immer inniger küssten, ließen sie sich langsam auf das Bett fallen. Biggi legte sich auf ihn und riss nahezu sein Hemd auf. Sie hörten nicht auf, sich zu küssen und zu berühren, und bald hatte es Biggi geschafft, Thomas all seiner Kleidung zu entledigen. Immer wilder und leidenschaftlicher küssten und berührten sie sich. "Oh Biggi, ich liebe ... liebe dich, ich hab ... es dir schon ... immer sagen wollen ... ", flüsterte Thomas in seinem Rausch. Darauf küsste Biggi ihn als Antwort nur noch stürmischer. Sie wollte ihn jetzt vollkommen spüren und ein leises "Komm her..." kam über ihre Lippen, worauf Thomas sich langsam auf sie sinken ließ und sie sich nach einem weiteren Meer von Küssen und Zärtlichkeiten  schließlich vollkommen vereinigten und miteinander schliefen. Sie liebten sich so leidenschaftlich, wie sie es beide lange schon nicht mehr erlebt hatten, und Biggis Bett bebte immer wieder unter ihrer Leidenschaft  auf. Immer wieder küssten sie sich und berührten sich zärtlich, sie konnten und wollten nicht mehr voneinander ablassen. Erst in den frühen Morgenstunden sanken sie erschöpft von ihrer heißen Liebesnacht zurück ins Kissen. Nachdem Biggi sich ganz eng an Thomas gekuschelt hatte und er sie fest in die Arme geschlossen hatte, schliefen sie dann auch wenige Augenblicke später ein.

Als Biggi am nächsten Morgen aufwachte, spürte sie nur eins, diese schrecklichen Kopfschmerzen, sie hatte so einen Kater. Glücklicherweise war es Sonntag und sie hatte keinen Dienst. Langsam öffnete sie die Augen und wollte den Kopf heben, doch sie unterließ dies sogleich wieder, denn die Kopfschmerzen wurden dadurch unerträglich. Als sie sich jedoch wieder zurück aufs Kissen sinken lassen wollte, bemerkte sie, dass sie mit ihrem Kopf überhaupt nicht auf ihrem Kopfkissen gelegen hatte, sondern auf Thomas' Oberkörper. Nun blickte sie sich doch erschrocken um. Sie musste feststellen, dass sie zusammen mit Thomas in ihrem Bett lag und sie scheinbar beide nichts anhatten. Hatte sie etwa...mit Thomas geschlafen? Langsam kamen die Erinnerungen an den vergangenen Abend zurück. Zunächst nur verschwommen, doch dann immer klarer. Der Wassereimer, das Taxi, ja und dann war sie auf der Bananenschale ausgerutscht und dann, ja dann war es tatsächlich passiert, sie war mit Thomas im Bett gelandet. Sie konnte es einfach nicht glauben, wie hatte das passieren können? Sie waren doch so gute Freunde, oder war da vielleicht doch mehr, als sie sich eingestehen wollte? Sie konnte jetzt nicht darüber nachdenken, dazu hatte sie einen viel zu schlimmen Kater. Somit ließ sie sich seufzend zurück auf Thomas' Brust sinken und schloss wieder die Augen. In Gedanken spürte sie immer noch seine warmen, weichen Lippen auf ihren und seine zärtlichen Berührungen auf ihrer Haut. Es war eine unglaubliche Nacht gewesen. Sie konnte sich nicht erinnern, in ihrem Leben je soviel Leidenschaft und Begierde in einer einzigen Nacht erlebt zu haben. Ihr Kopf brummte jedoch so stark, dass sie nicht mehr lange fähig war, weiter darüber nachzudenken, und so fiel sie nach wenigen Minuten wieder in den Schlaf. So verblieben sie noch einige Stunden, ohne dass sich einer von ihnen rührte. Als draußen aber dann bereits die Mittagssonne durch die Fenster lachte, blinzelte Thomas und wachte auf. Er verstand überhaupt nicht, was los war und wo er sich befand. Er blickte um sich und es brauchte nicht lange, bis er Biggi erkannte, die seelenruhig auf seiner Brust schlief. Er hatte immer noch die Arme um sie gelegt. Langsam begann er, sich dunkel an die Geschehnisse der letzten Nacht zu erinnern. Genau, er befand sich in Biggis Wohnung, nachdem das Taxi nach der Party eine Panne gehabt hatte. Schlimmer noch, er befand sich in Biggis Bett. Sie hatten miteinander geschlafen. Wie hatte das nur passieren können? Obgleich er keine Antwort zu dieser Frage fand, konnte er sich sehr wohl bald wieder an die Gefühle erinnern, die er in dieser Nacht verspürt hatte. Er hatte die Nacht unglaublich genossen, er hatte so etwas noch nie zuvor erlebt. Auch nicht mit Vera. Doch die schrecklichen Kopfschmerzen, von denen auch Biggi geplagt war, verspürte er ebenso. Lange konnte er allerdings nicht mehr nachdenken, da Biggis Kopf sich auf seiner Brust plötzlich bewegte. Langsam schlug sie wieder die Augen auf. Sie erschrak abermals, wie bereits zuvor, bis ihr alles wieder einfiel. Diesmal richtete sie sich jedoch doch auf. Zögernd bewegte sie ihren Blick zu Thomas, und sah genau in seine Augen. Beide wussten sie absolut nicht, was sie sagen sollten. Die Situation war ihnen furchtbar unangenehm. "Ähm... letzte Nacht...ich weiß nicht, was los war...ich... es...", begann Biggi schließlich zögerlich und sah dann aber gleich wieder verlegen nach unten auf die Bettdecke. "...bleibt natürlich nur bei dieser einen Nacht.", führte Thomas ihren Erklärungsversuch schnell fort. Biggi nickte sofort zustimmend. Ihr war die ganze Sache so unangenehm, dabei war sie sich gar nicht sicher, ob sie überhaupt wollte, dass es nur bei dieser einen Nacht blieb. Thomas ging es genauso, obgleich er sich noch immer nicht erklären konnte, wie es wirklich so weit gekommen war. Er hatte sich bisher nie getraut, sich einzugestehen, dass er seit längerem für Biggi mehr als nur Freundschaft empfand. Die Angst, dass diese Gefühle ihre wunderbare Freundschaft zerstören könnten, war einfach zu groß. "Ich glaube, es ist das beste, wenn wir die letzte Nacht einfach aus unserem Gedächtnis streichen.", meinte Biggi dann nachdenklich. "Da hast du Recht.", stimmte Thomas ihr zu, "Ich hoffe, an unserer Freundschaft wird das nichts ändern..." Er hatte Mühe das Wort Freundschaft herauszubringen, denn eigentlich... eigentlich war es doch viel mehr als Freundschaft geworden. Er wusste zwar nicht, wie Biggi darüber dachte, doch er wurde sich immer sicherer, je länger er darüber nachdachte. Biggi musste trotz ihres Katers schmunzeln, "Natürlich wird sich nichts ändern, wie auch? Ich will dich doch auf keinen Fall verlieren.", sagte sie ehrlich, sie war unheimlich erleichtert über seine Worte. Thomas ging es nicht anders, auch er war erleichtert über Biggis Reaktion und umarmte sie zum Dank freundschaftlich. Biggi musste sich eingestehen, dass sie seine Nähe abermals unheimlich genoss, sie schmiegte sich leicht an ihn, doch dann mischte sich ihr Gewissen wieder ein. In der vergangenen Nacht war es durch den Alkohol ausgeschaltet gewesen, doch nun fragte sie sich, was sie dort eigentlich schon wieder tat. Gerade hatten sie beide abgemacht, dass es bei der einen Nacht bleiben würde, dass sie ihre Freundschaft nicht gefährden wollten und nun? Nun fühlte sie sich schon wieder so unheimlich geborgen in seinen Armen und wäre am liebsten noch viel länger so verblieben. Dann erhob sie sich jedoch wieder langsam und meinte: "Ich hole mir eine Aspirin, möchtest du auch eine?" Thomas nahm das Angebot dankbar an und so zog sich Biggi schnell ihren Morgenmantel über und schlich in die Küche. Diese Kopfschmerzen waren unerträglich, doch noch viel schlimmer war diese Verwirrung der Gefühle. Es war alles so schrecklich kompliziert.

Als sie in der Küche angekommen war, nahm sie die Packung Aspirin aus der Schublade und holte zwei Gläser aus dem Schrank. Nachdem sie die beiden Gläser mit Wasser gefüllt hatte, löste sie in jedem von ihnen eine Tablette auf und trank ihr Glas dann sofort aus. So einen schlimmen Kater hatte sie wirklich noch nie gehabt, was allerdings auch nicht verwunderlich war, da sie normalerweise nicht viel Alkohol trank. Sie beschloss, gleich die ganze Packung Aspirin mit ins Schlafzimmer zu nehmen, denn mit einer würde sie sicherlich nicht auskommen und Thomas ging es bestimmt nicht anders, er hatte schließlich fast genauso viel getrunken. Als sie mit den Tabletten, einer Kanne kaltem Wasser und zwei Gläsern zurück ins Schlafzimmer kam, lag Thomas immer noch im Bett und versuchte, sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal derart dröhnende Kopfschmerzen gehabt hatte. Es fiel ihm nicht ein. Dankbar blickte er Biggi an, als sie ihm die Aspirinpackung reichte und nahm sich gleich selbst zwei Tabletten. Biggi überlegte dann, ob sie sich auch wieder zurück ins Bett legen sollte. Aber warum eigentlich nicht? Sie hatten sich schließlich ausgesprochen und Freunde lagen schon mal gemeinsam in einem Bett. Außerdem war es ja nicht so schmal, dass sie aneinander kleben mussten. Zudem erlaubten ihr ihre Kopfschmerzen ohnehin nicht, noch länger hier zu stehen, und so kuschelte sie sich wieder unter die Bettdecke. Nun lagen sie beide nebeneinander da, wussten nicht, was sie sagen sollten und warteten, dass die Tabletten ihre Wirkung taten. Als Biggi so neben Thomas lag, ging ihr eine Menge durch den Kopf. Ihm erging es nicht anders. Da waren sie jahrelang die besten Freunde gewesen, es war nie zur Austauschung von irgendwelchen Zärtlichkeiten gekommen. Sie waren eben nur Freunde. Oder etwa doch mehr? Biggi konnte sich erinnern, schon immer ein etwas seltsames Gefühl verspürt zu haben, wenn sie sich in Thomas' Nähe befand. Auch für ihn war Biggi nie irgendeine Freundin gewesen. Besonders wenn er ihr in die Augen geblickt hatte, hatte er immer bemerkt, dass er nicht nur freundschaftliche Gefühle für sie empfand. Aber sie darauf ansprechen? Niemals. Nie hätte er gewagt, auf irgendwelche Weise ihr tiefes Freundschaftsband zueinander zu zerstören. Wer weiß, vielleicht hätte sie sich von ihm distanziert, hätte sie es erfahren?  Doch davor hatte nicht nur er Angst gehabt, ihr war es genauso ergangen. Und nun hatte es ihnen eine Unmenge von Alkoholkonsum erlaubt, endlich ihren Gefühlen vollkommen freien Lauf zu lassen. Sie hatten miteinander geschlafen, und zwar nicht nur als Freunde. Und nun sollte alles vorbei sein? Biggi kam es vor wie ein Traum. Als hätte sie alles nur geträumt, die Nacht mit Thomas, diese Leidenschaft, diese Liebe ... ja, es war auch Liebe im Spiel gewesen. Nur - es war vorbei. So schnell es zu dieser Nacht gekommen war, so schnell war sie auch wieder vorbei. Biggi war traurig darüber. Denn insgeheim hatte sie diese Nacht genossen wie keine andere in ihrem Leben. Am liebsten hätte sie das alles fortgesetzt, unendlich lange. Doch man konnte im Leben nun mal nicht alles haben, versuchte sie, sich einzutrichtern. Ähnlich schwer fiel es Thomas, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass nun bereits alles wieder vorbei sein sollte. Aus den Augenwinkeln blickte er zu Biggi hinüber, wie sie so neben ihm lag ... doch es war nicht mehr wie vorher. Und so würde es nie wieder sein. Sie waren Freunde, nicht mehr. Und doch wünschte er sich wieder ihren Kopf auf seiner Brust, sie zu spüren - diese Nähe fehlte ihm unheimlich. Wieder sah er zu Biggi hinüber, die bereits wieder die Augen geschlossen hatte und fast eingeschlafen war. Wie gern hätte er jetzt wieder den Arm um sie gelegt, sie zu sich gezogen und sie einfach geküsst. Warum musste es auch nur alles so kompliziert sein. Mit einem leisen Seufzen schloss auch er dann wieder die Augen. Er grübelte jedoch noch lange darüber nach, wie es jetzt mit ihm und Biggi weitergehen sollte, kam jedoch zu keiner Antwort. Er dachte noch immer daran, als Biggi sich im Schlaf unbewusst wieder ein wenig an ihn kuschelte. Thomas konnte jedoch nicht mehr einschlafen. Seine Kopfschmerzen waren Dank der Aspirin schon besser geworden, er hatte ja auch bei weitem nicht so viel getrunken wie Biggi. Schließlich hielt er es nicht mehr aus, dort neben Biggi zu liegen und darüber nachzudenken, wie es weitergehen würde. Er hoffte so sehr, dass diese eine Nacht nicht alles kaputt gemacht hatte, obgleich Biggi ihm versichert hatte, dass es nicht so wäre. Doch konnte sie sich wirklich sicher sein? Thomas wusste es nicht, er wusste nur, dass er nicht mehr wusste, wie er sich nach dieser Nacht ihr gegenüber verhalten sollte.

Schließlich stand er langsam auf und begann seine Sachen im Zimmer zusammen zu suchen. Er zog sich ganz leise an, denn er wollte Biggi auf keinen Fall wecken. Doch einfach so zu gehen, ohne sich zu verabschieden, das konnte er auch nicht. Wenn er sie so ansah, wie sie dort lag und schlief, verspürte er immer mehr den Wunsch, einfach nur mit ihr zusammen zu sein und die letzte Nacht zu wiederholen. Er beschloss schließlich, in die Küche zu gehen und ihr einen Zettel zu schreiben. Als er dann dort am Küchentisch saß, fiel es ihm jedoch schwer, die richtigen Worte zu finden.

 

Liebe Biggi!

Du hast so süß geschlafen, dass ich dich nicht wecken wollte. Ich wollte dir nur noch einmal sagen, dass ich sehr hoffe, dass wir beide die letzte Nacht vergessen können und alles so wird wie vorher. Und selbst wenn es nicht so sein sollte, möchte ich, dass du weißt, dass ich immer für dich da sein werde.

In Liebe,

Thomas

 

Es fiel ihm schwer diese Worte niederzuschreiben, zumal er ja eigentlich, tief in seinem Innersten, nicht hoffte, dass es so blieb, wie es vorher gewesen war. Doch was war, wenn Biggi sich von ihm abwenden würde, wenn er ihr seine wahren Gefühle gestehen würde. Nein, das wollte er auf keinen Fall riskieren, obgleich sein Wunsch mit ihr zusammen zu sein immer stärker wurde, besonders nach dieser unvergesslichen Nacht.

Nachdem er sich seine soeben niedergeschriebenen Worte noch mindestens dreimal durchgelesen hatte, nahm er den Zettel und schlich zurück ins Schlafzimmer. Biggi schlief immer noch tief und fest. Thomas ging leise zum Bett und legte den Zettel sorgfältig auf ihren Nachttisch. Er wollte sich gerade umdrehen und gehen, als er sich jedoch plötzlich wieder zurückdrehte zu Biggi und sie ansah. Er konnte einfach nicht anders, er beugte sich ganz langsam zu ihr runter, strich ihr zärtlich über die Wange und gab ihr dann einen sanften Kuss auf die Stirn. Danach stand er jedoch endgültig auf und ging. Biggi hatte von all dem nichts mitbekommen, sie schlief noch immer tief und fest.

Als Thomas zuhause ankam und die Tür aufschloss, wurde er bereits von Michael empfangen, der sich schon Sorgen gemacht hatte, weil sein Freund in der vergangenen Nacht nicht nachhause gekommen war. "Oh Mann, Thomas, da bist du ja endlich! Wo um Himmels Willen warst du die ganze Nacht?" "Ich hab bei Biggi auf dem Sofa gepennt.", antwortete Thomas nur kurz, hatte aber keine Lust auf weitere Ausführungen. Dass Michael weiterfragte, war allerdings klar. "Und wieso? Ich meine, warum bist du heute Nacht nicht einfach nachhause gekommen?" Thomas stöhnte genervt auf. "Weil wir dasselbe Taxi genommen haben und damit eine Panne hatten. Dann sind wir eben beide zu ihr." "Ach so. Sieht aber nicht so aus, als hättet ihr noch viel Schlaf erwischt." "Ich hab nur Kopfschmerzen, von gestern.", murmelte Thomas. "Na dann leg dich besser noch etwas hin, genieß das freie Wochenende." Thomas nickte nur und machte sich dann auf den Weg nach oben. Michael war echt erschrocken, weil Thomas komplett verändert und fertig aussah, doch er schob das natürlich auf die Kopfschmerzen. Oben legte sich Thomas sofort auf sein Bett, doch schlafen konnte er nicht. Und das lag keineswegs an den Kopfschmerzen. Die waren das letzte, was ihn bedrückte.

Als Biggi irgendwann aufwachte, war Thomas schon längst gegangen. Sie bemerkte sofort, dass er nicht mehr neben ihr lag, entdeckte dann aber auch gleich seinen kleinen Brief auf ihrem Nachttisch. Während sie ihn las, stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie versuchte sie zurückzuhalten, doch sie schaffte es nicht und schließlich tropfte eine nach der anderen langsam auf das kleine Blatt Papier. Wie sehr wünschte sie sich, doch einfach nur mit ihm zusammen zu sein. Dass es ihm genauso ergehen könnte wie ihr, daran dachte sie nicht im entferntesten. Hätte er ihr sonst geschrieben, dass er hoffte, sie könne die Nacht vergessen? Biggi war überzeugt, dass es nicht so war. Daran, dass auch sie dies behauptet hatte, um ihre Freundschaft zu Thomas nicht zu gefährden, dachte sie nicht. Sie war sich sicher, dass sie alles kaputt machen würde, würde sie ihm ihre wahren Gefühle zeigen. Das war es ihr dann doch nicht wert. Lieber eine gute Freundschaft als gar nichts. Schluchzend ließ sie sich zurück ins Kissen sinken. Sie war mit der jetzigen Situation mehr als unglücklich. Da hatte es schon diese eine wunderschöne Nacht gegeben und nun sollte alles sein wie vorher, obgleich dies unmöglich war. Wie sollte sie ihm denn bitte nun gegenübertreten? Nach dieser Nacht, nach diesem Brief? Am liebsten würde sie nie mehr zur Arbeit gehen. Ihn nie mehr sehen müssen, nie mehr mit ihm reden müssen... aber das war nun auch nicht das, was sie wollte. Sie liebte doch seine Gegenwart. Immer schon. Wenn er in der Nähe war, fühlte sie sich auf eine besondere Weise geborgen. Ohne ihn könnte sie auch nicht weiterleben, da war sie lieber nur mit ihm befreundet. Aber wenn es da doch etwas gab, was viel schöner als Freundschaft war... doch er wollte es wohl nicht. Das zeigte dieser Brief nun mal eindeutig. In ihrer Verzweiflung und inmitten der vielen Tränen, die von ihrem Gesicht flossen, fiel sie irgendwann wieder in einen unruhigen, traumlosen Schlaf.

Thomas konnte hingegen nicht einschlafen. Er zermarterte sich den Kopf darüber, was in der letzten Nacht und an diesem Tag passiert war. Er konnte nur an Biggi denken. An ihre Berührungen, an ihre Zärtlichkeiten, an ihre Nähe, an ihre wundervollen Augen... an diesen Blick, mit dem sie ihn in der Nacht angesehen hatte. Der Blick, der mehr als tausend Worte sagte. Hätte er es nicht, so wie er dachte, besser gewusst, hätte er den Blick für verliebt gehalten. Aber das konnte ja nicht sein. Biggi wollte es schließlich bei der einen Nacht belassen. Dachte er zumindest. Und diese Gedanken brachten ihn zur Verzweiflung. Er beschloss, am Montag die Zeit während des Schichtwechsels, wenn sie sich sahen, so kurz wie nur möglich zu halten. Anders würde er diese Situation niemals aushalten, dessen war er sich sicher. Er hatte Angst davor, Biggi am Montag wiederzusehen. Wieder in ihre wundervollen Augen zu sehen, in die er doch eigentlich verliebt war. Auf der anderen Seite hielt er es kaum aus, seitdem er nicht mehr mit ihr zusammen war und sehnte sich unheimlich nach ihrer Gegenwart.

Und so verging das Wochenende. Draußen war es voller Sonnenschein und Wärme, doch in Thomas' und Biggis Herzen bebten die Trauer und Verzweiflung vor unerwiderter Liebe...

Der Montagmorgen kam und somit auch die Frühschicht des B Teams. Gabi und Ralf betraten als erstes die Basis und wunderten sich sogleich, dass Thomas und Biggi anscheinend nicht fertig aufgeräumt hatten. Es gab noch einiges zu tun. "Die beiden werden sicherlich auch müde gewesen sein.", vermutete Ralf und so beschlossen er und Gabi, schnell den Rest aufzuräumen, bevor Ebelsieder die Basis betreten würde. Dann würde er sie wirklich alle um einen Kopf kürzer machen. Doch Ebelsieder kam noch nicht und so konnten sie in Ruhe aufräumen.

Biggi erreichte erst wenige Minuten vor Schichtbeginn die Basis. Gabi hatte das Motorrad ihrer Freundin auf den Parkplatz fahren gehört und ging nun in den Aufenthaltsraum, um sie zu begrüßen. "Hallo Biggi, schön, dass du... ", sie brach mitten im Satz ab und blickte Biggi erschrocken an. "Was ist denn passiert?", fragte sie dann sofort, denn Biggi sah bemitleidenswert niedergeschlagen aus. Dabei war sie es sonst immer, die morgens die gute Laune mit auf die Basis brachte. "Ach, nichts...", murmelte Biggi nur leise und schob sich an Gabi vorbei in die Umkleide. Sie hatte Mühe ihre Tränen zu unterdrücken. Gabi folgte ihr besorgt. "Nach nichts sieht das aber nicht aus.", meinte sie, während sie sich neben Biggi setzte und tröstend den Arm um ihre Freundin legte. Biggi wischte sich die Tränen weg und war kurz davor, Gabi alles zu erzählen. Sie musste jetzt einfach mit jemandem reden, sie hielt es nicht mehr aus, mit ihrer Verzweiflung allein zu sein. Doch gerade als sie beginnen wollte, Gabi alles zu berichten, meldete sich die Alarmglocke. Wie hätte es auch anders sein können... "Rettungsleitstelle an Medicopter 117, Verkehrsunfall in der Nähe von Murnau, GPS Koordinaten über Funk." Biggi fluchte innerlich, ebenso Gabi, die unbedingt erfahren wollte, was ihre beste Freundin so sehr bedrückte. Nun würden sie das wohl oder übel auf nach dem Einsatz verschieben müssen.

Ralf wartete bereits am Helicopter, als seine beiden Kolleginnen aus dem Hangar geeilt kamen. Biggi schwang sich ins Cockpit, wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht und startete dann souverän den Helicopter. Sie wusste, dass sie sich jetzt konzentrieren und ihre privaten Sorgen zurückstecken musste.

Der Einsatz war kein schwerwiegender, dauerte jedoch ziemlich lange, da sie mehrere Verletzte in verschiedene Krankenhäuser fliegen mussten. Biggi war froh darüber, so war sie wenigstens ein bisschen abgelenkt. Doch als sie dann den letzten Verletzten im Zentralklinikum abgeliefert hatten und den Heimflug antraten, musste sie sofort wieder an Thomas denken. Der Schichtwechsel stand kurz bevor und wahrscheinlich würde er schon auf der Basis warten. Wie sollte sie ihm nur gegenübertreten? Sie wusste es absolut nicht. Langsam lief eine Träne über ihre Wange. Sie wischte sie jedoch schnell weg, Ralf und Gabi sollten nichts bemerken, sie wollte nicht, dass die beiden sich Sorgen machten.

Als sie zur Landung auf der Basis ansetzte, atmete sie auf, Thomas' Auto stand noch nicht auf dem Parkplatz, nur Michaels. Aber vielleicht war er mit ihm zusammen gefahren, das taten sie oft. Als sie gelandet waren, nahmen sich Gabi und Ralf die Ausrüstung und gingen vor zum Hangar. Biggi blieb noch eine Weile im Cockpit sitzen und kam erst ein wenig später langsam hinterher.

Gabi und Ralf betraten zur selben Zeit den Aufenthaltsraum, wo Peter und Michael auf dem Sofa saßen. "Morgen ihr beiden", begrüßte Ralf seine Kollegen. "Ist Thomas noch nicht da?", fragte Gabi dann nach, denn normalerweise war Thomas immer der erste des A Teams, der auf der Basis eintraf, unter anderem, weil er sich dann noch ein wenig mit Biggi unterhalten konnte. Doch genau das hatte er heute vermeiden wollten. "Nein, ich habe ihm angeboten mit mir zu fahren, aber er wollte später nachkommen. Ich weiß auch nicht, was mit ihm los ist, seit gestern ist er schon so komisch." Gabi und Ralf zuckten nur mit den Schultern. In dem Moment betrat dann auch schon Biggi den Aufenthaltsraum. Sie hatte erst noch einen Moment im Flur gewartet und gelauscht und war erst, als sie sich sicher war, nur Gabis, Michaels, Ralfs und Peters nicht aber Thomas' Stimme zu hören, in den Aufenthaltsraum gekommen. "Morgen Biggi", begrüßten Peter und Michael ihre Kollegin. Biggi brachte nur ein leises "Hallo" hervor und setzte sich dann schweigend zu ihnen aufs Sofa. Auch den anderen war aufgefallen, dass Biggi total fertig war, doch nach dem Grund zu fragen, trauten sie sich jetzt auch nicht. Sie hatten sowieso keine Gelegenheit dazu, denn im nächsten Augenblick fuhr Thomas' Auto auf den Parkplatz, er stieg aus und kam langsam auf den Eingang zu. Als er mit der Hand den Türhebel an der Basistür berührte, stockte er noch mal. Nein, er konnte nicht anders, er war ohnehin schon spät. Jetzt musste er eintreten. "Thomas, na endlich, jetzt wird's aber langsam Zeit.", wurde er von Michael begrüßt, der ungeduldig auf die Uhr blickte. "Jaja, schon gut. Ich geh mich umziehen.", meinte der nur darauf, ohne irgendwem im Aufenthaltsraum in die Augen zu sehen. Das wäre peinlich gewesen, denn auch er hatte geweint. Schnell verschwand er in der Umkleide. Die anderen blickten sich nur verwundert an, bis auf Biggi. Die hatte den Kopf so weit es nur ging zum Boden gesenkt, um Thomas bloß nicht sehen zu müssen. Seine Stimme allein reichte schon, dass ihr wieder die Tränen hochstiegen. Doch sie schaffte es mit Mühe, sie zu unterdrücken. Ralf fragte: "Na, wer von euch möchte ne Tasse Kaffee?" "Ich bitte!", rief einer nach dem anderen dankbar, nur Biggi schwieg. Das wunderte Ralf, wo sie den gemeinsamen Kaffee zum Schichtwechsel doch immer wie alle anderen genoss. "Du doch auch Biggi, oder etwa nicht?" Biggi blickte auf und nickte dann mit einiger Überwindung. Sie wollte nicht, dass ihre Niedergeschlagenheit den anderen noch mehr auffiel als sie es ohnehin schon getan hatte.  Thomas hatte sich inzwischen in der Umkleide seinen Overall übergezogen. Erst als er nach einem ausgiebigen Blick in den Spiegel sichergestellt hatte, dass seine Augen nur mehr kaum sichtbar gerötet waren, trat er wieder nach draußen auf den Flur. Dort musste er sich einen Ruck geben, bevor er auf den Aufenthaltsraum zutrat. "Gut, jetzt sind wir ja alle komplett. Ich hab für dich auch eine Tasse Kaffee gemacht, ist das ok, Thomas?", fragte Ralf ihn. Eigentlich wollte Thomas seine Zeit im Aufenthaltsraum möglichst kurz halten, doch nun nickte er doch und murmelte ein kurzes "Danke." Biggi saß noch immer hinten auf dem Sofa. Thomas ließ sich am Schreibtisch nieder und drehte sich mit dem Rücken zu Biggi. Er hatte bereits bemerkt, dass sie dort saß. Es tat ihm unheimlich weh, ihr so aus dem Weg zu gehen. Bisher hatten sie sich zumindest mit einem fröhlichen "Guten Morgen!", ja, meist sogar mit einer freundschaftlichen Umarmung begrüßt. Und heute? Heute wandten sie sich den Rücken zu, als wären sie Erzfeinde. Dabei liebte er sie doch. Und sie liebte ihn. Doch das wagte keiner von ihnen, auf irgendeine Weise zuzugeben. Um der Freundschaft willen. "Kaffee ist fertig, kommt, setzt euch! Hier hab ich noch frische Brötchen.", rief Ralf und kam mit einer vollen Kanne heißem Kaffee und einem Korb frischer, knuspriger Brötchen aus der Küche. "Oh Ralf, du bist ein Schatz!", meinte Gabi und gab ihrem Liebsten einen zärtlichen Kuss. Biggi und Thomas blieb nun auch nichts anderes übrig, nachdem sich alle bereits hingesetzt hatten, als sich auch hinzuzusetzen. Und anders konnte es natürlich nicht kommen. Es waren nur mehr zwei Stühle frei, und zwar die, auf denen Thomas und Biggi normalerweise immer saßen. Direkt nebeneinander. Als sie es bemerkten, wären sie am liebsten beide wieder weggegangen. Doch jetzt gab es keine andere Möglichkeit, als sich zögernd hinzusetzen und einander keines Blickes zu würdigen. Niedergeschlagen blickten sie beide nach unten. Biggi hielt es kaum mehr aus. Diese Distanz, diese schreckliche Distanz, die sich aufgebaut hatte. Ralf schenkte jedem eine Tasse Kaffee ein und verteilte die Brötchen. Zwischen Thomas' und Biggis Tellern stand die Marmelade, die sie beide immer am liebsten mochten. Biggi wartete, bis Thomas sich davon nahm, doch das geschah nicht. Ebenso ging es Thomas, der Biggi den Vortritt lassen wollte. Früher hatten sie sich oft gegenseitig die Brötchen geschmiert. Doch heute? Heute wurde kein Wort, kein Blick, nichts wurde gewechselt. Nach einer Weile, als es schon seltsam aussah, dass keiner von ihnen etwas von seinem Brötchen aß, griff Biggi nach ihrem Messer und wollte sich gerade Marmelade nehmen, als sie mit ihrer Hand an Thomas' Hand stieß, der das gleiche vorhatte. Sie hielten kurz inne, bis Thomas dann murmelte: "Bitte..." Dabei trafen sich kurz ihre Blicke. Obgleich es nur der Bruchteil einer Sekunde war, Biggi war es, als ob ein Stromschlag durch ihren ganzen Körper zischte. Für Thomas war es nicht anders. "Danke.", brachte sie nur leise hervor, wollte sich dann Marmelade nehmen, doch sie konnte nicht. Mit einem kurzen Klirren ließ sie das Messer fallen, stand auf und verließ fluchtartig den Aufenthaltsraum. Sie rannte über den Flur, ließ die Umkleideraumtür mit einem Knall hinter sich zufallen und ließ sich tränenüberströmt auf die Bank sinken. Im Aufenthaltsraum blickten sich alle, bis auf Thomas, nur geschockt an.

"Ich gehe mal nachsehen, was mit ihr los ist.", meinte Gabi dann besorgt und folgte Biggi in die Umkleide. Dort fand sie ihre Freundin schluchzend auf der Bank vor. "Hey, Biggi, was ist denn los?", fragte sie besorgt und nahm sie tröstend in den Arm., "Ach Gabi...", brachte diese nur schluchzend hervor und fing dann in Gabis Armen richtig an zu weinen. Gabi strich ihr beruhigend über den Rücken, sie machte sich große Sorgen. Was war denn nur passiert? Vor zwei Tagen noch war Biggi total unbesorgt und fröhlich gewesen, wie immer eigentlich, aber nun? Irgendetwas musste geschehen sein. Nur was? Biggi beruhigte sich in Gabis Armen ganz langsam wieder. "Nun erzählst du mir erst mal, was los ist, hm?", meinte Gabi lieb und reichte Biggi ein Taschentuch, mit dem sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. "Gabi...ich...ich....ich hab mit Thomas geschlafen.", brachte Biggi nur leise hervor und wieder stiegen ihr Tränen in die Augen. Gabi sah sie überrascht an, damit hatte sie nun absolut nicht gerechnet. "Und wie geht es jetzt weiter mit euch?", fragte sie Biggi vorsichtig. "Das ist es ja, ich weiß es nicht.", wieder begann sie zu schluchzen, erzählte dann jedoch weiter: "Wir waren beide nach der Feier total betrunken und dann ist es eben passiert, aber trotzdem war es... wunderschön." Gabi, die schon lange, sehr lange geahnt hatte, dass Thomas für Biggi mehr als nur ein guter Freund war, nickte verständnisvoll. "Und was sagt Thomas dazu?", fragte sie dann. Nun konnte Biggi die Tränen wirklich nicht mehr zurückhalten und sie begann hemmungslos zu schluchzen. "Ich liebe ihn doch und für ihn... für ihn war es nur ein Ausrutscher.", schluchzte sie, worauf Gabi sie noch fester in den Arm nahm. "Hat er das wirklich so gesagt?", fragte Gabriele, die sich das eigentlich nicht vorstellen konnte. Sie war sich immer ziemlich sicher gewesen, dass Thomas auch mehr für Biggi empfand und sie sich beide nur nicht trauten, dem anderen ihre Gefühle zu gestehen. Zumindest hatte sie sein Verhalten Biggi gegenüber oft als auffällig wahrgenommen. Biggi zog den kleinen Brief, den Thomas geschrieben hatte, aus ihrer Tasche und gab ihn Gabi. Gabi las ihn sich durch und musste zugeben, dass es sich wirklich so anhörte. Biggi tat ihr so Leid, sie konnte wohl nichts anderes tun, als sie abzulenken. Dann aber fiel ihr ein, dass Thomas ebenso fertig ausgesehen hatte und die Sache an ihm auch bei weitem nicht spurlos vorbeigegangen zu sein schien. "Und was ist, wenn du noch einmal mit ihm redest, vielleicht geht es ihm ja genauso?" Biggi schüttelte den Kopf. "Nein, das kann ich nicht, ich weiß doch überhaupt nicht mehr, wie ich ihm gegenübertreten soll, am liebsten würde ich mich versetzen lassen..." "Biggi, nun hör aber auf. Wo ist denn die Biggi geblieben, die ich kenne? Die Biggi, die ich kenne, gibt nicht so schnell auf und lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Wenn du mit ihm redest, kannst du nichts verlieren, nichts, was du nicht schon verloren hast." Gabi hatte ja Recht, das sah Biggi schon ein und sie wollte sich ja eigentlich auch nicht unterkriegen lassen, aber das war in dieser Situation nun einmal leichter gesagt als getan. Noch einmal mit Thomas reden, das konnte sie sich im Moment absolut nicht vorstellen. "Biggi, sag ihm, was du fühlst, wenn du mit offenen Karten spielst, hast du es viel leichter. Selbst wenn es wirklich so ist, dass es für Thomas ein Ausrutscher war, wenn ihr euch ausgesprochen habt, dann wirst du ihm auch wieder irgendwann normal gegenübertreten können, glaub mir.", redete Gabi noch einmal auf ihre Freundin ein. "Ach Gabi... ich kann das nicht...", schluchzte Biggi nur wieder und ließ sich in ihre Arme sinken. Gabriele seufzte, sie musste Biggi helfen, aber wie?

Zur gleichen Zeit saßen Michael, Ralf, Peter und Thomas immer noch am Tisch im Aufenthaltsraum und schwiegen. Den anderen war es nicht entgangen, dass Thomas ebenfalls total niedergeschlagen war und somit lag die Vermutung nahe, dass seine und Biggis Stimmung etwas miteinander zu tun hatten. Nachfragen wollte aber auch keiner, es ging sie im Prinzip ja auch nichts an, das war Thomas' private Sache, aber sie machten sich schon Sorgen um ihn. So fertig sahen sie ihn selten. Das letzte Mal war er nach Veras Tod so niedergeschlagen gewesen, aber das war jetzt schon drei Jahre her.

Thomas saß noch immer auf seinem Stuhl. Er hatte den Kopf auf die Hände gestützt und sah auf den Boden, sodass die anderen den traurigen Ausdruck in seinen Augen nicht erkennen konnten. Wie sehr wünschte er sich, dass er jetzt bei Biggi in der Umkleide säße anstelle von Gabi. Es tat so verdammt weh, erkennen zu müssen, was diese Nacht alles verändert hatte, wie sehr sie sich distanziert hatten. Wahrscheinlich wusste auch Biggi nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte, das war ihm klar, darauf, dass sie jedoch das gleiche für ihn empfand, wie er für sie, darauf kam er nicht im entferntesten.

Währenddessen hatte sich Biggi in der Umkleidekabine ganz langsam wieder ein wenig beruhigt. Immer noch flossen ihr einzelne Tränen übers Gesicht und sie verbarg ihr Gesicht leise schluchzend in Gabis Arm. Diese hätte so gern mehr für sie getan, als hier zu sitzen und sie zu trösten, aber wie? Biggi musste einfach mit Thomas reden, das war ihr klar. Sie war überzeugt, dass die Situation dann um vieles besser werden würde, egal, wie er reagieren würde. Doch wie konnte sie Biggi dazu bringen? Sie strich ihr beruhigend über den Rücken und meinte: "Biggi, glaub mir, wenn ihr euch aussprecht, kann es nur besser werden. Sag ihm die Wahrheit ins Gesicht, du kannst ja nichts verlieren. Oder kannst du dir vorstellen, dass es noch eine schlimmere Situation als diese gibt?" Biggi schüttelte den Kopf. "Aber es bringt ja nichts.", schluchzte sie. "Das hat doch alles keinen Sinn, er hat mir ja geschrieben, was er will. Und das werde ich auch akzeptieren. Es ist aus.", fügte sie hinzu, worauf ihr wieder ein Schwall Tränen übers Gesicht floss. "Aber Biggi...", sagte Gabi nur, und wusste endgültig nicht mehr, was sie tun sollte. Dass Biggi nun hoffnungslos und in dieser Situation einfach nur verzweifelt war, konnte sie sehr wohl verstehen. Doch das konnte sie ihr doch nicht sagen. Sie musste ihr Mut machen. Mut, den Schritt zu wagen, vielleicht doch wieder ein wenig der Vergangenheit näherzukommen. Oder besser noch, der Wirklichkeit. Sie konnte einfach nicht glauben, dass Thomas nicht mehr für Biggi empfinden sollte als er zugab. Schließlich war sie nicht blind. Sie hatte schon immer bemerkt, dass Thomas Biggi mit einem anderen Blick als alle anderen angesehen hatte. Zudem war er immer schon gern in Biggis Gesellschaft gewesen. Oft hatte er irgendwelche seltsamen Ausreden gefunden, um noch länger an der Basis und somit mit Biggi zusammenbleiben zu können. Das konnte doch nicht alles nur aus Freundschaft sein. Befreundet waren sie schließlich alle.

Drüben im Aufenthaltsraum schlürften alle betreten wieder an ihrem Kaffee. Keiner wusste, was er sagen sollte. Nach einer Weile stand Thomas lautlos auf und ging Richtung Hangar. Er wollte jetzt allein sein. Er konnte niemandem in die Augen sehen, und schon gar nicht Biggi, wenn sie zurückkam. Also suchte er sich einen abgeschiedenen Platz am Heliport, setzte sich hin und stützte verzweifelt den Kopf in seine Hände.

Wie gern wäre er jetzt einfach zu Biggi in die Umkleide gegangen und hätte ihr gesagt, was er für sie empfand. Da er jedoch fest davon überzeugt war, damit alles nur noch schlimmer zu machen, unterließ er es und verweilte einsam - mit seinen Gedanken bei Biggi - am Heliport. Nun war es doch so gekommen, wie er befürchtet hatte und sie distanzierten sich voneinander, zumindest sah es im Moment so aus.

Immer wieder fragte er sich, ob diese eine Nacht es wirklich wert gewesen war, dass sie ihre enge Freundschaft gefährdeten, ja wenn nicht schon längst zerstört hatten. Es war die schönste Nacht seines Lebens gewesen, das war klar, doch hatte sie alles so schrecklich kompliziert gemacht. Er und Biggi konnten einfach nicht mehr miteinander reden und wussten nicht, wie sie sich dem anderen gegenüber verhalten sollten.

Und so blieb es auch die nächsten zwei Monate. Thomas und Biggi erschienen immer erst kurz vor Schichtbeginn auf der Basis, um dem anderen aus dem Weg zu gehen. Sie waren beide zu dem Entschluss gekommen, dass ein Gespräch auch nichts nützen würde und ihnen ein bisschen Abstand sicher ganz gut tun würde, schlimmer würde es ganz sicher nicht dadurch werden. Zudem wussten sie sowieso nicht, was sie dem anderen hätten sagen sollen, wenn sie miteinander reden würden.

Gabi versuchte zwar immer wieder, Biggi davon zu überzeugen, mit Thomas zu reden, doch Biggi konnte das einfach nicht. Es tat alleine schon so verdammt weh, ihn anzusehen oder seine Stimme zu hören, immer wissend, dass aus ihnen niemals etwas werden würde.

Den anderen Kollegen auf der Basis war natürlich aufgefallen, dass sich Thomas und Biggi total voneinander distanziert hatten und zudem beide meistens traurig und verzweifelt wirkten, doch immer, wenn sie Thomas darauf ansprachen, entgegnete er, dass das nur Biggi und ihn etwas anginge und immer wenn sie von Biggi den Grund erfahren zu versuchten, sagte sie ihnen, dass sie darüber nicht reden wollte, wobei ihr oft wieder die Tränen hochstiegen. So hatte man sich auf der Basis schon fast daran gewöhnt und keiner fragte mehr nach.

So auch an diesem Donnerstagmorgen, an dem das A Team die Frühschicht hatte. Michael und Peter saßen im Aufenthaltsraum und tranken eine Tasse Kaffee zusammen, wie sie es meistens am Morgen taten. Thomas hingegen war im Hangar und machte ein Spiel am Flipper. Er zog sich seit der Sache mit Biggi immer öfter hier hin zurück. Konzentrieren konnte er sich jedoch selten auf das Spiel, denn Biggi ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Es tat so verdammt weh, dass von ihrer einst so engen Freundschaft nichts mehr zu spüren war. Sie redeten kaum miteinander, nur wenn es unbedingt nötig war und meistens waren "Guten Morgen" und "Tschüss" die einzigen Worte, die sie wechselten.

Es war zehn Minuten vor Schichtwechsel, als Biggi die Basis betrat. Ralf und Gabi waren bereits fertig umgezogen und saßen bei Peter und Michael im Aufenthaltsraum, die ihnen auch eine Tasse Kaffee angeboten hatten. "Morgen", begrüßte Biggi ihre vier Kollegen und verschwand dann in der Umkleide, wobei sie froh war, Thomas nicht begegnet zu sein.

Für Michael, Peter, Ralf und Gabi gehörte es längst zur Tagesordnung, dass sie sowohl von Thomas als auch von Biggi nie mehr als ein leises "Morgen" oder "Hi" als Begrüßung zu hören bekamen. Die beiden hatten sich innerhalb der letzten beiden Monate komplett verändert. Biggis Fröhlichkeit war ebenso sehr verschwunden wie Thomas' Charme und seine Sprüche für jede Lebenslage. Beide blickten sogar am schönsten Sonnentag drein wie sieben Tage Regenwetter. Und so auch an diesem Tag.

Biggi nahm sich besonders lange Zeit zum Umziehen, da sie so die Chance hatte, Thomas nicht mehr begegnen zu müssen. Vielleicht würde er ja in der Zwischenzeit schon nachhause fahren, wobei sie eigentlich wusste, dass das ungewöhnlich wäre, weil der andere schließlich immer komplett fertig für seine Schicht sein musste. Während sie sich ihren Overall überzog, verspürte sie auf einmal ein seltsames, flaues Gefühl im Bauch und ihr wurde ein wenig schwindlig. Sie setzte sich kurz auf die Bank, bis es wieder vorbei war. Dann blickte sie auf die Uhr, um sich zu vergewissern, dass es Zeit war, als plötzlich der Alarm durch die ganze Basis ertönte: "Großbrand in einer Fabrikhalle in Bad Reichenhall, mehrere Schwerverletzte. Bei Möglichkeit werden beide Teams erfordert. GPS-Koordinaten per Funk. Over and out."

Biggi seufzte leise auf. Na klasse. Nun durfte sie sogar einen ganzen Einsatz lang mit Thomas zusammen sein. Aber das würde sie schon überstehen. Also nahm sie sich noch eilig ihre Jacke vom Haken und stürmte nach draußen, wo sie mit den anderen zusammentraf. Sie war froh, dass Thomas sich bereits ins Cockpit gesetzt hatte. Ihre Schicht würde eigentlich erst in einer Minute beginnen, und so brauchten sie wenigstens nicht lange auszuhandeln, wer flog. Ohne auch nur einen einzigen Blick auf Thomas zu werfen, stieg sie gerade auf die Stufe und wollte sich auf den Copilotensitz setzen, als ihr schon wieder schwindlig wurde. Kraftlos sank sie wieder von der Stufe runter und blieb für ein paar Sekunden draußen stehen, während Thomas bereits die Rotoren startete und die anderen sich längst in den Heli gesetzt hatten. Dann versuchte sie es abermals, rutschte jedoch von der Stufe ab. Immer noch war ihr ein wenig schwarz vor Augen. Die Situation war ihr verdammt unangenehm, vor allem wegen Thomas. Der bemerkte natürlich, dass irgendwas nicht stimmte, und blickte dann doch zu Biggi. Er erschrak bei ihrem Anblick. Sie sah total blass und schwach aus, noch viel schlimmer als das letzte Mal, als er sie vor ein paar Tagen richtig gesehen hatte. Das kam schließlich kaum mehr vor, nachdem sie sich beide völlig aus dem Weg gingen und sich so gut wie nie ansahen. So vergaß er auch die Verzweiflung, die immer noch in ihm ruhte, und fragte leise: "Alles ok?" Biggi nickte nur und stieg abermals auf die Stufe. Da gab sich Thomas einen Ruck und streckte ihr die Hand entgegen. Sie blickte sie überrascht an, sah dann in seine Augen, und wieder versetzte es ihr einen Stich. Diese Augen. Sie liebte ihren Anblick, und nun hatte sie ihn seit zwei Monaten nicht mehr erlebt. Wenn sie mal ein paar Worte miteinander austauschen mussten, sahen sie sich dabei nie an. Es war ein wunderschöner Anblick und ihr wurde warm ums Herz. So warm, wie ihr bestimmt seit mindestens zwei Monaten nicht mehr gewesen war. Sie erwiderte wie magnetisch angezogen seinen Blick. Dann nahm sie zögernd seine starke Hand und ließ sich von ihm ins Cockpit helfen. Diesmal klappte es auch und sie konnte endlich die Tür hinter sich zuklappen. "Danke.", meinte sie dann leise zu Thomas, wagte es aber nicht mehr, ihn anzublicken.

Den Flug zum Einsatzort, der nicht allzu weit von der Basis entfernt lag, legten sie schweigend zurück. Während Michael und Gabi gedanklich noch einmal alles durchgingen, was sie über Verbrennungen wussten, war Thomas wie so oft mit seinen Gedanken bei Biggi. Sie hatte vorhin beim Einsteigen so schwach und zerbrechlich gewirkt und er machte sich Sorgen um sie, große Sorgen. Jedoch blieb ihm keine weitere Zeit dazu, darüber nachzudenken, denn wenige Augenblicke später hatten sie den Einsatzort erreicht. Die dicken Rauchwolken waren schon von weitem zu sehen gewesen. Thomas landete den Helicopter auf einer kleinen Wiese neben der brennenden Fabrikhalle, aber noch mit genügend Sicherheitsabstand. Michael, Gabi, Ralf und Peter sprangen sofort aus dem Heli und eilten zu den Verletzten, die größtenteils schon von der Feuerwehr, die bereits eingetroffen war, ins Freie gebracht worden waren. Es gab viel zu tun, denn die meisten hatten schwere Verbrennungen erlitten. Nachdem Thomas die Turbinen heruntergefahren hatte, stieg auch Biggi langsam aus. Sie fühlte sich wieder besser und das Schwindelgefühl war zum Glück verschwunden. Während Thomas die Trage aus dem Heck des Helicopters holte, eilte Biggi zu Gabi und Ralf, die gerade einen schwer verletzten Mann versorgten, und fragte sie, ob sie ihnen irgendwie helfen könne. Gabi verneinte dies, da sie den Patienten soweit versorgt hatten, dass er mit einem der inzwischen eingetroffenen Rettungswagen in die Klinik gebracht werden konnte. "Michael und Peter sind in der Halle und kümmern sich dort um einen eingeklemmten Mann, den die Feuerwehr zu befreien versucht. Dort können sie sicherlich jede Hand gebrauchen.", meinte Gabi dann jedoch. Biggi zögerte nicht lange und rannte zum Eingang der Halle. Es war alles voller Rauch und sie konnte kaum etwas erkennen. Zum Glück hatte sie jedoch ihr Walkie dabei, womit sie Kontakt zu Peter und Michael aufnehmen konnte. Die beiden teilten ihr mit, dass sie sich etwa in der Mitte der Halle befanden und somit versuchte Biggi sich dorthin vorzutasten. Dies erwies sich als schwierig, da der Rauch furchtbar in ihren Augen brannte und sie aufpassen musste, dass sie nicht von brennenden Balken, die von der Decke herunterkamen, getroffen wurde. Schließlich hatte sie es jedoch geschafft, sie hatte Michael und Peter erreicht. Diese hatten alle Hände voll zu tun, denn es war nicht nur ein Mann eingeklemmt, sondern gleich drei, die alle verletzt waren. Die Feuerwehr hatte es gerade geschafft, den ersten von ihnen zu befreien. Dieser wurde nun von Peter und einem Feuerwehrmann ins Freie getragen, wo sie von Thomas, Gabi und Ralf bereits erwartet wurden. Sie legten den Verletzten auf die Trage und Thomas und Ralf sollten ihn dann ins nächste Klinikum fliegen, da er dringend in den OP musste. Es  zählte jede Minute. "Wo ist Biggi eigentlich?", fragte Thomas Peter noch, bevor dieser zurück in die Halle verschwand, denn er hatte sie längere Zeit nicht mehr gesehen und erinnerte sich immer wieder daran, wie blass sie doch vorhin ausgesehen hatte. "Sie ist drinnen zusammen mit Michael, dort sind noch zwei Verletzte eingeklemmt.", informierte Peter ihn und begab sich dann endgültig wieder in die Halle. Thomas hatte ein ungutes Gefühl, wenn er daran dachte, dass Biggi in dieser brennenden Halle war, die Feuerwehr hatte die Flammen noch nicht ganz unter Kontrolle und zudem war die Halle bereits einsturzgefährdet. Doch er hatte jetzt keine Zeit, um irgendetwas zu unternehmen, zudem konnte er Biggi ja schlecht aus der Halle herausholen, sie wurde dort gebraucht. Und er wurde jetzt hier gebraucht und musste sich auf den Flug konzentrieren. Das versuchte er dann auch wieder, was ihm jedoch schwer fiel. Dieses ungute Gefühl blieb und ließ sich nicht verdrängen. Thomas war froh, als sie den Patienten im Klinikum abgeliefert hatten und sich auf den Rückweg zum Einsatzort machen konnten. Währenddessen waren Biggi, Michael und Peter gerade schwer damit beschäftigt, die anderen beiden Verletzten zu bergen. Einer war noch eingeklemmt, aber nur leicht verletzt, doch der andere musste dringend in die Klinik. Michael und Peter legten ihn auf eine Trage und machten sich auf den Weg nach draußen. Biggi beschloss, bei dem anderen Mann zu bleiben, der zwar kaum Schmerzen hatte, jedoch ziemlich in Panik war. Er hatte schließlich Todesangst und es war nicht sicher, ob sie ihn lebendig aus dieser Lage befreien konnten. "Wir sagen der Feuerwehr draußen Bescheid, warte du solange hier, ok?", meinte Michael zu Biggi. Eigentlich wäre er lieber selbst in der Halle bei dem Mann geblieben, schließlich war jede Sekunde hier drin lebensgefährlich und bevor er seine Kollegen gefährdete, riskierte er lieber selbst sein Leben. Doch der Schwerverletzte hatte eine ganze Menge Übergewicht und es wäre für Biggi als Frau unmöglich gewesen, ihn zu tragen. Biggi versuchte, so gut es ging, den panischen Mann zu beruhigen. Sie erzählte ihm irgendetwas, redete ruhig auf ihn ein, was alles andere als leicht war, denn der Rauch wurde immer dichter und der Sauerstoff in der Halle knapper. Auch das Feuer breitete sich immer mehr aus und die Balken an der Decke krachten bedrohlich. Immer wieder blickte sie ängstlich Richtung Ausgang, den sie jedoch nicht mehr erkennen konnte. Draußen verhandelte Michael aufgeregt mit den Feuerwehrleuten. Die meinten, es sei zu riskant, jetzt noch in die Halle zu gehen. Doch schließlich konnte Michael sie doch davon überzeugen, mit ihm zu kommen, und überließ den Schwerverletzten Gabi. Sie sollte sofort, wenn Thomas eintraf, mit ihm ins Klinikum fliegen. Kurz darauf kam Thomas auch schon, und Gabi und Peter liefen ihm bereits mit der Trage entgegen. "Noch ein Verletzter?", fragte Thomas. Eigentlich war er so froh gewesen, wieder hier zu sein, schließlich befanden sich hier alle seine Freunde, besonders Biggi, unter Gefahr. Wie gern hätte er mit ihr getauscht und wäre in die Halle gegangen, doch dazu blieb jetzt keine Zeit. Er konnte nur hoffen, dass sie sich bereits im Freien befand und nicht mehr dem Rauch in der Halle ausgesetzt war, wo es ihr doch ohnehin schon nicht so gut zu gehen schien. "Alles klar, Thomas, du kannst abheben!", hörte er dann Ralfs Stimme durch den Funk. Gabi hatte sich hinten zum Verletzten gesetzt und versorgte ihn nun mit Sauerstoff. Während des Fluges fragte Thomas sie: "Sind die anderen eigentlich schon draußen?" "Hm, soviel ich weiß, sind Michael und Biggi noch in der Halle. Da ist eine Person eingeklemmt und Michael musste erstmal die Feuerwehr zur Bergung überreden.", erklärte Gabi ihm. Ihre Antwort beunruhigte Thomas unheimlich. Wenn er sich vorstellte, dass sich Biggi gerade unter Lebensgefahr befand... natürlich machte er sich auch um Michael Sorgen. Doch Biggi ging es heute doch ohnehin schon nicht gut! Er musste die ganze Zeit über an ihren Anblick von vorhin denken, das blasse Gesicht, die traurigen Augen ... er stellte sich die schlimmsten Dinge vor. Dass Biggi in diesen Flammen ersticken könnte, ohne je zu erfahren, was er wirklich für sie empfand. Verdammt, er liebte sie doch!

Inzwischen war die Bergung des letzten Verletzten bereits in vollem Gange. Die Feuerwehrleute hatten mit Seilen den Balken abgesichert, unter dem der Mann eingeklemmt war und versuchten nun, diesen hochzuziehen. Michael kontrollierte währenddessen den Zustand des Mannes, dem es körperlich noch ziemlich gut ging. Zu Biggi meinte Michael: "Geh du inzwischen raus, es sind mehr als genug Leute hier drin. Du holst dir ja noch ne Rauchvergiftung. Es ist doch alles ok, oder?" Biggi nickte und stand mit viel Mühe auf. Der Rauch war ihr wirklich schon ein wenig zu Kopf gestiegen. Das war auch kein Wunder, bestand doch der Großteil der Luft nur mehr aus reinem Qualm. Sie hustete und versuchte, sich in der Halle Blick zu verschaffen. Das war nicht gerade leicht, da diese zum einen sehr groß und zum anderem ja voller Feuer und Rauch war. Sie ging ein paar Schritte vorwärts, schwankte dann aber, weil ihr plötzlich wieder schwindlig wurde. Sie hielt kurz inne und versuchte, sich zusammenzureißen. Als es wieder halbwegs ging, machte sie erneut mehrere Schritte, bis sie irgendwann bemerkte, dass sie in die falsche Richtung unterwegs war. Irgendwo hörte sie noch von weitem die Stimmen der anderen, doch sie verlor plötzlich jeglichen Sinn von Orientierung. Ihre Beine wurden immer weicher unter ihr, sie bekam kaum mehr Luft und konnte nichts mehr erkennen. Sie gab sich einen letzten Ruck, sie durfte jetzt nicht aufgeben, sie musste doch irgendwie den Ausgang finden. Doch als sie ein weiterer Schwindelanfall überkam, war es zu spät. Ihr wurde komplett schwarz vor Augen, ihre Beine hielten ihrem Körper nicht mehr stand und sie brach hilflos zusammen. Michael und die Feuerwehrleute, die den Verletzten schon so gut wie geborgen hatten, bekamen von alldem nichts mit. Sie gingen davon aus, dass Biggi sich bereits im Freien in Sicherheit befand. Wie sehr sie sich doch irrten.

Als sie auch den letzten Eingeklemmten endlich befreit hatten, stützten Michael und ein Feuerwehrmann den Mann und brachten ihn so ins Freie. Die Dachbalken knarrten schon bedenklich und konnten jeden Moment herunterkommen und sie waren froh, endlich im Freien zu sein. Ralf und Peter erwarteten sie dort bereits. "Na endlich.", atmete Peter erleichtert auf, er hatte sich bereits Sorgen um seine Kollegen gemacht. "Aber wo ist Biggi?", harkte Ralf dann nach. Michael sah ihn entsetzt an. "Aber ist sie denn nicht hier?" Ralf schüttelte den Kopf. "Nein, sie war doch mit dir drinnen..." "Oh Gott...", entfuhr es Michael, "Ich habe sie vor mehr als fünf Minuten nach draußen geschickt." Ralf, Peter und Michael sahen sich an und stürmten dann wieder in die Halle, obgleich die Feuerwehrmänner versuchten, sie aufzuhalten. Im selben Moment landete Thomas den Helicopter wieder auf der Wiese neben der brennenden Fabrikhalle. Er hatte noch beobachten können, wie Ralf, Peter und Michael wieder in die Halle gerannt waren. Nur Biggi hatte er noch nirgends entdecken können. Er hatte ein mehr als ungutes Gefühl. Als er zusammen mit Gabriele aus dem Helicopter stieg und die beiden auf die Halle zugingen, erkannten sie, dass auch die letzte der eingeklemmten Personen hatte geborgen werden können. Ein Feuerwehrmann kümmerte sich um ihn. Aber warum waren die anderen dann noch einmal zurück in die Halle? Thomas und Gabi ahnten schlimmes. Mit einem Anflug von Panik griff Thomas nach seinem Walkie und funkte Michael an. "Michael, wo seid ihr? Warum seid ihr noch einmal zurück in die Halle?", fragte er besorgt. Am anderen Ende vernahm er zunächst nur ein Husten, dann meldete Michael sich: "Biggi ist verschwunden." "WAS??? Was soll das heißen?", Thomas geriet total in Panik. "Ich habe sie nach draußen geschickt, aber dort ist sie nicht angekommen.", erklärte Michael, der sich ebenso um seine vermisste Kollegin sorgte.

Thomas zögerte nicht eine Sekunde und stürmte in die Halle. Gabriele, die alles mitbekommen hatte, folgte ihm. Auch sie ließen sich nicht von den Feuerwehrmännern aufhalten, die sie davor warnten, dass das ganze Gebäude jeden Augenblick zusammenstürzen konnte. "BIGGIIII!!!", schrie Thomas verzweifelt in den beißenden Rauch hinein, doch es kam keine Antwort. Je weiter er ins Innere der Halle vordrang, desto dichter wurde der Qualm. Er brannte in den Augen und man konnte kaum noch etwas erkennen. Michael, Ralf, Gabi und Peter ging es nicht anders, sie mussten sich bemühen, nicht ganz die Orientierung zu verlieren. Wo war Biggi nur? Sie hatten bereits fast die ganze Halle abgesucht.

"Biggi, bitte tu mir das nicht an.", flehte Thomas, er war vollkommen verzweifelt. Was war, wenn Biggi schon gar nicht mehr am Leben war? Er war total verzweifelt. Was war, wenn er ihr nie mehr sagen könnte, wie sehr er sie doch liebte? Ihm stiegen Tränen in die Augen und nun konnte er noch weniger erkennen. Doch plötzlich, als er schon fast nicht mehr daran geglaubt hatte, sie zu finden, sah er plötzlich etwas rotes auf dem Boden, einige Meter vor ihm. Es war ein Teil von dem Ärmel von Biggis Jacke. Sofort war er bei ihr. "Bitte, sei am Leben, Biggi.", flehte er. Er zog sie behutsam an sich und fühlte dann ihren Puls an der Halsschlagader. Ihm fielen tausend Steine vom Herzen, als er spürte, dass er noch vorhanden war. "Ich habe sie gefunden.", rief er dann erleichtert ins Walkie. Doch er war unendlich besorgt. Vorsichtig nahm er die bewusstlose Biggi auf den Arm und drückte sie ganz fest an sich. Sie mussten schnellstens hier raus, das wusste er, jeden Moment konnte die ganze Halle zusammenstürzen und zudem hatte Biggi ohnehin schon viel zu viel von dem beißenden Rauch eingeatmet. Panisch blickte er um sich. In welche Richtung musste er nur gehen? Der stickende Qualm und all die Flammen machten es ihm beinahe unmöglich, den richtigen Weg zurückzufinden. "Thomas, wo bist du?", hörte er dann plötzlich Michaels Stimme. "Hier!", rief er zurück und wartete, bis Michael sich ihm näherte. Der hatte eine kleine Taschenlampe im Overall und fand so schnell zu Thomas. Als er bei ihm ankam, war er ebenso erleichtert wie Thomas, dass sie Biggi endlich gefunden hatten, und meinte: "Jetzt aber nichts wie raus hier! Sie braucht dringend Sauerstoff, und das Gebäude wird uns auch nicht mehr länger halten." Er ging mit der Taschenlampe voran und zog Thomas, der Biggi behutsam auf den Armen trug, mit sich. Die anderen waren auf seine Anweisung bereits wieder nach draußen gegangen und warteten dort ungeduldig auf ihre Kollegen. Allen fiel ein ganzes Gebirge vom Herzen, als sie sie endlich in den Rauchschwaden ausmachen konnten. Als Thomas und Michael durch den Eingang rannten, hörten sie hinter sich bereits ein bedrohliches, lautes Krachen und den panischen Ruf eines Feuerwehrmannes: "Alles weg, schnell!!!" Kurz darauf gab es einen ohrenbetäubenden Lärm und die ganze Halle stürzte in sich ein. Das Team und die Feuerwehr retteten sich hinter einen Mauervorsprung, wo Thomas die reglose Biggi schließlich auch vorsichtig auf den Boden legte. Ihren Kopf nahm er auf seinen Schoß und streichelte ihr zitternd übers Haar. "Sauerstoff, schnell!", rief Michael Ralf zu, der bereits die Ausrüstung holte. Alle waren unheimlich besorgt um Biggi und konnten sich einfach nicht erklären, wie so etwas passieren hatte können. Biggi war doch immer so gesund und widerstandsfähig gewesen. Es hatte schon oft Einsätze bei Brandunfällen gegeben, doch da war sie immer die letzte gewesen, der der Rauch etwas ausgemacht hatte. Und nun? Michael fühlte besorgt ihren Puls, während Gabi eine Infusion vorbereitete. "Der Puls ist viel zu schwach. Ich kann mir das einfach nicht erklären.", meinte er nachdenklich. "Athropin?", fragte Gabi ihn. "Ja, am besten gleich 10ml. Ok, Ralf?" Ralf suchte sogleich nach der Ampulle. "Michael, was ist mit ihr?", fragte Thomas ungeduldig. Er hielt diese Ungewissheit nicht mehr aus. "Ehrlich gesagt, Thomas, ich weiß es nicht. Sie hat bestimmt eine schwere Rauchvergiftung, aber die Symptome weisen nicht nur darauf hin. In der Klinik werden wir dann genaueres erfahren. Auf jeden Fall können wir froh sein, dass du sie rechtzeitig gefunden hast. Ihr Gehirn wurde wirklich in letzter Minute wieder mit Sauerstoff versorgt." Sie stellten den Sauerstoff auf die höchste Stufe, schlossen Biggi an das EKG an und versorgten sie schließlich noch mit zwei Infusionen. Dann holte Peter die Trage aus dem Heli. "So, ich denke, wir können dann.", meinte Michael mit einem letzten vergewissernden Blick auf das EKG, dass Biggi nun auch wirklich stabil war. Ganz vorsichtig hoben sie Biggi auf die Trage. Thomas hielt die ganze Zeit über ihre Hand. Dann jedoch musste er sich von ihr losreißen, schließlich war er der Pilot. So drückte er Biggis Hand nochmal ganz fest, bevor er sie losließ und so schnell er konnte zum Heli rannte.

Noch bevor sie die vorgeschriebene Drehzahl erreicht hatten, fuhr er die Turbinen hoch und sofort, als die anderen die Trage mit Biggi in den Heli geschoben hatten und dann selbst eingestiegen waren, hob er mit einem Mordskaracho ab. Der Flug zur nächsten Klinik dauerte nur 5 Minuten, doch er kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Immer wieder blickte er besorgt nach hinten zu Biggi, die noch immer bewusstlos war. "Landung in 30 Sekunden.", sprach er erleichtert in sein Helmmikro, als er endlich die Klinik unter sich erblickte. Am Heliport wartete bereits ein Ärzteteam, das über die Ankunft des Medicopters informiert worden war. Sie schoben die Trage mit Biggi eilig aus dem Heli und verschwanden mit ihr in der Notaufnahme. Michael und Gabi folgten ihnen und gingen mit in den Behandlungsraum. Thomas, Peter und Ralf folgten ihnen langsam. Sie mussten allerdings draußen auf dem Gang warten. Thomas wäre jetzt so gern bei ihr geblieben, doch er wusste, dass das nun einmal nicht ging. Völlig aufgelöst und mit den Nerven am Ende ließ er sich an der Wand herunterrutschen, bis er auf dem Boden saß. Er stützte den Kopf in die Hände, Ralf und Peter sollten nicht sehen, dass er Tränen in den Augen hatte. Dass er total fertig war, bemerkten sie natürlich trotzdem. Peter kniete sich zu ihm und legte ihm seine Hand auf die Schulter. "Hey, Thomas, Biggi wird schon wieder. Sie lässt sich doch nicht so leicht unterkriegen." Thomas hätte ihm nur zu gern geglaubt, doch er selbst hatte ja schon vor dem Einsatz bemerkt, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Zudem hatte selbst Michael nicht genau feststellen können, was ihr fehlte. Was, wenn es etwas schlimmes war? Er mochte gar nicht daran denken. Wie blass sie doch ausgesehen hatte, er war unendlich besorgt.

Diese Ungewissheit war schrecklich. Auch Ralf und Peter sorgten sich um Biggi. Sie konnten es sich alle nicht erklären. Gerade Biggi, so etwas war ihr früher noch nie passiert. Sie hofften alle, dass Gabi und Michael bald aus dem Behandlungsraum kommen würden und ihnen gute Nachrichten überbrachten. Doch sie kamen nicht und auch in der nächsten halben Stunde tat sich nichts. Thomas gingen tausend Sachen durch den Kopf. Ihm wurde bewusst, wie unwichtig seine ganzen Probleme im Moment waren und dass nur eins zählte, dass Biggi wieder ganz gesund wurde.

Währenddessen hatte man Biggi im Behandlungsraum fürs erste versorgt und sie sollte nun auf die Station verlegt werden. Während Gabi noch bei ihr blieb, um auch die letzten Untersuchungsergebnisse abzuwarten, verließ Michael den Raum und trat auf den Flur hinaus, um seine Kollegen zu informieren. Diese sahen ihn sofort hoffnungsvoll und ängstlich zugleich an und trauten sich kaum zu fragen, was mit Biggi los war. Michael nahm ihnen das jedoch ab und informierte sie sogleich über den Zustand ihrer Kollegin: "Biggi hat wie schon vermutet eine Rauchvergiftung. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut, aber sie wird ein paar Tage hier bleiben müssen. Sie werden sie jetzt auf die Station verlegen, morgen können wir dann zu ihr, denn sie schläft jetzt auf Grund der Medikamente. Morgen wird es ihr dann sicher schon besser gehen, also macht euch keine allzu großen Sorgen." Alle atmeten erleichtert auf. Thomas machte sich aber trotzdem noch große Sorgen. Seine Biggi lag mit einer Rauchvergiftung im Krankenhaus und er sollte sich keine allzu großen Sorgen machen, das war unmöglich. Er wollte am liebsten sofort zu ihr, doch Michael fragen wollte er auch nicht. Er hatte schließlich keinen besonderen Grund, jedenfalls keinen, den er ihm sagen konnte, weshalb er zu ihr wollte.

Zur selben Zeit wurden im Behandlungsraum noch die letzten Untersuchungsergebnisse ausgewertet, da vorher noch immer unklar war, warum Biggi ohnmächtig geworden war und warum ihr Kreislauf so schwach gewesen war. Gabi strich Biggi, die noch immer bewusstlos auf der Behandlungsliege lag, sanft übers Haar. Sie machte sich große Sorgen um ihre Freundin und hoffte, dass es nichts ernstes war. "Und?", fragte sie Biggis behandelnden Arzt sofort, als er mit den Untersuchungsergebnissen in der Hand auf sie zu kam. "Nun...", begann er, "Es gibt eine ganz einfache Erklärung, warum ihre Kollegin in der Fabrikhalle ohnmächtig geworden ist und auch für die veränderten Kreislaufwerte." Gabi sah ihn erwartungsvoll an und wusste nicht, ob sie gutes oder schlechtes erwarten sollte. "Ihre Kollegin ist schwanger." Gabi sah ihn sprachlos an, mit allem hatte sie gerechnet, aber damit nicht. Biggi war schwanger? Im ersten Moment war Gabi total erleichtert, dass es nichts ernstes war, doch dann kam ihr ein Verdacht. "Im wievielten Monat ist sie denn?", fragte sie nach. "Ende des zweiten Monats.", informierte der andere Arzt sie. Gabi nickte nur stumm. Ihr Verdacht war damit bestätigt. Wenn Biggi ihr nicht etwas verschwiegen hatte, dann konnte nur Thomas der Vater sein, Biggis Geburtstag war vor ziemlich genau zwei Monaten gewesen. Sie musste erst einmal schlucken, arme Biggi. Auch das noch. Wie sollte sie ihrer Freundin das nur sagen? Biggi war ohnehin schon mehr als fertig wegen der ganzen Sache mit Thomas und nun war sie wahrscheinlich auch noch von ihm schwanger.

Gabi verabschiedete sich von ihrem Kollegen, der gerade zwei Schwestern anwies, Biggi auf ihr Zimmer zu bringen. Dann trat sie hinaus auf den Flur, wo die anderen bereits auf sie warteten. "Alles in Ordnung", meinte sie nur, sah ihnen dabei jedoch nicht in die Augen. Sie wollte die anderen nicht anlügen, doch ihnen von Biggis Schwangerschaft erzählen, das konnte sie schon gar nicht. Schließlich wusste es Biggi noch nicht einmal selbst. Wie sie wohl damit umgehen würde? Gabi hatte richtig Angst davor, es ihr zu sagen. Aber sie musste es. Biggi tat ihr unheimlich Leid. Nun war sie nach dieser Nacht vor zwei Monaten ohnehin schon nicht wiederzuerkennen und jetzt war sie auch noch schwanger von einem Mann, der ihre Liebe nicht erwiderte. Schlimmer konnte es kaum mehr kommen.

"Sie wird jetzt auf die Station gebracht. Aber wir dürfen erst morgen zu ihr." Die anderen nickten nur. Michael hatte ihnen die Lage ja bereits erklärt. Aber Thomas wollte sich nicht damit zufrieden geben. Unmöglich. Er konnte jetzt nicht so einfach gehen, ohne Biggi noch ein einziges Mal zu sehen. Aber was blieb ihm anderes übrig? Wäre er jetzt mit ihr zusammen, hätten sie ihn vielleicht zu ihr gelassen. Aber was hatte er so für einen besonderen Grund? Schließlich brauchte sie ja Ruhe und musste schlafen, und da konnten ihr ihre Freunde auch nicht helfen. Aber er liebte sie doch! Ob er nun mit ihr zusammen war, oder nicht. Für ihn war es eine Qual, zu wissen, dass es ihr nicht gut ging und er nichts tun konnte. Es war auch eine Qual, sie nicht in seiner Nähe haben zu können, so wie es schon seit zwei Monaten fast immer gewesen war. Und es war eine Qual, zu wissen, dass sie nichts von seiner Liebe wusste. Und vielleicht würde sie es ja nie erfahren? Nein, das durfte er nicht zulassen! Niemals. Es war schon einmal ganz nahe dran gewesen, dass Biggi es in ihrem ganzen Leben nicht erfahren hätte, noch einmal durfte er es nicht soweit kommen lassen. Am liebsten wäre er sofort zu ihr gegangen, um es ihr zu sagen, doch er konnte ja nicht. Vor Wut darüber ballte er seine Hände zu Fäusten. Er hielt es einfach nicht mehr aus. Er wollte nur mehr zu Biggi.

"Na dann lasst uns mal aufbrechen, Leute. Heute können wir hier leider nichts mehr tun.", meinte Michael zu den anderen. Alle waren in einer bedrückten Stimmung. Es passierte äußerst selten, dass einer von ihnen bei einem Einsatz einmal zu Schaden kam, doch wenn es passierte, war es ein Schlag für jeden und umso schlimmer, da sie ja alle miteinander so eng befreundet waren. Peter, Ralf und Gabi nickten nur und so machten sie sich langsam auf den Weg in Richtung Lift, sie mussten schließlich nach ganz oben zum Heliport. Nur Thomas blieb noch auf der Stelle stehen. "Thomas, kommst du?", fragte Peter ihn. Nun blieb ihm doch nichts anderes übrig. Irgendwie mussten die anderen schließlich nachhause kommen. Und so riss er sich zusammen und folgte den anderen zum Lift. Der Flug zur Basis verlief schweigend. Niemand hatte Lust, irgendetwas zu sagen, zudem waren sie unheimlich erschöpft nach diesem Tag. Als sie an der Basis ankamen, beeilten sie sich alle, nachhause zu kommen. Michael und Thomas waren die letzten, die sich an der Basis befanden, und machten hinter den anderen das Licht aus. Es war inzwischen schon richtig dunkel geworden. Nachdem sie abgesperrt hatten, setzten sie sich schweigend in Michaels Jeep und fuhren nachhause. Dort angekommen, meinte Michael: "Ich verziehe mich gleich ins Bett. Der Tag war ein wenig viel. Und morgen schon wieder Frühschicht, klasse. Hoffentlich können wir nachher dann wenigstens Biggi besuchen." Thomas nickte. "Geh du ruhig, ich bleibe noch ein wenig unten." Sie wünschten sich eine gute Nacht und Michael verschwand nach oben in sein Schlafzimmer. Doch Thomas dachte an alles andere als ans Schlafen. Sobald er Michaels Türe zugehen hörte, zog er sich wieder seine Jacke über, eilte nach draußen, setzte sich in seinen Wagen und fuhr los. Richtung Krankenhaus. Von nirgendwo anders wurde er in diesem Moment so sehr angezogen wie von diesem Gebäude, in dem sich seine Biggi befand. Ungeduldig suchte er dort nach einem Parkplatz, eilte dann zum Lift und fuhr in das Stockwerk, wo sich die Station befand, auf der Biggi lag. Nun galt es nur noch, herauszufinden, wo genau sie sich befand und wie er zu ihr konnte. Es durfte auf jeden Fall niemand davon erfahren. Sollte er sich einen Arztkittel klauen und ihn überziehen? Nein, das war zu riskant. Doch eigentlich, wenn er es sich so überlegte, war es ihm für Biggi allemal wert. Doch seine Überlegungen erübrigten sich. Es stand bereits eine Krankenschwester vor ihm, die ihn fragte: "Kann ich Ihnen helfen? Wollen Sie zu einem Patienten?" "Ja... ich... ich würde gerne zu Frau Schwerin. Sie ist Pilotin und hatte heute bei einem Einsatz einen Unfall. Ich bin ihr Kollege." "Verstehe. Sie wissen aber schon, dass Sie sich weit außerhalb der Besuchszeiten befinden? Die meisten Patienten schlafen schon, und ich gehe davon aus, dass ihre Kollegin das ebenso tut." "Ja, bestimmt. Aber trotzdem. Ich will sie ja nicht stören. Ich will sie nur kurz sehen. Bitte." Thomas' Augen nahmen einen flehenden Blick an. Der Stationsschwester war es, als sehe sie in die Augen eines kleinen Kindes, das darum bettelte, ihm bei der Suche seines Teddybären zu helfen, der verloren gegangen war. Sie hätte aus Eis bestehen müssen, würde sie bei diesen traurigen, flehenden Augen nicht weich werden. "Na gut. Ich bringe Sie zu ihr. Aber wirklich nur ganz, ganz kurz." "Oh danke. Das werde ich Ihnen bestimmt nicht vergessen.", meinte Thomas freudig und dankbar zugleich. Die Schwester nahm ihn mit zur Anmeldung und machte einen Blick in den Computer, der ihr sagte, dass Biggi Schwerin im Zimmer 512 lag. Dann ging sie gemeinsam mit Thomas ein Stück den Flur hinunter und öffnete schließlich leise die Tür zu Biggis Zimmer. Es war schwach beleuchtet, und Thomas konnte im Raum zwei Betten erkennen. Eines war leer. Doch im zweiten lag Biggi. Seine Biggi. Sie hatte eine Sauerstoffmaske umgelegt und war an ein EKG angeschlossen, außerdem wurde sie von zwei Infusionen versorgt. Als er ein paar Schritte näher an sie herantrat, erkannte er, wie friedlich sie in ihrem Bett lag und schlief. Ihm wurde sofort warm ums Herz. Die Schwester blickte in sein Gesicht, das sich von einer Sekunde auf die andere geändert hatte, als wäre ein anderer Mensch hineingeschlüpft. Sie beschloss darauf, nichts mehr zu sagen und ihn mit der Patientin allein zu lassen. Das Kind hatte seinen Teddybär gefunden.

Nachdem die Schwester das Zimmer verlassen hatte, trat Thomas langsam noch näher an Biggis Bett heran. Er nahm sich den Besucherstuhl und setzte sich zu ihr, dann fasste er vorsichtig nach ihrer Hand. "Hey Süße, was machst du denn nur für Sachen? Ich habe mir ganz schöne Sorgen gemacht.", flüsterte er leise und strich ihr dabei sanft über die Wange. Er klang unheimlich besorgt, zwang sich jedoch zu einem kleinen Lächeln, obgleich er wusste, dass sie es nicht sehen konnte. Wie friedlich sie doch aussah, dachte er sich. Ewig hätte er hier an ihrem Bett sitzen und einfach nur ihre Hand halten können. Doch er wusste, dass sich dieser Zustand wieder ändern würde, würde sie aufwachen. Dann würden sie wieder nicht wissen, wie sie sich verhalten sollten. Doch nun, wo sie schlief, schien alles so einfach. Thomas beugte sich zu Biggi vor und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. "Ich liebe dich." flüsterte er leise. Er wusste, dass sie ihn nicht hören konnte, doch alleine, dass er jetzt gerade hier bei ihr sitzen durfte, machte ihn unheimlich glücklich. Wie sehr hatte er ihre Nähe in den letzten zwei Monaten vermisst. Er liebte sie doch so sehr, warum musste nur alles so unheimlich kompliziert sein.

Nachdem Thomas mindestens zwei Stunden an Biggis Bett gesessen, leise mit ihr geredet und die ganze Zeit ihre Hand gehalten hatte, stand er schließlich langsam auf. Es war bereits weit nach Mitternacht und er spürte die Müdigkeit nach diesem anstrengenden Tag. Wie gern wäre er noch länger bei Biggi geblieben, am liebsten die ganze Zeit, doch er wusste, dass das nicht möglich war. So drückte er noch einmal ein wenig fester ihre Hand und flüsterte: "Ich komme morgen wieder, dann geht es dir sicherlich schon besser. Schlaf dich gesund, mein Engel." Er war schon fast dabei zu gehen, als er sich doch umentschied und sich noch einmal ganz nah zu ihr beugte. " Und Biggi... egal was passiert, ich werde dich immer... immer lieben.", flüsterte er leise in ihr Ohr und küsste sie dann noch einmal zärtlich auf die Stirn. Dann verließ er jedoch endgültig das Krankenzimmer und fuhr nachhause. Biggi würde erst viele Stunden später erwachen und von alldem nichts mitbekommen haben.

Gabriele fuhr am nächsten Morgen schon früh in die Klinik zu Biggi. Sie wollte dabei sein, wenn ihre Freundin aufwachte, und irgendwer musste Biggi schließlich auch die Sache mit der Schwangerschaft erzählen. Lieber tat sie es als irgendein Biggi unbekannter Arzt, obgleich es ihr unheimlich schwer fallen würde. Sie musste es Biggi einfach selbst sagen.

Als sie das Zimmer ihrer Freundin betrat, war sie zunächst einmal erleichtert. Biggi sah bei weitem nicht mehr so blass aus wie am Vortag und auch die Sauerstoffmaske brauchte sie nicht mehr. Sie schien sich schon ein wenig erholt zu haben über Nacht. Gerade als Gabi sich setzten wollte, betrat Biggis behandelnder Arzt das Zimmer. "Oh, guten Morgen Frau Kollegin, um diese Uhrzeit schon hier?", fragte er erstaunt. "Ja, ich wollte da sein, wenn sie aufwacht.", erklärte Gabi ihm ihren frühen Besuch. Er nickte verständnisvoll. "Ich kann Sie beruhigen, Ihrer Kollegin geht es schon besser, wir werden sie nur noch zwei bis drei Tage zur Beobachtung hier behalten. Ich denke, innerhalb der nächsten halben Stunde wird sie aufwachen." Gabi nickte dankbar und sah dann wieder zu Biggi, die immer noch friedlich in ihrem Bett lag und schlief. Biggis behandelnder Arzt notierte noch ihre Kreislaufwerte und verließ dann das Zimmer wieder. Nun war Gabi mit Biggi wieder allein. Die ganze Zeit fragte sie sich schon, wie ihre Freundin auf die Schwangerschaft reagieren würde. Sie tat Gabi so Leid, doch sie konnte nichts anderes tun, als ihr Mut zu machen und sie zu trösten. Noch immer war sie der Meinung, dass Thomas ebenso mehr für Biggi empfand, auch am Vortag war ihr nicht entgangen, was für Ängste er um Biggi ausgestanden hatte. Doch Biggi davon zu überzeugen, das hatte sie aufgegeben, zu oft hatte sie es in den letzten zwei Monaten versucht und war jedes Mal daran gescheitert.

Nach zwanzig Minuten schlug Biggi langsam die Augen auf. Sie blinzelte leicht und das erste, das sie sah, war eine weiße Zimmerdecke und ein grelles Deckenlicht, das sie blendete. Sie blickte weiter nach unten, entlang an einer weißen Wand, auf eine weiße Bettdecke und schließlich auf ihre Hand, in der eine Infusionsnadel steckte und die in Gabis Hand lag. Sie musste sich im Krankenhaus befinden, aber was war passiert? Alles, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie in dieser brennenden Fabrikhalle gewesen war und Michael sie nach draußen geschickt hatte. Langsam blickte Biggi auf, direkt in Gabis Augen, die sie ansahen. "Schön, dass du wieder wach bist.", hörte sie Gabi sagen. Die Ärztin strich ihrer Freundin beruhigend übers Haar und lächelte ein wenig. "Gabi, was ist passiert?", fragte Biggi leise. "Du bist in der brennenden Halle ohnmächtig geworden und hast eine Rauchvergiftung. Aber das wird schon wieder, mach dir keine Gedanken.", beruhigte Gabriele sie. Biggi nickte nur leicht. Sie erinnerte sich nur noch dran, dass ihre Beine plötzlich nachgegeben hatten und ihr dann schwarz vor Augen geworden war. "Wie bin ich aus der Halle herausgekommen?", wollte sie dann wissen. "Thomas hat dich gefunden, er hat dir das Leben gerettet.", erzählte Gabi ihr. Als sie den Namen Thomas aussprach, zuckte Biggi ein wenig zusammen. Sofort musste sie wieder an ihre scheinbar unerwiderte Liebe zu ihm denken, doch irgendwie war sie froh, dass gerade er sie gerettet hatte. Sie vermisste seine Nähe so unheimlich, an manchen Tagen hielt sie es kaum noch aus, doch sie musste sich damit abfinden, dass er nun einmal nicht die gleichen Gefühle für sie verspürte, wie sie für ihn, davon war sie fest überzeugt.

"Biggi, da ist noch etwas...", meinte Gabi dann zögerlich und wagte es kaum, der Pilotin in die Augen zu sehen. Biggi sah ihre Freundin fragend an. "Du bist nicht durch den Rauch ohnmächtig geworden...", Gabi rang mit sich, sollte sie Biggi wirklich von der Schwangerschaft erzählen? Sie wusste, wenn nicht, würde sie es von jemand anderem erfahren. "Weshalb denn dann?", fragte Biggi überrascht und zugleich besorgt, es würde doch wohl nichts schlimmes sein? Sie erinnerte sich sofort wieder an dieses flaue Gefühl im Bauch und an die Schwindelanfälle, die sie den ganzen Tag über schon gehabt hatte. Gabi sah auf den Boden. "Biggi, du bist schwanger.", sagte sie dann leise und wagte es nicht, dabei aufzusehen. Biggi war zunächst einmal sprachlos, so geschockt war sie. Schwanger? Aber das konnte doch nicht sein...  ihr war sofort klar, dass es nur eine Möglichkeit gab. Die Nacht mit Thomas war nicht ohne Folgen geblieben. Sie konnte es nicht glauben. Als wäre nicht alles schon genug, was passiert war. Eine einzige Nacht, die sie mit Thomas verbracht hatte. Eine einzige Nacht in ihrem Leben, in der sie Thomas genau das gezeigt hatte, was sie für ihn empfand. Und in dieser einzigen Nacht musste es geschehen, dass sie von ihm schwanger wurde. Es war unfassbar. Was sollte sie jetzt nur tun? Er liebte sie ja nicht! Sie würde enden wie viele andere Frauen auch, die einen unüberlegten One-Night-Stand hatten und dann sehen mussten, wie sie allein mit einem Kind fertig werden sollten. Diese Mütter waren alle nicht sehr glücklich. Und auch Biggi war sich sicher, dass sie es nie mehr werden könnte. Sie und Thomas würden nie zusammensein, sie würden nie eine gemeinsame Familie gründen. Niemals. Ganz langsam, aber immer schneller, lief ihr eine Träne nach der anderen über die Wange. Gabi drückte ihre Hand und meinte leise: "Komm her." Daraufhin umarmte sie ihre Freundin erstmal ganz fest. Das tat Biggi unheimlich gut, obgleich sich dadurch kein einziges ihrer Probleme löste. Und schon gar nicht das Kind, das in ihrem Bauch heranwuchs. "Aber Thomas... er weiß es nicht, oder?" "Nein. Ich habe es niemandem gesagt. Nur dein Arzt und ich wissen es." Biggi nickte nur. Dann fragte sie Gabi verzweifelt: "Gabi, was soll ich jetzt tun?" "Du ... du musst mit ihm reden. Darum kommst du nicht herum. Ich habe dir schon immer gesagt, dass eine Aussprache das einzig richtige für euch ist." "Warum nur, Gabi, warum? Warum ausgerechnet in dieser einen Nacht?" "Naja. Es ist wirklich ungewöhnlich, aber es heißt ja, dass die Gefühle, die dabei sind, eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, ob ein Kind entsteht. Und wo Liebe ist..." "Gabi, es ist keine Liebe... das weißt du ja. Ich liebe ihn, aber er empfindet sonstwas für mich." "Das ist nicht wahr, Biggi. Und wenn du dich nicht immer so auf stur stellen würdest, würdest du das auch bemerken. Du hättest ihn gestern sehen sollen, wie er dreingeblickt hat, er konnte einem ja nur noch Leid tun. Er hatte große Angst um dich. Und während wir dich gestern versorgt haben, hatte er nichts besseres zu tun als die ganze Zeit über deine Hand zu halten und sich zwischendurch mit der anderen die Tränen abzuwischen." Biggi hörte sich das alles nur schweigend an. War es tatsächlich so oder hatte Gabi nur übertrieben, um sie zu trösten? Nein, das traute sie ihrer Freundin nicht zu. Aber was sollte das bedeuten? Auf der einen Seite wollte er alles, nur keine Beziehung mit ihr, ging ihr aus dem Weg, als wäre sie die Pest höchstpersönlich, und auf der anderen Seite das? Nun gut, sie musste sich selbst eingestehen, dass sie ihm genauso sehr aus dem Weg ging, wenn nicht sogar ein wenig mehr. Aber das war schließlich das, was er wollte. Oder etwa nicht? Biggi war komplett verwirrt. Sie musste jetzt mit Thomas reden. Sofort. Sie wollte keine Minute länger warten.

"Wie lange muss ich denn noch hier im Krankenhaus bleiben?", fragte sie Gabi und wischte sich tapfer die Tränen aus dem Gesicht. Sie musste so schnell wie möglich zu Thomas. "Na ein paar Tage zur Beobachtung wirst du schon noch hier bleiben müssen.", antwortete Gabi ihr. "Es ist bestimmt gut, wenn du dich mal ein bisschen ausruhen kannst." Doch Biggi wollte sich jetzt nicht ausruhen, sie wollte mit Thomas reden. Sie war sich ziemlich sicher, dass er nicht von alleine zu ihr kommen würde, so musste sie eben zu ihm kommen. Natürlich konnte sie nichts von seinem nächtlichen Krankenbesuch bei ihr ahnen. Ebenso wenig ahnte sie, dass Thomas die ganze Frühschicht über alleine auf der Wiese vor dem Hangar saß und an sie dachte. Er freute sich auf den Nachmittag, dann wollten sie alle gemeinsam Biggi besuchen. Zwar wusste er nicht, wie sie sich dann einander gegenüber Verhalten würden, er befürchtete genauso wie immer in den letzten beiden Monaten, doch alleine der Gedanke daran, dass er sie sehen konnte und es ihr hoffentlich dann schon besser ging, heiterte ihn auf. Er war so unendlich froh darüber, dass er Biggi noch rechtzeitig aus der Halle hatte retten können, er hätte es nicht ertragen, wenn ihr noch mehr zugestoßen wäre. Auch wenn er sich, da war er sich sicher, damit abfinden musste, dass sie keine Beziehung wollte, liebte er sie noch immer über alles und er hätte alles dafür gegeben, mit ihr zusammen zu sein. Wenn es doch immer so einfach sein würde wie in der vergangenen Nacht.

Biggi überlegte, während Gabi noch immer an ihrem Bett saß und versuchte sie zu trösten, wie sie ihre Freundin jetzt loswerden könnte. Nach einigen Minuten kam ihr eine Idee. Sie erzählte Gabriele, dass sie noch ziemlich müde und erschöpft wäre und gern noch ein wenig schlafen würde. Gabi nickte verständnisvoll. "Das wird dir sicherlich gut tun.", meinte sie und strich Biggi leicht über die Wange. "Ich werde heute Nachmittag noch einmal wiederkommen, dann kommen die anderen auch mit." Biggi nickte zufrieden und schloss dann die Augen. Als Gabi glaubte, ihre Freundin sei eingeschlafen, stand sie langsam auf und verließ das Zimmer. Lange hätte sie sowieso nicht mehr bleiben können, da ihre Schicht bald begann.

Wenige Sekunden nachdem Gabriele die Tür des Krankenzimmers hinter sich geschlossen hatte, war Biggi wieder hellwach. Sie setzte sich auf und zog sich dann ganz langsam die Infusionsnadel aus der Hand. Dann stand sie vorsichtig auf. Sie war zuerst noch ein bisschen wackelig auf den Beinen, aber nach einigen Schritten ging es wieder. Als sie gerade das Zimmer verlassen wollte, musste sie jedoch feststellen, dass sie im Nachthemd ja schlecht nach draußen gehen konnte. Zwar war es Sommer, aber so würde man sie am Eingang bestimmt nicht vorbeilassen. Doch andere Sachen hatte sie nicht hier, nur ihren Overall und der war total dreckig von dem ganzen Ruß und Qualm, den konnte sie unmöglich anziehen. Also blieb ihr doch nichts anderes übrig, als im Nachthemd loszugehen. Glücklicherweise fand sie im Kleiderschrank einen Morgenmantel aus dem Krankenhaus, den sie sich überziehen konnte. Aus der Tasche ihres Overalls, der ebenfalls im Schrank hing, nahm sie sich noch ein wenig Geld für ein Taxi. Dann verließ sie endgültig das Zimmer. Sie ging den langen Flur entlang zum Aufzug und fuhr dann ins Erdgeschoss. Glücklicherweise entdeckte sie noch einen Nebeneingang, der in den Park führte, sodass sie nicht den Haupteingang benutzen musste und somit die Klinik unbemerkt verlassen konnte. Gleich vor dem Klinikum befanden sich einige Telefonzellen, von wo aus sie sich dann ein Taxi rief.

Gabriele hatte zur selben Zeit gerade die Basis erreicht. Es dauerte noch eine halbe Stunde bis zum Schichtwechsel, doch es hatte sich nicht mehr gelohnt, nach dem Besuch bei Biggi noch nachhause zu fahren. Schon als sie ihr Auto auf dem Parkplatz abstellte, erkannte sie Thomas, der im hohen Gras in der Nähe vom Fluss saß. Sie zögerte einen Moment, doch dann ging sie zu ihm. Hinter ihm blieb sie stehen und räusperte sich ein wenig. "Hallo Thomas." Er erschrak, war er doch so in Gedanken versunken gewesen, dass er absolut nicht bemerkt hatte, wie sie sich ihm von hinten genähert hatte. "Hi.", gab er nur leise zurück. "Ich war eben bei Biggi...", begann Gabi. Thomas sah sie an. "Wie geht es ihr denn?", fragte er besorgt. "Schon besser.", meinte Gabi. Sie war kurz davor, Thomas alles zu erzählen, wenn Biggi schon nicht mit ihm reden wollte, dann musste ihm eben jemand anderes von ihren Gefühlen erzählen, dachte sie sich. Sie war wirklich überzeugt davon, dass Thomas auch mehr für Biggi empfand als Freundschaft. Falls nicht, müsste sie sich schon sehr in ihm getäuscht haben. Trotzdem rang Gabi mit sich. Es wäre mehr als unfair Biggi gegenüber, wenn sie Thomas nun ihre geheimsten Gefühle verraten würde. Das konnte sie nicht tun. Wenn Biggi doch nur nicht so stur wäre. Sie seufzte leise, beschloss sich dann aber doch, auf die Hoffnung, dass Biggi jetzt, wo sie von der Schwangerschaft wusste, doch noch mit Thomas reden würde, zu verlassen. "Mach dir keine Sorgen.", meinte Gabi aufbauend und legte Thomas die Hand auf die Schulter. Er nickte nur schwach und sah dann wieder auf den Boden. Er liebte Biggi doch so sehr, warum konnte er nicht einfach jetzt zu ihr hingehen und es ihr sagen? Jetzt war sie bestimmt wieder wach. Er würde es niemals schaffen, ihr in die Augen zu sehen. Nach alldem, was passiert war. Außerdem würde sie bestimmt auch keinen Wert darauf legen, dass er ihr seine Gefühle preisgab. Ob sie sich überhaupt freuen würde, wenn er ihr heute begegnen würde? Vielleicht wollte sie ihn ja gar nicht beim Besuch dabeihaben. Diese Gedanken trieben ihm die Tränen in die Augen. Er konnte es nicht ertragen, für Biggi nichts als eine einmalige Affäre zu sein, die man so schnell wie möglich zu vergessen versuchte. Mensch, er liebte sie doch! Aber sie ihn... das konnte er ja vergessen. Da war er sich sicher. Aber an seiner Liebe zu ihr änderte das Null. Er machte sich unheimliche Sorgen um sie und hielt die Stunden, die er nicht in ihrer Nähe war, kaum aus.

Als der Zeiger seiner Uhr mit der Geschwindigkeit einer Schnecke endlich die Zeit des Schichtwechsels erreicht hatte, stand er abrupt auf und eilte in Richtung Basis. Er wollte sich schnell umziehen, um bald zuhause zu sein und sich dort noch ein wenig für den Besuch bei Biggi frisch machen zu können. Als er nach einer Viertel Stunde im Aufenthaltsraum nach Michael sah, um ihn zu fragen, ob er mitfuhr, meinte dieser: "Oh, fahr du schon mal vor. Ich hab hier noch nen ganzen Stapel Berichte und fahr dann einfach mit den anderen gleich zu Biggi. Treffen wir uns in der Klinik? So gegen sechs?" "Ok. Dann bis nachher.", meinte Thomas eilig und verließ mit einem kurzen Winken die Basis. Er setzte sich in sein Auto und fuhr los, nachhause.

Etwa um die selbe Zeit kam ein hellgelbes Taxi gerade an Michaels und Thomas' Villa an. Der Taxifahrer schüttelte nur den Kopf, als er seinen Fahrgast, eine attraktive, junge Frau in Nachthemd und Bademantel, dort aussteigen ließ. Biggi hatte im Taxi nochmal auf die Radiouhr gesehen. Vor zwanzig Minuten war Thomas' Schicht gerade zu Ende gegangen, er müsste also bald hier sein. Sie konnte es nicht mehr erwarten, ihn endlich zu sehen und ihm einfach alles zu sagen. Alles. Auch das kleine Geheimnis, das in ihrem Bauch heranwuchs. Sie setzte sich auf die Holzbank vor dem Küchenfenster, direkt neben der Haustür, und wartete. Sie wartete und wartete, dachte nach und dachte nach. Es war an diesem Tag bitterkalt und sie fror in ihrem dünnen Nachthemd und dem Bademantel. Aber das war ihr jetzt egal, vollkommen egal. Sie wollte nur Thomas sehen. Sie verschränkte die Arme fest vor der Brust und kauerte sich auf der Bank zusammen. Irgendwann begannen ihr wieder Tränen in die Augen zu steigen. Nein, nicht jetzt, flehte sie. Doch ihrem Herz war das völlig egal. Diese Situation, die schon seit zwei Monaten anhielt und diese dadurch zu den zwei schlimmsten Monaten ihres Lebens gemacht hatte, fraß sie innerlich auf und machte sie fertig. Und wie schon so oft trieb es ihr die Tränen aus den Augen. Schluchzend verbarg sie den Kopf in ihren Händen.

Genau in diesem Zustand traf Thomas sie an, als er bei ihrem unerwarteten Anblick mit seinem Auto beinahe einen Heuballen gegenüber der Straße umfuhr. "Biggi...", flüsterte er nur leise, dann stieg er aus dem Auto und vergaß dabei sogar darauf, den Motor abzustellen. "Biggi, was machst du denn hier?" Er konnte es nicht glauben. Da saß die Frau, die er über alles liebte und die eigentlich noch in ihrem Bett in der Klinik liegen sollte, plötzlich auf seiner Bank! Er war schrecklich besorgt und wusste erst gar nicht, was er tun sollte. Biggi wirkte vollkommen aufgelöst und fertig. Vorsichtig legte er die Hand auf ihre Schulter und strich ihr liebevoll übers Haar. "Was ist denn los, hm?" Daraufhin blickte sie auf, flüsterte tränenüberströmt "Thomas...", und ließ sich in seine Arme fallen. Damit hatte Thomas nicht gerechnet. Sofort legte er schützend seine Arme um sie und streichelte ihr beruhigend über den Rücken. Biggi schmiegte sich, so fest sie es in ihrem schwachen Zustand konnte, an seine Brust und weinte dort herzzerreißend. Thomas war total perplex. Was war nur passiert? Was war nur mit seiner Biggi los? Die Sorge um sie machte ihn komplett fertig. Er wusste nicht, was er tun sollte, er drückte sie nur an sich und versuchte, sie zu beruhigen. "Du bist ja total durchgefroren! Komm, wir gehen rein, aber sofort." Er zog sich eilig seine Jacke aus, legte sie ihr um und half ihr dann, aufzustehen. Dann legte er den Arm um ihre Hüfte und stützte sie mit der anderen Hand am Arm. "Jetzt legst du dich erstmal aufs Sofa und dann erzählst du mir, was los ist, ok?", meinte Thomas besorgt. Biggi nickte nur schwach. Sie war einfach nur froh, jetzt bei ihm zu sein. Thomas half ihr ins Wohnzimmer und machte dann sofort den Kamin vor dem Sofa an. Biggi war immerhin total durchgefroren. Er holte noch eine warme Wolldecke und deckte sie liebevoll damit zu. Dann setzte er sich zu ihr und strich ihr sanft durchs Haar. "Biggi, was ist passiert?", wollte er nun endlich wissen.. "Ach Thomas...", meinte sie leise und begann wieder ein wenig zu schluchzen. Thomas nahm sie sofort wieder in den Arm und Biggi lehnte sich dankbar an ihn. Es war beinahe so, als hätte es die letzten beiden Monate nie gegeben. "Thomas... ich... ich bin schwanger...", sagte Biggi dann leise, wobei ihr wieder einige Tränen übers Gesicht liefen. Sie hatte Angst vor seiner Reaktion, auch wenn sie unheimlich froh war, endlich wieder bei ihm zu sein. Mit dieser Nachricht, aus der er automatisch schloss, dass er der Vater von Biggis Kind sein musste, hatte Thomas absolut nicht gerechnet, doch er schloss Biggi noch fester in die Arme und meinte beruhigend: "Egal was passiert Biggi, wir werden das schon schaffen." Biggi sah auf und blickte ihn mit ihren tränengeröteten Augen an. "Meinst du wirklich?" Thomas wischte ihr vorsichtig mit der Hand die Tränen aus dem Gesicht. "Biggi, ich werde immer für dich da sein, das verspreche ich dir." "Danke", flüsterte Biggi und schmiegte sich wieder an ihn, worauf Thomas sie wieder sanft an sich drückte. "Hey, das ist doch selbstverständlich, ich... ich liebe dich doch..." Thomas fiel es schwer, ihr diese Worte zu sagen, denn er wusste nicht, ob sie sie überhaupt hören wollte, immerhin hatte sie in den letzten zwei Monaten behauptet, dass sie nur Freundschaft wollte. Aber wenn dies wirklich der Fall war, warum war sie dann heute aus der Klinik abgehauen und zu ihm gekommen? Er hatte es ihr jetzt einfach sagen müssen.

Biggi traute ihren Ohren nicht. Hatte Thomas da wirklich gerade gesagt, dass er sie liebte, dass er dasselbe für sie empfand wie sie für ihn? "Und ich dachte immer, dass diese eine Nacht für dich nur ein Ausrutscher war... ich liebe dich doch auch.", sagte sie leise. Sie konnte ihr Glück nicht fassen, sie wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht und lächelte ihn an. "Oh Biggi...", brachte Thomas nur noch hervor, dann konnten sie keine weitere Sekunde mehr warten. Sie kamen einander näher, dann küssten sie sich endlich. Wie sehr hatten sie beide in den letzten zwei Monaten darauf gewartet. Es war ein Kuss voller Leidenschaft und Zärtlichkeit und als sie sich langsam wieder voneinander lösten, sahen sie sich verliebt in die Augen und lächelten sich voller Liebe an. "Lass mich nie wieder los.", flüsterte Biggi, bevor sie sich abermals zärtlich küssten. "Nie wieder.", versprach Thomas ihr und schloss sie dann ganz fest in die Arme. Er konnte sein Glück immer noch nicht wirklich fassen. Die ganzen letzten zwei Monate Verzweiflung waren absolut umsonst gewesen, Biggi liebte ihn. Warum hatte er ihr nur nicht früher alles gesagt? Doch das war jetzt alles egal, Hauptsache, sie waren jetzt zusammen und nie wieder würden sie sich trennen.

Etwa eine Stunde später kam Michael nachhause. Er kam direkt aus dem Krankenhaus, wo man Biggi schon aufgebracht suchte. Er wollte gerade nach Thomas rufen, um ihn zu fragen, warum er nicht in die Klinik gekommen war, und um ihm mitzuteilen, dass Biggi verschwunden war. Da erblickte er durch die einen Spalt weit geöffnete Wohnzimmertür das rührende Liebespaar auf dem Sofa. Er hielt inne, blieb an der Tür stehen und sah durch den kleinen Spalt. Thomas und Biggi lagen sich im Arm, küssten sich und sagten einander immer wieder, wie sehr sie sich liebten. Sie hatten ja auch einen unheimlichen Nachholbedarf. Die letzten zwei Monate lang hatten sie die Nähe des anderen missen müssen, das würde nun nie wieder geschehen, das hatten sie sich beide geschworen. Während sie sich abermals voller Leidenschaft küssten, schloss Michael schmunzelnd ganz leise die Tür.

 

   The End

 



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